Beata Zatorska & Simon Target, Rosenmarmelade

Ein Sommer in Polen - Rezepte und Geschichten

Fotos von Simon Target
Aus dem Englischen von Barbara Holle
Gerstenberg Verlag, Hildesheim, 2013, 320 Seiten, 37.-- Euro
ISBN 978-3-8369-2780-2
Vorgekostet

Heute reisen wir nach POLEN.

Wir befinden uns in der Mitte der 1980er Jahre. Beata, eine junge Polin, wandert mit ihren Eltern nach Australien aus. Sie wird Ärztin. Heiratet einen Aussie, bekommt zwei Kinder, ist erfolgreich. Sie lebt in Sidney. 25 Jahre später kommt ihr Mann Simon mit zwei Flugtickets für Polen nach Hause. Und so beginnt sie, die Sommerreise.

Rosenblätter sammeln durfte Beata bereits mit fünf Jahren. Für ihre Großmutter Józefa, die die Blüten in einen großen Steinmörser füllte, mit Zucker bedeckte und zu einer dicken, rosafarbenen Paste zerstampfte. Rosenmarmelade. Es sind diese Farben und Düfte früher Kindheitserlebnisse, die sich zum unauslöschlichen Geschmack des Sommers verdichten. Die Rückkehr in das Dorf ihrer Großmutter in Niederschlesien ist gleichzeitig Trauerbewältigung und Ausgangspunkt eines Trips durch das sommerliche Polen mit vielen Verwandtenbesuchen. Gastfreundschaft ist groß geschrieben und köstliche Festessen sind unausweichlich. Erinnerungen werden lebendig. Beata kann den süßen Duft von Józefas Rosenmarmelade riechen. Rosenmarmelade ist auch der Titel einer Buch gewordenen Rundreise, das im Gerstenberg Verlag erschienen ist. Die Reise beginnt vor einem Vierteljahrhundert, um nach 130 Seiten im Jetzt anzukommen. Spielerisch, fast wie ein Schauspiel inszeniert, ziehen Text und Bilder mich Leser in den Bann. Grandios gestaltet mit Bildern die uns hineinziehen in ein Polen, wie es wenige kennen. Fast märchenhafte Aufnahmen von Wiesen in saftigem Grün, mit und ohne Mohnblumen, Holzspielzeug, Bauernhäuser, Schlösser, Gärten, Wälder, Großstadtfassaden, dazwischen eingestreut alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen mit familiären Motiven und natürlich sehr viele Foodfotos. Tischdeckchenmotive als Hintergrund, Bordüren als Raumteiler, eine fünfjährige Beata mit Nudelwalker – ganzseitig; bei dieser Bilderflut wird einem warm ums Herz und heimelig. Da wird etwas in uns angerührt, das wir aus unserer eigenen Kindheit zu kennen glauben. Simon Target, Drehbuchautor sowie Regisseur unzähliger australischer Fernsehsendungen und Ehemann Beatas, lässt uns mit seinen meisterhaften Fotos diese Polenreise wie einen Film wahrnehmen. Und Beata? Sie nimmt uns bei der Hand und führt uns wie eine Fremdenführerin durch Landschaften und Städte. Schlesien, Masowien, das Riesengebirge, die Karpaten, Posen, Breslau, Krakau, Warschau, Danzig und weitere Orte werden vorgestellt. Darin eingebettet unzählige Rezepte aus den besuchten Regionen. Von Verwandten und Bekannten und natürlich von Großmutter Józefa. Sie ist immer präsent: „Wenn ich mir heute die vergilbten Seiten ansehe, auf denen meine Großmutter ihre Rezepte aufgeschrieben hat, ist es, als würde ich ihre mit Mehl überzogene und mit Zuckerkristallen übersäte Hand berühren. Ich kann hören, wie die Bodendielen unter Józefas Füßen knarren …“.

Lebendig gewordene Erinnerungen sind das, die in duftende polnische Spezialitäten münden und munden.

Zum sommerlichen Auftakt gibt es zunächst einen erfrischenden Drink aus 1 kg Erdbeeren: In 1,5 l kochendes Wasser werden 200 g Zucker aufgelöst und dann über die entstielten Früchte gegossen. Fertig ist das Trinkkompott, das sich in Einweckgläsern abgefüllt und sterilisiert, bis zum Dezember problemlos hält. Mit der polnischen Küche verbindet man aber anderes. Eingelegte Gurken zum Beispiel. Sie werden mit Dill und Knoblauch, sowie – man staune – den Blättern von Obstbäumen oder Sträuchern eingekocht.

An Feiertagen gibt es in Polen traditionell einen Mohnstrudel. Sehr saftig mit Rosinen und Orangeat, so habe ich ihn bei meiner Gastfamilie kennengelernt. Anders, nämlich mit gehackten Mandeln und Walnüssen gefüllt, und damit auch eine Spur trockener, bäckt Beata ihren Mohnstriezel. Dazu einen guten Kaffee und zum Ausklang vielleicht einen Sauerkirschllikör oder Minzlikör, was will man mehr?

Sehr polnisch sind Pierogi-Teigtaschen wie sie auch in Italien, in Russland, in der Ukraine und anderswo zubereitet werden, nur sind sie dort anders gefüllt. Oder doch nicht? Jedenfalls waren die Józefaschen Pierogi mit Buchweizen und Käse eine Versuchung wert. Meine Vegetarier-Tochter, zeigte sich erstaunt über dieses einfache und köstliche polnische Gericht, das ich ihr, allerdings ohne Speckwürfel, servierte.

Ausgezeichnet geschmeckt und optisch gefallen haben mir Józefas Gänseblümchen-Eier. Schnell zubereitet ergeben drei Eier mit Kräutern gewürzt ein einfaches, leichtes Mittagsmahl. Üppiger dagegen ist das polnische Rindsgulasch mit den schlesischen Kartoffelklößchen – die nordische Verwandten der Gnocchi – als Beilage. Während die Italiener sie aus Kartoffeln und Mehl zubereiten, werden Tante Sabrinas SchlesischeKartoffelklößchen aus Kartoffeln, Kartoffelstärke und einem Ei geformt. Lustige kleine Knödel mit einer Delle, die wunderbar zum Gulasch passen.

Eine interessante Entdeckung waren die Liebesschleifen. Ein Gebäck, das den in die Schlacht ziehenden Rittern mitgegeben wurde, um sie daran zu erinnern, dass zuhause jemand auf sie wartet. Mich erinnern sie an die Südtiroler Strauben, die auch zu besonderen Anlässen gebacken werden. Der Inhalt ist gleich, die Form anders.

Beatas Sommer in Polen ist auch eine Reise in die polnische Kultur. Chopins Geburtshaus steht auf dem Besuchsprogramm genauso wie Thorn, eine Universitätsstadt an der Weichsel, in der Kopernius geboren wurde. Heute bekannter wegen des Thorner Honigkuchens, den man in allen möglichen Formen bekommt, sogar als Kopernikusportrait. Sie können mit dem Thorner Honigkuchen  gerne ihr eigenes Konterfei kreieren, das Rezept ist abgedruckt. Kopernikus begegnen wir noch einmal in Krakau. Eine wunderschöne Stadt mit dem größten mittelalterlichen Marktplatz, dem Rynek Glowny, mit über 200 Kellerkneipen, dem jüdischen Stadtteil Kazimierz, in der Schindlers Fabrik steht, die hunderten Juden das Leben rettete. Spielberg machte daraus den Spielfilm „Schindlers Liste“. Noch vor wenigen Jahren lebten in dieser südpolnischen Stadt drei Nobelpreisträger. In den Restaurants werden Golabki serviert, Kraut-, d. h. Kohlrouladen mit Tomatensauce und Kartoffelpüree. Die hat Beata schon bei ihrer Großmutter gerne gegessen, die bei der Zubereitung die ganze Familie zum Falten der Kohlblätter einzuspannen pflegte. Ich habe mich in einem von Studenten geführten kleinen Pirogi-Lokal durch unzählige Varianten von Teigtaschen gebissen. Unter anderem gab es eine süße Verführung, Pierogi mit Sauerkirschen.

Du hier weinst, und die dort tanzen. Tanzen dort in deiner Träne. Feiern dort, sind ausgelassen heißt es in einem Gedicht der Nobelpreisträgerin Wislawa Szimborska, die in Krakau lebte. Und das könnte für die „bedauernswerte polnische Emigrantin auf der Suche nach ihrer Kindheit“ stehen. Knapp vor ihrer Rückreise nach Australien kaufte Beata Heimat ein. In einer alten Musikalienhandlung erstand sie viele alte Aufnahmen von polnischem Jazz, Musik aus den 60er und 70er Jahren und einiges mehr, soviel wie als Fluggepäck gerade noch erlaubt war. Und im Schatten der Arkaden auf dem Marktplatz sitzend, bei Tee und frischen Paczki, Krapfen mit Rosenmarmelade, könnte die Idee zu diesem Kochbuch entstanden sein. Herausgekommen ist eine Liebeserklärung an ihre Familie, an Polen. Ein tolles Buch, das jede Menge Überraschungen birgt, sei es in kultureller oder kulinarischer Hinsicht. Krapfen mit Rosenmarmelade ist natürlich auch abgedruckt. Und, Großmutter Józefa ist mir sehr ans Herz gewachsen, allein schon wegen ihrer Rezepte – sie erinnert mich auch irgendwie an meine Oma.

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