Andreas Buhl, Heimat-Marmeladen

150 verführerische Rezepte mit heimischem Obst, Gemüse, Blüten und Kräutern

Fotos von Lucas Guico und shutterstock
Christian Verlag, München, 2023, 192 Seiten, 29.99 Euro
ISBN 978-3-95961-825-0
Vorgekostet

Heute reisen wir ins MARMELADENLAND.

Ohne auch nur kurz darüber nachzudenken, sprang Alice ihm (dem Kaninchen) nach, hinein in einen Tunnel und ehe sie merkte, dass sie in etwas hinunterfiel, das ein sehr tiefer Brunnen zu sein schien. 

Zuerst war es zu dunkel, um etwas zu erkennen; dann betrachtete sie die Wände des Brunnens und bemerkte, dass sie mit Küchenschränken und Bücherregalen bedeckt waren; hier und da sah sie Landkarten und Bilder, die an Haken hingen. Im Vorbeisausen nahm sie von einem der Bretter ein Einmachglas mit der Aufschrift »Orangenmarmelade« herunter, doch zu ihrer großen Enttäuschung war es leer. Einfach fallenlassen wollte sie es nicht, aus Angst, jemanden unter ihr damit zu erschlagen, und sie schaffte es, das Gefäß in einen der anderen Schränke zu schieben, an denen sie vorbeikam.* 

Schade, wir werden also nie erfahren, wie die Orangenmarmelade in Alice Wunderland schmeckt. Auch nicht, wie die Orangenmarmelade in Andreas Buhls Heimatland mundet. Denn das ist Hessen und in seinem Kochbuch Heimat-Marmeladen finden sich nur Rezepte mit heimischem Obst. Also verzichten wir auf die Orangenmarmelade und lassen uns verführen ins Reich der Heimat-Marmeladen

Hainburg im hessischen Landkreis Offenbach ist die Heimat von Andreas Buhl und die Region bekannt für ihre Streuobstwiesen und natürlich Äbbelwoi. Nun, Apfelwein macht Andreas nicht. Dafür Apfelgelee mit und ohne Calvados oder einfach ein Apfelgelee mit  Vanille. Bevor wir aber loslegen mit den Marmeladen und der Obstköchelei, geht es zurück an den Start, zur Einführung ins Buch. Im Vorwort schreibt Andreas: Als Kind kannte ich nur eine Sorte von Marmelade oder Gelee – nämlich die gute von Mama, in vielen verschiedenen Varianten. (…) Damals hatte ich mir eingebildet, dass alle Marmeladen so lecker schmecken würden … Viel später, mit der Rückkehr in seine Heimat und dem Ende seines beruflichen Nomadenlebens, fing er richtig mit dem Marmeladenkochen an. Zuerst ein Zeitvertreib und Arbeitsausgleich, nimmt die Verarbeitung von Obst, Gemüse, Blüten und Kräutern immer mehr Raum in seinem Leben ein. Familie und Freunde goutierten seine eingekochten Früchte, die Marmeladen wurden auf Märkten kleine Erfolgsschlager. Sein Erfolgsgeheimnis: viel Liebe, die er in jedes einzelne Glas steckt. Und wir können es auch mit 150 Rezepturen, die uns Andreas Buhl zur Verfügung stellt. Davor aber gibt es noch einen Schnellkurs über Kochtechnisches und Begriffe, über das Wichtigste im Zusammenhang mit den Zutaten wie auch eine Auflistung des Grund-Zubehörs inklusive Bezugsquellen. Mit der Beschreibung der Arbeitsschritte, dem Abfüllen und Aufbewahren erfährt man erste Details des Handwerklichen, das sich im eigenen Tun, sprich Marmelademachen, dann verfestigen und verfeinern sollte. Zur Verwendung der Marmeladen gibt es eine kleine Abhandlung, die mit einem außergewöhnlichen Geschenkstipp endet: Statt einem Tischkärtchen stellen Sie jedem Gast ein mit seinem Namen versehenes Marmeladengläschens auf seinen Platz. Hochzeitsmarmeladen zur Erinnerung an einen schönen Tag.

In der sehr persönlichen Einführung Buhls sind jahrelange Erfahrungen gebündelt; sie zu lesen sind ein Muss. Auch, weil gute Tipps darin vorkommen, z.B. Erdbeermarmeladen im Glas einzufrieren, damit sie das Aroma und die Farbe wie eine frisch gekochte Erdbeermarmelade behalten. Ja, das funktioniert und das Glas wird nicht platzen. Ein Trick von Oma Lina.

Jetzt aber geht es ans Eingemachte! Der Autor unterteilt seine Heimat-Marmeladen in acht Kapitel. Mit Beeren beginnt die Einkochzeit. Von der Brombeere pur bis zur Traube mit Zartbitterschokolade und gerösteten Mandeln finden sich hier viele ‚leckere Schmierereien‘. Auch weniger bekanntes wie die Jostabeere pur oder die Boysenbeere pur, beide Sorten sind Kreuzungen. Die Josta, ein Abkömmling von Schwarzer Johannisbeere und Stachelbeere; die Boysenbeer hat das Beste von Brombeere und Himbeere übernommen. Und dann finden sich noch zwei seltene Gäste in der Beerenabteilung, die Neugierige unbedingt ausprobieren sollten. Die Felsenbirne mit ihren purpurnen Früchten birgt die angenehme Noten von Heidelbeere und Marzipan in sich. Interessanter für mich ist allerdings der Speierling – eine Wildfrucht, die herb-säuerlich schmeckt und nicht so leicht zu verarbeiten ist. Im September und Oktober sollten die klein-apfelig-großen Früchte dann erntereif sein, d. h., das Fruchtfleisch teigig, weich und schokoladebraun. Klar, sind in diesem Kapitel auch die Erdbeeren mit unzähligen Zubereitungsarten vertreten, wobei die Erdbeere mit Tahiti-Vanille ein besonders genussvolles Erlebnis ist. Die Tahiti-Vanille schmeckt noch einiges intensiver als die Bourbon-Vanille. Und nicht vergessen: Erdbeermarmelade soll man einfrieren, weil sie sonst das Aroma und die Farbe verliert.

Im zweiten Kapitel steht das Kernobst im Mittelpunkt. Von Apfelgelee bis zum Sommerapfel pur reicht die Palette. Die Sommeräpfel werden zwischen Juli und August geerntet, sind deswegen recht säuerlich. Ideal für Apfelmus und eine besondere Marmelade, wenn wilde Brombeeren dazu kommen. Besonderheiten hier sind die Mispel- und Quittenverarbeitung. Die wenig bekannte Mispel sieht wie eine überdimensionierte Hagebutte aus. Kein Wunder, sind beide doch Angehörige der Familie der Rosengewächse. Zudem ist die reife Mispel mit ihrem fein säuerlichen Fruchtfleisch ein wahrer Löffel-Genuss.

Sehr ausführlich beschreibt der Autor, wie die Quitte zu verarbeiten ist. Dazu stellt er noch einige Rezepturen zur Verfügung, die ihrer Umzusetzung aber noch mindestens zwei Monate harren müssen. Also versuchte ich – zur Abteilung Steinobst wechselnd – für Zwischendurch die Aprikose mit gerösteten Mandeln. Und nicht nur ich war für die Röstaromen in der Marmelade sehr empfänglich. Jetzt steht die Mirabelle pur, die zuhauf am Radwegrand gedeiht und darauf wartet, geerntet zu werden. 

Kapitel vier, Blüten, Kräuter und Wildfrüchte, birgt ein paar besondere Schmankerln. Da trifft man auf die Kornelkirsche, die sich hinter dem Dirndl-Gelee versteckt. Die Hagebutte pur ist zwar sehr aufwändig in der Produktion, aber mit ihrem feinen Aroma unschlagbar. Hier ist die flotte Lotte das idealste Küchenwerkzeug, finde ich. Eine Entdeckung für mich waren die Rosenblütenmarmeladen, die mit Weinbergpfirsisch, Spätburgunder Weißherbst (Weiß- oder Rose-Wein), Erdbeere und Champagner köstlich vermählt werden. Wer Duftrosen im Garten hat, kann sich glücklich schätzen. In Ermangelung dieser werde ich auf Schlehen und Sanddorn ausweichen, was kein wirklicher Ersatz ist, sondern eine ganz andere Marmelade.

Die letzten vier Kapitel streife ich nur kursorisch. Bei den heimisch gewordenen Sorten fallen Aronia, Feige und Kiwi auf. Und in der Gemüseabteilung wird es geschmacklich wieder sehr heftig. Ob grüne Tomate, Karotte, Rote Paprika oder Zucchini, alles kann offensichtlich zu Marmelade verarbeitete werden. Die Kartoffelmarmelade fehlt mir, dafür sind Kürbis und Rhabarber gut vertreten.

Im Bier und Wein-Kapitel wird Flüssiges, nämlich Bier oder Apfelwein oder Gewürztraminer zu Gelee. Und am Ende sind es die Säfte: Beeren und Früchte, die von fest in flüssig verwandelt werden. Wenn auch der Quittensaft der aufwändigste in der Herstellung ist, sein Genuss ist kaum zu überbieten.

Heimat-Marmeladen von Andreas Buhl ist ein Gute-Laune-Macher, denn Marmelade machen macht glücklich. Vom Verzehr reden wir erst gar nicht und auch nicht von Alice und der Marmelade auf der Nase. Buhl verwertet in erster Linie regionale Zutaten bis auf den Zucker, der pur oder mit Pektin angereichert ist. Buhl verwendet Gelierzucker 1:1, weil der keine Konservierungsstoffe enthält. Auffällig ist auch, dass bestimmte Produkte häufiger zum Einsatz kommen, wie Ingwer, weiße Schokolade, diverse Brände oder Champagner. Sprachlich sehr präzise, und unmissverständlich ergänzt Andreas Buhl mit Tipps und Infos die Rezepte perfekt. Schade finde ich, dass sehr viele Fotos von shutterstock kommen, wie auch ein fehlendes Zutatenregister die Suche nach Rezepten erleichtern würde. Das sind aber im Vergleich zur ungeheuren Datenfülle in diesem Marmeladenbuch peanuts. Denn 150 Rezepturen muss man erst mal umsetzen. Und dann, aufs Brot schmieren, reinbeißen und dabei die Augen schließen. Welche Frucht schmecken wir da gerade raus, ist ein beliebtes Spiel mit meinen Enkeln.

* Lewis Carroll, Alice im Wunderland, Anaconda Verlag, 2008