Deb Perelman, Ein unfassbar gutes Kochbuch

100 genial einfache Evergreens aus der kleinen Küche in New York

Rezepte, Texte und Fotos von Deb Perelman
Aus dem Englischen übersetzt von Birgit van der Avoort
Styling von Barrett Washburne
Christian Verlag, München, 2023, 320 Seiten, 39.99 Euro

ISBN 978-3-95961-801-4
Vorgekostet

Heute reisen wir nach NEW YORK.

In eine Stadt, die auf ihre Einwohner wie auch Fremde gleichermaßen eine Faszination ausübt, die nicht wirklich fassbar ist. Nie zuvor, bekannte der britische Koch Russel Norman einmal, nie zuvor hat er einer Stadt einen Charakter zugeschrieben, aber New York schien ihm lebendig, gefühlvoll, selbstsicher, arrogant, kultiviert, gefährlich, sexy und elegant zugleich. New York, New York, war immer schon mehr Mythos als alles andere, mehr Kulisse als Lebensgefühl und wenn man dann hinter die Kulissen schaut, erkennt man erst, wie die Stadt funktioniert, was sie zusammenhält. Ehrfürchtig blickt man nach oben zu den Wolkenkratzern, Neonlichtern und Statuen. Die Stadt ist eine riesige Maschine; hier ist alles schneller, um viele Dimensionen größer. Und Geld ist nicht der einzige Treibstoff. Persönliche Ambitionen und große Träume sind es auch. Das macht die Stadt zum erstrebenswerten Lebensort. Wer hier lebt, will seine Träume verwirklichen. Eine, die es geschafft hat, ist Deb Perelman. Deb ist eine berühmte Bloggerin in den USA mit Millionen Followern und der wohl kleinsten Küche der Westküste. Eine Autodidaktin des Kochens mit Forscherdrang. Sie wollte einen Ort schaffen, an dem sie alle Rezepte sammeln konnte, die es wert waren, nachgekocht zu werden. Ein eigenes, bleibendes Kocharchiv. Das will ihr drittes Kochbuch sein: Ein unfassbar gutes Kochbuch, das im Christian Verlag auf deutsch erschien.

In sieben Kapiteln fasst Perelman jene – immer in Erinnerung – bleibenden Rezepte zusammen, die ihres Erachtens das Einkaufen einfacher, das Kochen machbarer und das Essen verlässlich lecker macht. Anders ausgedrückt: 100 genial einfache Evergreens aus der kleinen Küche, wie Deb ihr Kochbuch untertitelt. Der Anspruch ist hoch. Es geht um nichts anderes als um jene Rezepte, die sich in der Alltagsküche bewährt haben, die nachzukochen und zu genießen nie langweilig wird, mit einem Wort: perfekt sind. 

Es beginnt, wie überall auf der Welt, der Tag mit dem Frühstück. (Dabei ist Deb unter der Woche gar kein Frühstücksmensch.) Aber am Wochenende darf es dann gemütlich und ausführlich sein. Und obwohl werktags das Frühstück bei ihr nur aus einer großen Tasse Kaffe besteht, kann sie uns erstaunlich viele Frühstücksrezepte anbieten. Konfitüre-Hafer-Ecken mit Erdnusssplittern oder Pfirsich-Streusel-Muffins oder drei Frühstücksalate. Rezepte, die auch für ein Picknick was hergeben oder einen Brunch oder ein leichtes Abendessen. Selbst das gebackene Ei-Käse-Sandwich, das für Anthony Bourdain als eine der größten Erfindungen der Neuzeit gilt, gehört für Deb zum Frühstückskanon. Denn zwischen zwei Scheiben Weißbrot finden fast alle denkbaren Gaumenfreuden Platz, hier also Ei, Schmelzkäse, Frühlingszwiebel, Schnittlauch und Speck. Ein Repertoire, das beliebig erweitert werden kann. Und die New Yorker scheinen eine starke Neigung zum klassischen Bacon, Egg and Cheese-Sandwich, kurz BEC, zu haben. Auch bevorzugt Deb Schmelzkäse, einfach um diesem Produkt mehr Anerkennung zukommen zu lassen. Natürlich können Sie aber jeden Käse verwenden, der Sie glücklich macht, räumt Deb ein.

Der Pfirsich-Streusel-Muffin ist einer Vision geschuldet, nämlich dem platonischen Ideal eines Pfirsichstreusels mit viel Obst in einem festen Muffinboden. Die Pfirsiche sind gefächert und mit der Haut nach oben gebacken, sodass sich um sie herum fuchsiafarbene Streifen zeigen. Nach drei Pfirsichsaisonen und 40 Testrunden schaut das Ergebnis – die Muffins –  nicht überragend aus, schmecken aber außergewöhnlich gut. Die Muffins sind ein ideales Mitbringsel für Partys und zu einem Picknick oder zur Chorprobe und will unbedingt das Erste sein, das vom Büfett verschwindet. Entdeckungen für mich sind das Bialy Babka und der Challah-Käsekuchen-Kringel. Bialy steht für die jiddische Kurzform von Bialystocker Kuchen, und ähnelt äußerlich der Tiroler Ofenleber. Bialys Innenleben wird aber von einer Käse-Mohnfüllung dominiert und kann wie eine Scheibe Brot zu einer Schale Suppe serviert werden. Das Challah­ Brot ist mit dem Brioche verwandt und wird mit Eiern und Öl gehaltvoll gemacht. Deb bringt zusätzlich noch Frischkäse und Konfitüre ins Spiel, fertig sind die Challah-­Käsekuchen­-Kringel, die wirklich zu jeder Tageszeit gegessen werden können.

Jetzt springen wir weiter zu den Salaten, die nicht eingeführt werden müssen, sondern einfach sind. Neun Salate genügen, um die enorme Bandbreite köstlicher Frische zu demonstrieren. Ob Zuckerschoten mit Pecorino und Walnusskernen, Kartoffel-Pickles-Salat oder Farro-Salat mit gerösteten Tomaten, hier ist jeder Salat eine feine Überraschung.

Kapitel drei ist den Suppen und Eintöpfen gewidmet. Deb lässt uns mit der Hühner-Nudel-Suppe mit Ingwer und Knoblauch an ihrer Entdeckung teilhaben, dass, um diese Suppe zu kochen, es gar keiner Hühnerbrühe bedarf. Denn die Hähnchenschen­kel ohne Knochen und Haut zusammen mit Zwiebeln und Karotten gekocht, reichen aus, um eine köstliche Suppenbasis zu erhalten. 

Es sind diese vielen kleinen Hinweise in den Vorspannen der Rezepte, die Deb Perelman gibt, die unsere Kochlaune heben, die Leidenschaft für das Kochen anfeuern. Zugegeben, manche Rezepte sind sehr amerikanisch, etwa aus der Abteilung Süßes. Aber beim einfachen Schwarze-Bohnen-Chili sind selbst ihre texanischen Freunde verstimmt, denn dieses Gericht würden Puristen nie ohne getrockneten Chili und Rindfleisch servieren. 

Das Gemüse-Kapitel wird in Kleines, Mittelgroßes und Großes Gemüse gesplittet, was natürlich Erklärungsbedarf nach sich zieht. Vereinfacht gesagt, kann Kleines Gemüse eine Beilage, ein Snack oder eine leichte Mahlzeit sein, je nach Stim­mung. Großes Gemüse ist das, was die Autorin als gehaltvolles vegetarisches Hauptgericht bezeichnet. Viele dieser Gemüse-Gerichte eignen sich bspw. als sommerliche Essen im Freien. Letztlich entscheidet jede und jeder selbst, was eine Gemüse-Mahlzeit ist. Der geschmorte Rosenkohl mit Ricotta auf Röstbrot ist erstaunlich zart, knackig und grün gleichzeitig, und bekommt mit ein paar Tropfen Zitronensaft eine feine frische Note. Dieses Rezept kann seine Affinität zu Italien und Bruscetta nicht leugnen. Überhaupt scheinen sich in diesem Kapitel viele mediterrane Aromen und Vorstellungen zu treffen. Dafür bürgen schon die Rezepte wie Lauch-Brie-Galette, gebratene Ricotta-Gnocchi mit Pistazienpesto, Falafel oder gebackene Aubergine und Couscous. Mein Lieblingsgericht findet sich unter Mittelgroßes Gemüse. Den Käsepolenta mit Knoblauch-Grünkohl servierte ich zwar mit Spinat statt Kohl, was aber meine Freunde nicht scherte. Sie waren voll des Lobes und versicherten mir – fast zu Tränen gerührt – der guten Freundschaft ob des feinen Essens. Natürlich war auch meine Liebste an der Zubereitung beteiligt und so mitverantwortlich für dem gelungenen Abend.

Das Fleisch und ein perfektes Garnelengericht-Kapitel ist relativ kurz, es umfasst 16 Gerichte. Aber es darf nicht unterschätzt werden. Hühnchen auf vielerlei Arten zubereitet, finden sich hier. Oder Lammspieße mit knuspriger Essigglasur oder Knuspriges Pulled Pork aus dem Ofen. Letzteres ist ein gelingsicheres Essen mit nur zehn Zutaten für eine größere Gemeinschaft. 

Im vorletzten Kapitel, dem vielleicht amerikanischsten, wird dem Süßen die volle Aufmerksamkeit geschenkt. Da bekommen die Schokokekse mit Erdnussbutter einen salzigen touch, verwenden die Melasse-Gewürz-Kekse den zähen dunkelbraunen Zuckersirup, um die Süße und die Farbe zu intensivieren. Sehr zufrieden war ich mit dem phänomenalen Pfundkuchen, der leicht buttrig und vanille-aromatisiert an Geschmack meine Chorfreunde zu Lobeshymnen animierte.

Aus dem Getränke und Snacks-Kapitel möchte ich nur die Limettenlimonade mit Salz und Pfeffer hervorheben, auch weil ich die anderen Rezepte nicht ausprobiert habe. Aber die Limonade, in meinem Fall mit Zitronen gemacht, ist auch im Winter unglaublich erfrischend und vorbeugend gegen Erkältungserscheinungen.

Ein unfassbar gutes Kochbuch von Deb Perelman ist wirklich ein unfassbar gutes Kochbuch. Fast jedem Rezept stehen drei Seiten zur Verfügung. Diese großzügige Gestaltung, zusammen mit den wunderbaren Fotos der Autorin, lässt schon beim Durchblättern Freude aufkommen. Hier liegt ein Kochbuch vor, das Sie vom Frühstück bis zum Nachtisch begleitet mit Rezepten, die Sie zum Wiederholungskoch, zur Wiederholungsköchin machen. Das ist Programm. Und wenn sich die Mühe gelohnt hat und Sie ein paar Rezepte für Ihre eigene bleibende Rezeptsammlung finden, schreibt Deb in der Einleitung, dann werde ich vor Freude über die hohen Gebäude in meiner Nachbarschaft schweben. 

So viel dazu, nicht melodramatisch zu werden!