Was bleibt.
Kein Ausrufzeichen. Kein Fragezeichen. Zwei Worte – die Bilanz von 80 Jahren.
Was bleibt ist der Versuch eine Persönlichkeit darzustellen und zwar mit einer Außen- und einer Innensicht. Zwei interessante Ansätze. Zusammengefasst in zwei Bänden auf insgesamt 680 Seiten.
Was bleibt – ist ein Koch-Leben.
Was bleibt von Eckhart Witzigmann, dem Jahrhundertkoch?
Eine Frage, die er sich selbst stellt und auf die es keine endgültige Antwort gibt. Denn Witzigmann ist vieles und deshalb gibt es eine Menge Möglichkeiten der Annäherung.
Er ist ein Kochkünstler und Restaurantbetreiber, der es zu Ruhm und Reichtum gebracht hat.
Er ist ein begnadeter Koch, der die Reichen und Gourmets kulinarisch verwöhnte, Sportler und Prominente. Queen Elisabeth II., George Bush wie auch Michael Gorbadschow sind von ihm bekocht worden.
Er ist ein Krieger. Sein Schlachtfeld ist die Küche – ewig im Kampf mit der Perfektion. Hier kommt Dali ins Spiel, den Witzigmann gerne zitiert und der meinte: Versuche nie, die Perfektion zu erreichen, denn du wirst sie nie erreichen. Trotz dieser Erkenntnis war und ist Witzigmanns Ziel die ewige Suche nach Perfektion. Aber nicht die absolute Perfektion, sondern das Mantra, sich immer weiter zu verbessern und zu optimieren, ein Leben lang.
Er ist ein Anführer. Chef wird er von seinen Schülern und ehemaligen Mitarbeitern genannt. Liebevoll, mit Herz.
Er hat immer aus dem Vollen gelebt, der Liebe gefrönt, seine Karriere bestens verwaltet. Dabei bescheiden geblieben. Ja, das geht. Wenn er auch fürchterliche menschliche Krisen durchstehen musste und auch wegen Drogenkosum verurteilt wurde.
Als Kochkünstler ist er der Vollender der Nouvelle Cuisine in der Nachfolge von Paul Bocuse, Roger Vergé, den Brüdern Troisgros. Ein gewaltiger Erneuerer der deutschen Küche.
Er ist ein großer Magier im Bereich der verarbeiteten Produkte und einer der tiefsten Deuter des menschlichen Geschmacks.
Was bleibt von Eckhart Witzigmann, wenn 25 namhafte Köche, die auch seine Schüler waren, ihren Meister vorstellen?
25 Starköche, keine Frau, wurden von Witzigmann selbst gebeten, ein Gericht des Chefs vorzustellen und neu zu interpretieren. Das ist quasi eine Werkschau, ein historischer Kochquerschnitt über mehrere Jahrzehnte. Der Ausgangspunkt ist ein von Witzigmann kreiertes Menü. Das wird als Rezept vorgestellt und in weiterer Folge von seinen ehemaligen Koch-Schülern neu interpretiert. Als Draufgabe geben die Starköche noch ein besonderes Rezept aus ihrem Koch-Repertoire dazu, was ich als Respektbezeugung für ihren Lehrmeister deute.
Drei Beispiele:
Matteo Ferrantino stellte Witzigmanns Klassiker Tatar von Kalmaren in der Rotbarbe vor, interpretierte das Rezept neu als Rotbarbe mit Tintenfisch, Basilikum, Aioli und Erbsen und steuerte dazu noch sein Meisterstück bei, den Loup de mer mit Tomate, Sepia, Oktopus, Wachtelei und Kichererbsen.
Hans Haas nahm sich Witzigmanns Spiegeleier auf Rahmspinat und Alba-Trüffeln an, verwandelte sie in Gebackenes Ei auf Rahmspinat und würdigte seinen Chef mit der berühmt gewordenen verkohlten Sardine mit Curry-Sauerrahm.
Marc Haeberlin servierte Witzigmanns Hechtnockerln auf Blattspinat, deutete sie zu Mousseline de Grenouilles um und wartete mit Tournedos von der Taubenbrust mit Trüffeln und Wirsing auf.
Mit diesem Werkband, der 75 Rezepte enthält, wird Kochgeschichte zelebriert. Da werden Klassiker der Vergangenheit vorgestellt und uminterpretiert oder besser gesagt, in die Gegenwart transferiert. Das ist spannend, auch weil damit sehr schön die Veränderung des Kochens demonstriert wird. Nur der Anspruch, die Qualität, das Niveau handwerklichen Könnens ist immer gleich geblieben.
Die vorgestellten Rezepte sind des Jahrhundertkochs Eckhart Witzigmann würdig. Das bleibt.
Wie auch die tief empfundene, herzliche Dankbarkeit Eckhart Witzigmanns gegenüber seinen Lehrern, seinen Lebensmenschen und seiner Lebensgefährtin Niki. Auch die zahllosen Projekte und Unternehmungen etwa das Tantris und die Aubergine in München, das Ca’s Puers auf Mallorca, der Hangar 7 in Salzburg und einiges mehr.
Das alles gehört zur Geschichte von Eckhart Witzigmann was ihn zu einem Koch-, manche meinen zu einem Nationalhelden, macht. Nicht, weil er es zu Weltruhm gebracht hat, das haben andere vor ihm auch. Nein, es ist der Respekt gegenüber seinem menschlichen Umfeld, gegenüber den hochwertigen Grundprodukten die erst seinen Erfolg als Koch ermöglichten. Er ist ein Sammler von Wissen, ein Zeitzeuge und unbestechlich was er mit seiner Kochkunst beweist. Ein Großer seiner Zunft. Die zweibändige Lebens- und Werkschau sind eine Annäherung an 80 Lebens- und 50 Kochjahre.
Im ersten Band lässt Witzigmann sein Leben Revue passieren. In zehn Kapitel präsentiert er seine Gedanken rund ums Kochen. Emotional und mitreißend sind Witzigmanns kochphilosophische Betrachtungen, untermauert mit kleinen Geschichten. Die Reduktion auf das Wesentliche, das unverfälschte, frische Produkt und der Geschmack sind sein Credo und die Eckpfeiler seiner Küche. Und weil Witzigmann akzeptiert, dass die jungen Leute von seinen Gerichten meinen, sie seien ein alter Hut, zeigt das seine Größe. Kochen ist ein Kontinuum.
Der zweite Band mit den Menüs ist zweigeteilt. Neben den Rezepten erzählen die ehemaligen Azubis und heutigen Starköche von ihrem Verhältnis zum Chef. Kleine Anekdoten wie Licht- Spots. Kurze Lebensausschnitte, die vor allem die Einstellung des Jahrhundertkochs zu seinen Mitarbeitern und sein Arbeitsethos aufzeigen. Man erfährt viel über die Person Witzigmann und den Respekt der ihm entgegengebracht wird. Stephan Franz, der in Witzigmanns Aubergine in der Patisserie stand, schrieb über die emotionalen Eckpunkte, an denen der Chef zeigte, ob und wie wichtig man ihm war. … Er war wohl der Meinung, ich hätte Talent. Aber er sagte auch: “Wenn der Preuße in den Topf guckt, dann kommen die Knödel nicht hoch.“ … Viel später bestand der große Chef darauf, dass ich für seine Veronique (Tochter) die Hochzeitstorte fertigte. Das und andere Ereignisse zeigten Franz wohl, dass er seinem Chef nicht ganz gleichgültig war. Für Joachim Gradwohl war es an der Seite Witzigmanns im Aubergine eine einzigartige Zeit, da wurde gekocht, so wie ich es mir stets erträumt hatte: Im Vordergrund standen die Besonderheit der Lebensmittel und die pure Leidenschaft fürs Handwerk und Profession. Allen Köchen gemeinsam ist das unbedingte Wollen, bei Witzigmann zu kochen. Alfons Schuhbeck hat sich gar 35mal beworben, bis es dann klappte. Für viele seiner Schüler war ihr Chef Transmissionsriemen ihrer Karrieren, bewusst oder unbewusst. Witzigmann war Visionär, seiner Zeit voraus. 1982 meinte er zu Hans-Peter Wodarz: „Ich glaube, wir müssen uns mal Gedanken machen über eine euro-asiatische Küche.“
Berührend ist der Respekt, die absolute Loyalität Witzigmanns zu seinen Lehrern, Ludwig Scheibenpflug (Bad Gastein), Paul Bocuse (Lyon), Roger Vergé (Mougins) und vor allem Paul Haeberlin (Illhaeusern), der ihm wie ein Vater war. Ihm schrieb er Briefe wo er gerade ist und was er neues gelernt hat zu kochen. Diese Briefe wurden wiedergefunden und Sohn Marc Haeberlin übergab sie ungelesen dem Absender. Was bleibt sind auch Zeugnisse zwischenmenschlicher Beziehungen und das nicht wenige.
Was bleibt ist ein Dokument über ein Ausnahmetalent der Kochszene. Was bleibt ist auch das Lachen, das zu Witzigmanns Markenzeichen wurde, was die vielen Aufnahmen auch im Fotoalbum belegen. Ein roter Faden und Selektion hätten diesem Kapitel eine schöne Fotoausstellung beschert.
Was bleibt sind Witzigmanns kulinarische Klassiker, die, immer aktuell sind: Gefülltes Kalbskotelett mit Chicoree, Tatar von Kalmaren in der Rotbarbe, Erdbeerrosette auf Rhabarberschaum, Chartreuse von der Taube in Madeira-Gelee, Spiegelei auf Rahmspinat mit Alba-Trüffeln, Aubergine „Drei Tenöre“. Das Kalbsbries Rumohr fand bei unzähligen Gästen großen Anklang. Wie auch das Rote Bete-Gelee mit Beluga-Malossol-Kaviar oder das Lebkuchensoufflée mit Altbier-Saboyen und Preiselbeeren. Was bleibt, ist auch der Eindruck, dass bestimmte Produkte in seinen kuliarischen Kreationen mehr verwendet wurden, etwa das Ei, Spinat und Trüffel – aber das ist eine gewagte Aussage und aus einem Bauchgefühl heraus formuliert. Gesichert hingegen ist Witzigmanns Einforderung von Frische und Qualität der Produkte, wie auch das gute Einvernehmen zwischen Produzenten und Koch, was auch der Produktwahrheit dient. Was bleibt ist seine Einstellung regionales, saisonales und nachhaltiges zu fourcieren, ohne die anderen Köstlichkeiten der Welt aus den Augen zu verlieren.
Was bleibt ist jene Erkenntnis, dass Witzigmanns Ideen und Kreativität auf dem Teller immer Erfolg garantieren. Auch, dass seine korrekte Art im Umgang mit Freunden, Mitarbeitern und Gästen, ihn als einen Unbestechlichen qualifizieren.
Darüber und über vieles mehr schreibt er im Werkband von Was bleibt – vor allem die ersten fünf Kapitel sind aussagestark und lassen Witzigmanns innerste Gedankenwelt mit all seiner Spannung spüren. Für Kochfreaks ist Was bleibt eine Fundgrube und für Verehrer des Chefs ein würdiges Geburtstagsgeschenk an sich selber.