Andrea Nguyen, Phở

Vietnams magische Wundersuppe. Die besten Rezepte

Mit Fotos von John Lee und Karen Shinto
Aus dem amerikanischen Englisch von Martin Rometsch
Christian Verlag, München, 3. Auflage 2024, 168 Seiten, 25.70 Euro
ISBN 978-3-95961-339-2
Vorgekostet

Heute reisen wir nach VIETNAM.

Ein Land, das nächstes Jahr groß feiern wird. Vor fünfzig Jahren, am 25. April 1975, kapitulierte Südvietnam bedingungslos. Aus amerikanischer Sicht war die Niederlage eine Katastrophe. Eine halbe Million Südvietnamesen verschwanden in Umerziehungslagern und drei mal so viele flüchteten. Viele der boat people strandeten in den USA. Auch Andrea Quinhgiao Nguyen, damals sechs Jahre alt, floh mit ihrer Familie und fand in Kalifornien eine neue Heimat. Mit im Gepäck ein Notizbuch mit Rezepten. Aber es sollten einige Jahre vergehen, bis Andrea ihre eigentliche Berufung entdeckt, die Küche Vietnams der westlichen Welt nahezubringen. Gleich ihr erstes Kochbuch Into the Vietnamese Kitchen wird ein Verkaufsschlager. Nguyens große Stärke liegt im Geschichtenerzählen, nämlich, Vietnams kulinarische Seite im Kontext der Kultur darzustellen. Darüberhinaus, und das ist entscheidend für eine gute Kochbuchautorin, sind ihre Rezepte klar und präzise formuliert. Manche NutzerInnen behaupten sogar, dass niemand es besser versteht, die Küche Vietnams zu beschreiben, als Andrea Nguyen. Viele Vietnamesen in der Diaspora kochen ihre Rezepte nach. 

Nun ist ein neues Kochbuch von ihr erschienen, thematisch einem kulinarischen Heiligtum gewidmet. Es geht um Suppen, eigentlich die asiatischste Suppe schlechthin. Pho, scharf ausgesprochen, ist das Nationalgericht Vietnams.

Eigentlich spielen Suppen in Südostasien eine andere Rolle als in der westlichen Welt, behauptet Joyce Jue. Die Brühen werden mit ein paar Einlagen als Teil einer warmen Mahlzeit zusammen mit anderen Gerichten serviert. Aus der Suppenschüssel, die in der Mitte des Tisches steht, können sich alle bedienen. Das bedeutet einerseits, dass sie dem puren Genuss dient, andererseits wirkt sie besänftigend. Besonders nach dem Genuss scharfer Gerichte, die ja alle gleichzeitig aufgetischt werden.

Ihre Stunde schlägt aber früh morgens, wenn die Massen zur Arbeit eilen. Dann gönnen sich viele an den Straßenküchen eine Pho, um munter zu werden.

Aber was ist Pho? Ein Tor zu den kulturellen Wurzeln? Dabei ist sie kein originär vietnamesisches Gericht, sondern verdankt ihre Entstehung und Vielgestaltigkeit wohl vielen KöchInnen. Wie sich die Pho behaupten konnte und zu einem flüssigen Mirakel entwickelte, das kann man nachlesen in Phở, Vietnams magische Wundersuppe – einem Büchlein, das im Christian Verlag erschienen ist.

Dass die Franzosen an dem gesellschaftlichen Aufstieg der Pho beteiligt waren, mag verwundern, ist aber so. Sie brachten Rinder nach Vietnam, ließen den Einheimischen  die minderwertigen Stücke wie Rinderknochen und zäh-fasriges Fleisch, die damit eine eintopfartige, mit Fischsauce, Sternanis und Zimt aufgepeppte Suppe machten. Später kamen angebratene Zwiebeln und Ingwer dazu sowie kleine Nudeln – der Einfluss aus Südchina. Fertig war die Ur-Pho.

Ngyen hat nicht nur viel recherchiert. Einige Jahre bot sie in ihrem eigenen kleinen Lokal die Pho an, führte dabei mit ihren Kunden wohl viele Gespräche über die Einzigartigkeit der Suppe. Selbst die korrekte Schreibweise à la Oxford Dictionary wird aufgespürt. Das Ergebnis ist eine Art Pho-Leitfaden, der vom Rüsten der Zutaten über Brüh-Methoden bis zu den kleinsten Details wie bspw. das Entfernen von Ingwerhaut und verkohlter Zwiebelschalen alles Wesentliche zusammenfasst. Hier wird kompaktes Wissen vermittelt, das uns über die Zubereitung der Pho hinausführt. 

Jetzt könnten wir loslegen! Aber welche Art Pho wollen wir zubereiten? Die Entscheidung hängt von den zur Verfügung stehenden Gerätschaften ab und wieviel Zeit wir investieren wollen. Nguyen unterteilt ihre Pho-Rezepte in vier Kategorien: einfach und sättigend bzw. schnell und fabelhaft stehen zunächst zur Disposition. Die Steigerungen sind dann wie Knaller ohne Fleisch oder Kracher der alten Schule. Zwischen der ersten und vierten Stufe liegen denn auch einige Stunden der Zubereitung – im wahrsten Sinne des Tuns. Letztere sind auch Klassiker und manche von Ihnen dürften schon einige gekostet haben. Bspw. die Klassische Hähnchen-Pho oder die Rindfleisch-Pho im Saigon-Stil oder im Hanoi-Stil. 

Die Steigerung der Rezepte geht auch einher mit der Steigerung der Kochzeit. Sind es anfänglich ca. 40 Minuten für die schnelle Hühnchen-Pho, kann die Zubereitung der Rindfleisch-Pho im Hanoi-Stil schon 4, 5 Stunden dauern.

Eine der besten Pho Ba hat mir Freund Gilg serviert. Ich kam von einer Schitour spät abends zu meiner Silvesterrunde. Alle hatten schon gegessen, und ich löffelte knapp vor Mitternacht einsam und hungrig mein Süppchen. Fast meditativ rückte ich mit jedem Bissen mehr in die Ferne an den Mekong, verlor Raum und Zeit, so stark wirkte die Pho Ba. Da wurde mir bewusst, dass Hunger ein wesentliches Element für die Pho ist.

Ab dem 3. Kapitel wird es abenteuerlich, denn Nguyen fordert, ungeniert direkt erfinderisch und experimentell an die Pho heranzugehen. Allerdings stellt sie ein Sicherheitsnetz mit ihren Rezeptvorschlägen zur Verfügung. Anders ausgedrückt: Die Pho öffnet sich für neue Geschmackserlebnisse, etwa mit gebratenem Reis und Saté-Sauce. In Nudelsalat mit Hühnchen-Pho wird die Suppe zur Beilage. Während die Meeresfrüchte-Pho an die Bouillabaisse auf Vietnamesisch erinnert, ist die Lamm-Pho mit ihrer nach Wild schmeckenden Brühe nichts für Zartbesaitete. Letztere kann ihren exponierten Geschmack durch Mischen von Rind- und Lammfleisch samt Knochen mildern.

Die Bandbreite der Pho-Zubereitung ist enorm und fast unbegrenzt erweiterbar. Von einfach bis extrem aufgemotzt, mit Beilagen, die nicht nur die Suppenschalen verschönern. So lässt sich die einfache Pho mit Steak, in dünnen Scheiben geschnitten oder gebratenem Tofu schnell zu einem köstlichen Essen aufwerten. Die Rindfleischbällchen waren der Hit beim letzten Familienessen, selbst meine Enkel konnten nicht genug bekommen von den kleinen Bällchen. Sie forderten gar ein, für die nächste Pho die Knödelchen selber zu machen. Aber auch mit Saucen und Würzen lassen sich neue Geschmackswelten der Pho eröffnen.

Ein eigenes Kapitel widmet Andrea der pfannengerührten Pho und taucht damit tief in den chinesischen Kochalltag ein. Ob pfannengerührt, gebraten oder frittiert, Zutaten wie Nudeln, Pilze, Pak Choi, Garnelen und Tofu entfalten durch diese asiatischsten Arten der Zubereitung erst ihre kulinarische Wirkung.

Im letzten Kapitel wird die Pho-Mahlzeit erweitert und Snacks sowie Getränke lassen die Suppe zu einem Teamplayer werden. Appetithappen wie der Pho-Pot-Sticker oder die Reispapier-Salatrollen oder eingelegten Bohnensprossen werten die Pho zu einem Menü auf. Ob das Ende des Mahls auch flüssig ist, hängt von Ihnen selbst ab. Im Angebot stehen vietnamesischer Kaffee oder Hanoi-Bullshot, eine Art Bloody Mary mit einem Schuss vegetarischer Pho. Und damit sind wir wieder am Anfang, bei der Zubereitung einer Pho-Suppe. Von der Andrea Nguyen behauptet: Wenn Sie Wasser kochen können, dann meistern Sie auch das vietnamesische Nationalgericht.

Phở von Andrea Nguyen ist Lesebuch und Rezeptesammlung in einem. Wir erfahren hier von einem einfachen Süppchen, das die ganze Welt erobern wird.

Wer einmal auf die Pho gekommen ist, wird zum Wiederholungstäter, sie immer wieder machen. Herumschrauben an den Stellschrauben des Geschmacks und feststellen, dass die Pho fast unbegrenzte Möglichkeiten besitzt, noch besser, noch ausgeklügelter zu werden. Lassen Sie sich ein auf ein wunderbares Erlebnis, auf die einzigartige Pho!