Heute reisen wir nach BERLIN.
Dort treffen wir einen sehr ambitionierten Koch und eine nicht weniger ambitionierte Köchin. Uri Triest ist Israeli, den es nach Jahren der Wanderschaft in die deutsche Bundeshauptstadt verschlagen hat, während Sophia Giesecke so richtig aus Berlin kommt. Gemeinsam ist ihnen das Wissen, dass Essen verbindet und an dem was sie genießen. Auch die häufige Verwendung des Wörtchens nicht im Vorwort von Shemesh Kitchen, ihrem ersten gemeinsamen Kochbuch.
Und sie finden: Dass es gar nicht so schlecht geworden ist. Dass es nicht nur ums Kochen, sondern vor allem ums Essen geht. Dass sich ihre Küche nicht wirklich in eine bestimmte Kategorie pressen lässt. Dass ihre Rezepte oft auf arabischen und mediterranen Gerichten basieren, aber nicht nur, weil die thailändische, indische oder japanische Küche sie ebenfalls inspiriert. Somit ist auch ein grober Rahmen abgesteckt, ohne dass wir wirklich erfahren, was es mit Shemesh Kitchen auf sich hat. Nun, beide können nicht nur kochen, sie präsentieren sich auch auf TikTok sehr erfolgreich. Dort stellen sie ihre kulinarische Kreativität zur Schau, frei nach dem Motto: Erlaubt ist, was schmeckt. Was mittlerweile von über 120.000 Followern goutiert wird. Der Beweis, dass sie ein eingespieltes Team sind, er mehr Koch, sie mehr Fotografin. Eine Filmgeschichte, die 2021 begann. Nun sind die Bilder längst im Kasten, die Druckversion, jetzt zwischen zwei Buchdeckeln geklemmt, liegt vor mir. Shemesh Kitchen kam ursprünglich von Uri, der Shemesh, das hebräische Wort für Sonne als Restaurantname vorsah. Jetzt ziert es sein Kochbuch, in dessem Epizentrum Gemüse und Geschmack gleichberechtigt stehen. Umrahmt von Fischigem, aber keinem Stück Fleisch.
Shemesh Kitchen ist in zwei Blöcke gegliedert. Im ersten Abschnitt servieren Uri und Sophia in mundgerechten Häppchen ihre Kochphilosophie. Als Amuse Gueule betiteln sie den Einführungsteil, worin sie erklären, was ihre Gerichte kennzeichnet, quasi, worauf ihre Küche aufbaut. Da geht es um Terminologie- und System-Fragen, um Küchenutensilien und was alles an Grundprodukten vorrätig sein soll. Im zweiten Abschnitt, mit Rezepte überschriftet, ordnen sie diese fünf Bereichen zu. Neben basics sind es die Zeitzonen eines Tages, d. h., morgens, mittags, abends und nachts. Und noch etwas sollte man vorausschicken: Ihre Rezepte sind mengenmäßig kleinteilig geschrieben und gedacht, denn ihre Vorstellung von einer idealen Mahlzeit besteht aus drei bis vier oder mehr Gerichten. Wie in der Mezze-Kultur oder beim Picknick könnte man meinen. Das Konzept des Teilens spiegelt sich in ihrer Vorstellung, alles auf einem großen Teller anzurichten, wider. Der Anspruch ist, die Sinne auf unterschiedliche Art und Weise zu wecken und anzuregen. Für das Kochbuch wurden allerdings die meisten Rezepte auf die Menge von vier Personen zugeschnitten und ob Sie die auf einem oder vier Teller verteilen, bleibt Ihnen überlassen.
Der Ratschlag von Uri und Sophia: Geht angstfrei an die Sache ran! (13) Das gilt auch für das Salzen. Ihre Vorstellung ist, dass es beim Kochen nichts Wichtigeres gibt als Salz. Und der Trick ist einfach: bei jedem Schritt wird gesalzen. Salz zieht Wasser aus den Zutaten, die dadurch geschmacklich intensiver werden. Und die Gefahr, das Essen zu versalzen, bleibt geringer. Weitere wichtige Parameter ihrer Kochschule betreffen das Öl, die Säure und die Hitze – sie sind für das Endergebnis mitentscheidend.
Am Anfang der Rezepte stehen die basics. Sie kommen unterschiedlich häufig zum Einsatz. Die Eiweiß-Chips sind gute Verwerter übrig gebliebener Eiweiße, ob als Bei- oder Grundlage wie bspw. für die abendlichen Snacks Bete-Tatar oder Sardinen-Skordalia-Häppchen. Die Chips können wie in den USA zu jedem Essen gereicht werden. Tahini, die wohl beliebteste Sesampaste der Küchen des Nahen Osten, ist meist als Dip, Aufstrich oder Soße in Verwendung. Wer belegte Brote oder Stullen, wie die Deutschen sagen, mag, wird über Alons Stulle staunen. Hier mischt sich der Orient mit Asien, trifft Meerrettich auf Sesamsamen. In Israels Küche gesellt sich zum geschmorten Karfiol gerne Tahina. Uri erweitert dieses beliebte Gericht mit Brokkoli und peppt die Paste noch mit Sojasoße, Reisessig und Chili-Öl auf, wodurch sich ein schönes Aromenprofil öffnet. Nachgebaut, wird der Umami-Bluccoli ihre Geschmackssinne lange beschäftigen. Ob gebeiztes Gemüse, Kräuteröl, Veganaise oder Labneh, die basics sind immer wieder verwendete Bausteine für Uris Rezepte. Schade, dass nicht auf die Rezepte verwiesen wird, wo sie zum Einsatz kommen.
Uri Triests Küche ist eine Komponentenküche und somit fast beliebig wandelbar. Die geräucherten Möhren mit Grünkohl und Datteln veranschaulichen sehr gut das Baustein-System. Die Hauptakteure sind die Möhren. Ihrem intensiven Geschmack werden als Kontrast sauer eingelegte Datteln sowie ein mild-herber Grünkohl gegenübergesetzt. Als Brücke zu allen fungiert das Topping aus gerösteten Pinienkernen. Wie weit man sich diesem Idealteller nähert, ist jedem selbst überlassen.
Viel Gemüse und ein wenig Fisch ist die Ausgangsbasis für Shimesh Kitchen. Sie bilden die Sonne, um die herum die Planeten basics, Frische, Creme und Topping das Sonnensystem erst vervollständigen. Wie wär’s mit einigen Beispielen? Für morgens empfiehlt Uri Burata mit Feigen und Brunnenkresse oder Bananenbrot mit salziger Kokossoße. Mir gefiel besonders die grüne Shakshuka. Traditionell wird sie mit Matbucha oder Chraymeh-Sauce zubereitet und acht Eiern. Im Palomar in London kommen Karfiol und Aubergine dazu. Uri präsentiert uns seine grüne Shakshuka mit Lauch, Fenchel und Zwiebeln ohne das rote Markenzeichen, die Tomate. Der Ricotta mit Zitrone bringt die Frische rein. Anders die Fischshuka, die im kräftigen Tomatenrot, eierlos, von einem mächtigen Adlerfischfilet dominiert wird und die ihr Geheimnis, ein feines Aroma vom Zitronengras dann preisgibt, wenn der Koriander sparsam eingesetzt oder besser gleich weggelassen wird. Und wir führen hier keine Grundsatzdebatte, ob das noch eine Shakshuka ist oder nicht. Jedenfalls ist es ein leichtes Mittagsmahl wie auch der warme Frühlingssalat, der bequem mit anderen Gemüsen zu einen Sommer-, Herbst- oder Wintersalat umgewandelt werden kann. Die Fish Cakes mit Roter Bete und Joghurt bekommen den Hauch von Säure aus den Granatapfelkernen, die wie Bojen im Roten Soßen-Meer treiben. Gibt sich der Kartoffelsalat à la Shemesh wegen seiner großen Stücke roh und ungestüm, so präsentiert sich Flaming hot Okra mit Crème fraîche leicht verschämt, geduldig abwartend in seiner Marinadenlake. Die Gerichte sind intuitive, aus mehreren Komponenten zusammengesetzte Kompositionen, die einfach wunderbar schmecken. Der Heilbutt grün-gelb ist ein Farbenspiel mit grüner Spinatcreme und sehr dominanten Safransauce, die auch geschmacklich die Oberhand behält. Die Wurzelgemüse-Pie mit Gurkensalat versteckt unter seinem Deckel eine Sellerieknolle, Pastinaken, Mairübchen und Navetten. Letztere sind dasselbe wie Mairübchen, violett-rosa-weiße Knollen, d. h., einmal die deutsche und einmal die französische Bezeichnung. Eine tolle Entdeckung war die gebackene Aubergine mit Gremolata und Zitronenmarmelade. Bitter und Süß hielten sich die Waage, gelegentlich schwappte eine Prise Anis vom Pernod ins Aromenkino.
Auch die Nachtschwärmer werden nicht vergessen, müssen nicht um kleine Köstlichkeiten bangen, falls Hungergefühle anklopfen. Die bereits erwähnten Sardinen-Skordalia-Häppchen sind kleine Chips-Inseln mit gestrandeten salzigen Sardinen. Und auf die Feigen mit Joghurt bekommt man auch ohne Appetit Appetit und da dürften Sophia und Uri nicht so unrecht haben.
Es gäbe noch viel zu berichten. Von gefüllten Süßkartoffeln mit Kichererbsenragout, die mit grüner Tahini zugedeckt sind. Durch das Überbacken bekommt die Oberfläche eine gratinartige Konsistenz. Oder vom Zucchinisalat mit Aprikosen und Ziegenkäse, der in heißen Zeiten, auch wegen seiner luftig, leichten Art eine Gaumenfreude ist. Dieses Gericht wie auch die Zucchinipuffer mit Kräuterquark helfen, die Kürbisflut im Garten einzudämmen. Die Puffer sind schnell zubereitet und wurden auch von meinen Enkeln sehr geschätzt.
Großen Anklang fanden die Zimt-Babka, die mit einem Zwetschgen-Kompott serviert wurden. Ein fast schon himmlisches Naschwerk, wäre nicht die Zubereitung etwas aufwändig.
Shemesh Kitchen von Sophia Giesecke und Uri Triest ist eine Herausforderung. Die scheinbare Leichtigkeit, mit der die Gerichte präsentiert werden, verflüchtigt sich teils in der praktischen Ausführung. Einfache Rezepte heißt nicht unbedingt schnell zubereitet. Die fotografische Aufbereitung ist sehr lustbetont, verführt zum Nachkochen. Es ist wohl die jugendliche, draufgängerische Art des Draufloskochens, die hier zum Ausdruck kommt und mitreißt, wie auch die Ideenvielfalt der Rezepturen. Eine urbane Küche mit Überraschungsmomenten. Wie gesagt, erlaubt ist, was schmeckt, ist Uris Parole und es schmeckt verdammt vieles aus diesem Kochbuch sensationell gut.