Heute reisen wir ins SALZBURGER LAND.
Leider können Sie hier im Internet nichts riechen und schmecken und nicht hören, wie der Ochsenschwanz im Ofen schmurgelt, liest man auf der homepage der Familie Obauer, die in der Pongauer Marktgemeinde Werfen, am Fuße des Hochkönig, ein Restaurant und Hotel betreibt. Als Aushängeschild und Markenzeichen dient das hochstirnige Konterfei der Brüder Karl und Rudi, das wohl auch das gelebte Motto versinnbildlicht: In der Heimat verwurzelt und offen für die Welt. Die Obauers sind bekannt in der Gastroszene, haben sich gleich mehrere Kochlöffel und Hauben erkocht und zählen mit ihrem Gastlokal zu den 100 besten Restaurants der Welt. Aromastark könnte man ihre Küche bezeichnen. Regionale Produkte des Lungau prägen ihre Gerichte aus der Natur, für die Feinschmecker von weit her anreisen.
Die Obauers sind aber nicht nur Spitzenköche, sondern auch begnadete Kochbuchautoren. Ihr jüngstes Werk, Total Obauer! ist im Münchner Verlag Gräfe und Unzer herausgekommen.
In sechs Kapiteln präsentieren sie die gesamte Bandbreite meisterhafter Kochkunst. Doch halt! Die Obauers verstehen und verstanden sich nicht als Künstler, sondern stets als Handwerker. Aber, wenn bei ihrer Arbeit fallweise auch „Kunsthandwerk“ entstanden ist, hat sie das besonders gefreut. Die Kürzel V im Inhaltsverzeichnis stehen für Vorspeisen, Vegetarisch und Vorrat und sind gleichzeitig drei Kapitel dieses Buches. Die zwei F stehen für Fisch und Fleisch, das D natürlich für Dessert. Innerhalb dieses VVFFDV-Konglomerats sind rund 150 Rezepte untergebracht, ein in 40 Jahren gewachsener Schatz delikater Genusserfüllung.
Beim ersten Durchblättern fallen die einfachen und doch sehr sinnlichen Arrangements der Gerichte auf, die mich zunächst an die Küche der Brüder Troisgros erinnern. Jahrhundertköche, die wohl auch für Karl und Rudi Vorbild waren. Aber je weiter man in das Kochbuch hineinliest, desto stärker wird eine eigenständige Obauer-Küche sichtbar, von traditionell bis zeitlos modern. In ihrem Vorwort bekennen sie, dass sie nicht zeigen, wie man es macht, sondern, wie man etwas machen könnte. Die kulinarische Ouvertüre beginnen sie mit Allerlei kalten und warmen Köstlichkeiten. Dazu gehören bspw. die Auberginencreme mit Sardellen, eine mediterrane Vorspeise, die das Eierfrüchtchen umschmeichelt, sowie die Forellenterrine das Lokalkolorit verkörpert oder das alpin wilde Gamscarpaccio mit Rehrücken, Schwarzbeersenf und Quitten. Für diese Menüstarter gilt, dass sie gut vorzubereiten sind und so den Gastgebern, auch bei größeren Gesellschaften, keinen Stress machen. Die Palette der Vorspeisen ist riesig. Besonderen Gefallen fanden meine Gäste am Kokosfleisch, da sie die aufgespießten mit Kokosraspeln gerösteten Happen mit einem Bissen verschlingen konnten. Überrascht waren sie natürlich auch, hatten sie hinter dem Kokosmantel doch kein Rindfleisch erwartet. Den Ronasalat mit Feigen empfehle ich Verliebten und jung geblieben Liebespaaren, ein Festmahl der Sinnlichkeit, zudem sehr gesund. Wer Rona nicht versteht, kann das im Glossar nachschlagen. Da erfährt man, dass damit Rote Bete gemeint ist, dass sich Schotten nicht nur auf rocktragende Engländer bezieht, sondern auch eine Pinzgauer Käsespezialität so heißt und der Waller ein Wels und damit heimischer Süßwasserfisch ist. Kurz und bündig werden da rund drei Dutzend Begriffe aus der österreichischen Küchensprache erklärt.
Mit 13 Suppenvorschlägen klingt dann das Vorspeisen-Kapitel aus. Aus dem Gemüsegarten beginnt dann so übertitelt die vegetarische Abteilung. Gleich das erste Gericht präsentiert einen einflügeligen Butterfly, so kunstvoll angerichtet mit Artischocken und Kraut dass man das Kosten hinaus zögert, um nicht zu zerstören. Der Käseeierstich mit Morchelragout und Karottensauce lässt dann zumindest optisch einen gewissen Hang zur asiatischen Küche erkennen. Die Zutaten allerdings bleiben europäisch. Der Couscoussalat mit Wassermelone – ein herrliches Sommergericht -, zeigt, wie leicht die Oberauerküche sein kann. Aufwändiger, aber immer noch leicht wie der Wind präsentiert sich das Spinatmus mit Kohlrabisalat. Hier verbünden sich zwei sehr unterschiedliche Gemüsepflanzen. Für Hobbygärtner dürften die Zutaten wohl das kleinste Problem sein, eine Herausforderung eher, die gleichschenkligen Dreiecke ohne Terrineform hinzukriegen. Der Heidelbeerrisotto war ein Treffer ins Schwarze. Von den Obauer Köchen auch als Schwarzbeerrisotto geführt, verführt dieses Gericht zum Wandern in den Bergen und zum Schwarzbeeren brocken. Wer nicht ins Gebirge kann, aus welchen Gründen auch immer, soll den Heidelbeersaft im Reformhaus kaufen. So steht es in der Anmerkung. In der Fisch-Abteilung mache ich zunächst Halt beim Waller in Backteig mit Kresse-Erdäpfel-Salat, ohne dieses Rezept wirklich nachzubauen, und gehe dann weiter zu einem Plattfisch. Gönne mir mit Seezungen-Lasagne ein Fischgericht in höchster Vollendung. Das habe ich nicht bereut und der Wels ist nur aufgeschoben.
Im vierten Kapitel dreht sich dann alles ums Fleisch. Natürlich werden Weide- wie auch Wildtiergerichte präsentiert. Rudi Obauer ist ein leidenschaftlicher Jäger und Fleisch verdient daher seine besondere Aufmerksamkeit. Es ist wichtig, merkt er an, zu wissen, woher es kommt und wie man es behandelt. Deshalb ist nicht nur die Reifezeit von Fleisch wichtig, sondern auch, dass die Tiere ein artgerechtes Leben führen in Freigehegen oder der Natur. Es sind hohe Ansprüche, die die Obauers an ihre Lieferanten als auch an sich selbst hinsichtlich Fleischbehandlung und Qualität stellen. In ausgewählten, lose eingestreuten Exkursen berichten beide Köche von ihrer Zusammenarbeit mit den Lebensmittel-Produzenten, von der gegenseitigen Wertschätzung und ihrer Bodenhaftung, ohne die die Obauer-Küche nicht entstehen und bestehen hätte können.
Leider können Sie hier im Total Obauer! Kochbuch nicht riechen und schmecken und nicht hören, wie der Ochsenschwanz im Ofen schmurgelt. Aber Sie können sehen, wie der Ochsenschlepp mit Pilzen in Erdäpfelpüree offeriert wird, und Sie können nachlesen, wie man das Gericht zubereiten kann. Auf Kann liegt hier die Betonung. Als Nachtisch empfiehlt sich etwas aus der Patisserie. Aber nur dann, wenn Sie versprechen, das zuvor Gegessene nicht ganz zu vergessen. Denn das könnte leicht passieren bei diesen attraktiven Desserts und schmackhaften Nachspeisen, die die Obauer Köchinnen und Köche anbieten. Das reicht vom Apfelschmarren über Eis in Variationen mit Sauerampfer, Schwarzbeeren oder gar Starkbier bis zur Walnusstorte. Da fällt einem das Wählen schwer. Ich habe mich für den Hollerkoch mit Milchschaum entschieden, eine Erinnerung an meine Kindheit. Kosten durften davon meine Enkel, die dieses Dessert vielleicht in 50, 60 Jahren als Erinnerung an ihre Enkel weitergeben.
Aber damit nicht genug. Die Obauers hängen noch ein Vorrats-Kapitel an, denn es gilt, Produkte in andere Jahreszeiten zu retten. Ob Apfelbrot oder Würzmittel, hier gibt es vieles zu entdecken und haltbar zu machen. Vorgemerkt habe ich mir die Hagebutten-Apfelmarmelade, den Schwarzbeersenf wie auch das Liebstöcklextrakt.
Erwähnen möchte ich auch Armin Walchers exzellente Fotos von arrangierten Gerichten, die mehr sind als nur Kunsthandwerk.
Total Obauer! ist der niedergeschriebene Beweis von einer integrativen Küche. Alles was sinnvoll und nützlich ist, haben sie in ihre Art des Kochens aufgenommenen. Dabei treu geblieben in ihren Grundsätzen: Luxusprodukte und Edelteile sind für sie Fremdworte. Damit können sie nichts anfangen und das hebt gleichzeitig das Niveau dieses Kochbuchs. Total Obauer! ist auch ein Verführer. Und flugs bewege ich mich mit dem aufgeschlagenen Buch in die Küche, prüfe, ob für den Gewürzreis genügend Jasminreis, Kohlrabi, Karotten, Zitronengras etc. vorrätig sind …
Rudi und Karl haben sich dem Genuss verschrieben und mit Total Obauer! ein anspruchsvolles Kochbuch mit lust- und schwungvollen Rezepturen kreiert. Die Brüder Troisgros würden das auch so sehen!