Heute reisen wir nach ARGENTINIEN.
Ein Land, mit dem wir drei Begriffe verbinden: Tango, Fußball und Gauchos. Alle verkörpern sie Leidenschaft und Freiheit, die wir gerne hätten.
Argentinien ist das europäischste Land Südamerikas. Der vielen Staatskrisen wegen wurde die Hauptstadt wohl auch zur Welthauptstadt der Psychoanalyse. Die Stadt liegt am Ufer des Rio de la Plata, sie vereint in sich die Kultur des alten Kontinents mit der der neuen Welt. Es gibt Viertel mit viel europäischer Architektur. Die Gastfreundschaft der Bewohner ist berühmt. Im Stadtteil Palermo – der doppelt so groß ist wie Innsbruck – lebten Persönlichkeiten wie der Revolutionär Che Guervara und der Schriftsteller Jorge Luis Borges. Er beschreibt die nostalgische Seite seiner Stadt, die ihm den Stoff seiner Werke lieferte, mit Leidenschaft: Mein Buenos Aires, meine Kontemplation, mein Umherirren.
Ein Zitat, das auch auf Alfonsina Storni sehr gut zutrifft. Sie ist vier Jahre alt, als ihre Familie Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Tessin nach Argentinien auswandert. Mit fünfzehn beginnt Alfonsina Theater zu spielen. Als Alleinerziehende, die niemals den Kindesvater preisgibt, verdient sie sich unter anderem mit Schreiben ihren Lebensunterhalt. Ihre Lyrik macht sie berühmt und als Kolumnistin verschiedener Tageszeitungen stellt sie sich den Fragen ihrer und auch unserer Zeit.
Der erste Band, der hier besprochen wird, ist CUCA. Er vereint Erzählungen, Aphorismen & Reisenotizen sowie Literaturkritiken. Die Autorin seziert mit messerscharfem Blick die Gesellschaft Argentiniens. Ihre Texte sind Dokumente, die heute noch Gültigkeit haben. Die Sprache mag ein wenig gealtert sein, aber ihre Geschichten spiegeln die Bindung der Autorin zur Stadt und die darin beschriebenen Menschen, deren Schicksal zeitlos ist, sind eher die ‚kleinen Leute‘.
Stornis Texte sind teilweise autobiografisch. Ihre Erfahrungen als Lehrerin verarbeitet sie in Meine Schule. Man lebt nicht vom Singen allein, man muss auch durchkommen, ist ihr Lebensmotto, mit dieser Erkenntnis tritt sie vor die Klasse. Vor Kindern von Armen. Manchmal vergisst sie den Stundenplan und versucht den Kindern eine Idee einzupflanzen, eine Erkenntnis zu wecken, die über den Alltag hinausgeht. Zum Beispiel, dass kleine, unsichtbare Tierchen, im Mund, an den Händen, in der Nase, in der Luft, überall, eine ganze Reihe von Krankheiten übertragen. Unschuldig schauten sich die Kinder ihre Finger an, um die Tierchen entdecken zu können. Sie beschreibt so die Verbreitung der Tuberkulose über die Strohhalme, die zum Mate-Tee-Trinken verwendet werden.
Alfonsina ist eine Meisterin des Erzählens. Sie berichtet von der Cousine Enriqueta, dem kältesten Mädchen der Welt oder den fremden Leuten die sich aufgrund der Hochzeitsanzeige vor der Kirche aufstellen, um einen Blick auf die Braut zu erhaschen.
Eine der schönsten Geschichten handelt vom Schälen einer Orange und dem Verhältnis einer intellektuellen Frau zu einem jungen Sänger. Was zwischen der Fremden (Frau) und dem jungen Künstler geschah, werden Sie nie erraten.
Die Geschichten sind so kurzweilig, dass man schnell bei Seite 170 angelangt ist. Ab da werden fünf argentinische Speisen vorgestellt, die Christof Burkard beisteuert. Der Asado, das Gebratene, eigentlich ein gegrilltes Fleischstück, das die argentinischen Gauchos mit langen Holzlanzen ins Feuer hielten. Hierzulande reicht ein Grill. Dazu gibt es Chimichurri, eine Sauce, die wahrscheinlich von Einwanderern vom Mittelmeer mitgebracht wurde. Um den Namen ranken sich viele Gerüchte. Fest steht, dass Petersilie diese Würzmischung dominiert neben anderen Kräutern, die mit Öl und Essig zu einer pikanten Soße verarbeitet werden. Feuer und Fleisch sind die wichtigsten Bestandteile der argentinischen Küche und mit dabei ist immer Chimichurri. Die Soße passt nicht nur zu Rindfleisch, sondern auch zu Lachs. Wer es also mit Fisch probieren will, der verteile Chimichurri über den trockengetupften Fisch und lege alles zusammen in einen verschließbaren Plastikbeutel. Nach zwei Stunden im Kühlschrank kann der Fisch gegrillt werden. Die übrige Soße wird als Beilage serviert.
Die meisten Österreicher halten es wie die Mehrheit der Schweizer: Sie verwenden kein fertiges Paniermehl, sondern machen es selbst oder kaufen es beim Bäcker, das aus puren Semmelbröseln besteht. Und damit werden auch die Kalbskotelett à la Cuca paniert. Das Rezept ist eine kleine Homage an Cuca, der titelgebenden Frau mit der anmutigsten Mähne/Haarpracht, die ich (Storni) in meinem Leben je erblickt hatte. Mehr wird nicht verraten.
Schade ist, dass Storni über Essen wenig schrieb. Bei Dona Anna hätte es als Weihnachtsessen ein Huhn gegeben. Aber die kleine Henne legte ein Ei und das erinnerte Dona Anna an ihren Sohn Enrique und Mitleid erfüllte ihr Herz. Im ersten Zugfensterheft finden sich kurze Absätze, etwa über den Mais, ja, der lebensspendende Mais. Die Zivilisation gibt ihn uns an einem Imbisswagen zurück, serviert mit frittierter Banane und schmackhaftem Huhn.
Alfonsina Storni war eine exzellente Beobachterin ihrer Zeit. Selbst nahm sie sich als eine lebhafte flackernde Lampe wahr, die schrieb, um nicht zu sterben. Wir dürfen uns zurücklehnen, um staunend ihre Texte zu lesen über das Leben in Argentinien und Buenos Aires in den 20er und 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Zwischendurch darf auch genascht werden, bspw. leonas, gefüllte Löwinnen, wie die Windbeutel in Argentinien heißen.