Andreas Döllerer, Das WIRTSHAUS

Rezepte und Geschichten aus dem Salzburger Land

Texte und Konzept: Alfred Rabl
Mit Fotografien von Joerg Lehmann
Brandstätter Verlag, Wien, 2021, 240 Seiten mit Lesebändchen, 35.— Euro
ISBN 978-3-7106-0445-4
Vorgekostet

Heute gehen wir ins WIRTSHAUS.

Die klassischen Wirtshäuser werden immer weniger. Gab es früher in jedem Dorf mindestens ein Gasthaus, steht man heute vielerorts vor verschlossenen Türen, an der Fassade der verblassende Schriftzug Gasthaus Traube oder Gasthof Mühle oder Gasthof zum Hirschen. Dabei waren und sind Gasthäuser eine wichtige Institution, Orte der Geselligkeit. Ein Lokal, wo Stammgäste das Heimatrecht haben. Ja, ja, es gab und gibt natürlich auch das berüchtigte rechtslastige Stammtischgeschwafel, aber das lassen wir heute links liegen. Uns interessiert das Wirtshaus per se als jener Ort, an dem sich viele einfach ‚wia z’Haus‘ fühlen. Es ist ein geschützter Raum, in dem persönliche Sorgen vergesellschaftet und kollektive Vorurteile stabilisiert werden, hat jemand mal behauptet. Für Christoph Wagner, der verstorbene Restaurantkritiker, ist ein Wirtshaus jedes Haus in dem es einen Wirt gibt. Und weiters: Ein Wirtshaus ist ein Platz, an dem vorwiegend bodenständig gekocht wird. Diese Definitionen treffen auf das Wirtshaus Döllerer in Golling voll zu. Und der Wirt dort, Andreas Döllerer, befragt nach der Unterscheidung von Wirtshaus und Gasthaus, würde antworten: Im Wirtshaus hat der Wirt das Sagen. Diese freundliche Diktatur beim Essen und Trinken ist es, was Wirtshäusern Unverwechselbarkeit und Stil verleiht. Und wie um dies zu erhärten, hat der Döllerer-Wirt Andreas zusammen mit Alfred Rabl ein Kochbuch kreiert. Das WIRTSHAUS, so der Titel, enthält Rezepte und Geschichten aus dem Salzburger Land und ist im Brandstätter Verlag erschienen.

In der Einleitung erklärt Andreas Döllerer, dass zu einem viel besuchten Wirtshaus neben der guten Küche und Bedienung auch die Persönlichkeit des Wirten gehört. „Willkommen“ sagt die ausgehängte Speisekarte zum Gast bevor er das Wirtshaus betritt. „Willkommen“ sagt der Wirt. „Willkommen“ sagt die Wirtin und der Stammtisch und der Stuhl und das kleine Bier. „Willkommen“ sagt das Salzburger Bierfleisch oder die gerösteten Kalbsnieren. „Auf Wiedersehen“, sagt der Gast schließlich und fragt: „Habt ihr Morgen auch wieder offen?“ „Morgen ist Ruhetag“, antwortet der Wirt, und lächelt. „Aber für dich, der du nie genug kriegen kannst, gibt es dieses Kochbuch.“ Diese gekürzte Textpassage „Du schon wieder?“ von Co-Autor Rabl spiegelt die Freude und lustvolle Auseinandersetzung mit dem Thema Wirtshaus und Essen wider. Es sind zwischen den Rezepten eingebettete kurzweilige, genussvolle Leseausschnitte, die sich durch das ganze Buch ziehen. 

Aufgebaut ist das Wirtshaus-Kochbuch nach den Anforderungen, denen sich ein Wirt stellen muss. Das beginnt mit dem Frühschoppen. Das ist der Brunch des Landmenschen, der schon einige Stunden im Feld oder im Stall arbeitete. Dementsprechend deftig sind die Gerichte, die aufgetischt werden. Das Rieslingsbeuscherl oder die Rindssuppe Döllerer mit Grießnockerln sind gefragt und werden von den Gästen immer wieder bestellt. Oder das scharfe Kesselgulasch, das der Wirt des Vertrauens dem Erschöpften von einer durchgearbeiteten Nacht empfiehlt. Dieses Gericht mit dem würfelig geschnittenen gut durchzogenen, gelierten Wadschinken wird mit kleinen Pfefferoni scharf gemacht. Man findet es auf Speisekarten vieler Landgasthäuser  hinauf bis an die Ostsee und hinüber ins Ungarische, allerdings überall ein bisschen anders zubereitet. Der Döllerer richtet das Gulasch mit Spätzle aus Dinkelmehl an. Auch eine gute Idee.

Gegen Mittag verlassen viele dann das Wirtshaus und es kommen neue Gäste, die Hunger haben. Die Speisen beim Döllerer haben offensichtlich viel zu erzählen. Das Krauthendl mit Paprika oder das Original Salzburger Bierfleisch schwelgen in der Tradition und lassen sich mitunter von zeitgemäßen Strömungen beeinflussen, nur zum Vorteil. Ein Blick über die Alpen ins benachbarte Italien beschert uns die Erdäpfelgnocchi mit Basilikum-Bärlauch-Pesto. Eines der wenigen Rezepte, das ohne Wein-Zutat auskommt in dem eher fleischlastigen Kochbuch. Das ist keine Negativ-Kritik, sondern eine reine Feststellung. Der Region geschuldet sind Gerichte wie der Blunz’nknödel mit Rahmwirsing oder das gebackene Kalbsbries, das in Frankreich synonym für gehobene Küche steht. Das Rezept ist sehr straff gehalten und man erfährt fast zu wenig über das Bries, diese Wachstumsdrüse des Kalbes. Das zweilappige Organ wiegt etwa 450 g und ist geschmacklich und in der Textur dem Hirn ähnlich nur zarter. Das ganz frische Bries wird bspw. in Frankreich für einige Stunden in kaltes Wasser gelegt, damit die sie umgebende Haut aufweicht und sie wie auch Blutrückstände sich leichter entfernen lassen. In Butterschmalz herausgebacken, erinnert das Gericht an einen panierten Zellhaufen von unvergesslichem Geschmack.

Die gefüllte Rindsroulade mit Bergkäsepüree überrascht mit der Beilage. Wenn der Autor es Bocuse anrechnet, Butter, Butter, Butter ins Püree zu mischen, so war es Robuchon, der das einfache Kartoffelpüree auffettete; aber sei es wie es will, der Käse kommt von Andreas Döllerer hinzu.

Aufmerksam und neugierig wurde ich auf das Kürbis-Damnidei, wegen des eigenartigen Rezeptnamens. Damnidei, erfuhr ich aus dem Internet, lässt sich mit Daumennudeln übersetzen. Und natürlich, die Form ähnelt den Gnocchi bzw. den Kartoffelpaunzen. Jedenfalls waren die Kürbis-Damnidei mit Butternuss- und Hokkaido-Kürbis inklusive Paprika-Spitzkraut ein Hochgenuss.

Eingestreut zwischen den Rezepten sind auch Aufnahmen vom Salzburger Land sowie Menschen in trauter Zweisamkeit, auch manches architektonische Detail und immer wieder die Gerichte selbst. Hier verschränken sich die Rezepte mit dem Bildmaterial zu einem höchst vergnüglichen Bilder-Lese-Kochbuch.

Der Familie ist das dritte Kapitel gewidmet und birgt den Schatz an Familienrezepten, Lieblingsgerichte vom Bröselkarfiol über den Burgunderbraten-Rindsbraten bis zur Salzburger Mett’nsuppe, die traditionell nach der Weihnachts-Christmette gegessen wird.

Das Salzburger Land ist auch Teil des Alpenhauptkamms und lädt zum Wandern und Schifahren ein. Ihnen sind eigene Kapitel gewidmet. Und wer sich wundert, dass hier eine Kaspressknödelsuppe angeboten wird, dem ist nicht zu helfen. Denn Kaspressknödel können süchtig machen, weiß man aus eigener Erfahrung. In jedem Gasthaus, auf jeder Alm werden sie angeboten wie auch der Kaiserschmarrn mit Zwetschgenröster

Dem Kaffee samt Süßem wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Tea time in den Alpen nennt sich Kaffee-Essen, wobei Letzterer mit einer lapidaren Erwähnung als Häferlkaffee abgespeist und das Augenmerk auf das Süße gelegt wird. Der Bauernkrapfen mit Marillenmarmelade feiert seine gesellige Auferstehung und mit den Dukatenbuchteln wird gar ein Migrant zugelassen, der mit lokalem Schwarzbeerkoch und einem Rumeis aufgepoppt wird. Die Apfelradln und Omas Gugelhupf holen uns dann wieder auf den Boden des Regionalen zurück.

Das letzte Kapitel gilt allerdings dem Abendessen. Abends dehnt sich die Zeit. Die Gäste bringen Zeit mit zu ihrem Appetit, heißt es in der Einleitung. Das drückt sich dann im Angebot mit ein paar besonderen, selteneren Gerichten aus. Die Bachforelle mit roten Linsen und Erbsengazpacho deutet es bereits an. Die gerösteten Kalbsnieren sind leicht zuzubereiten, wesentlich schwieriger dürfte es sein, gute Nieren aufzutreiben. Auch die Gamsschulter gibt es nur tiefgekühlt oder man kennt einen Jäger. Jedenfalls muss die Schulter mindestens drei Stunden im Bräter schmoren, bevor sie mit Rahmschwammerln und Briocheknödel serviert wird. Eine Kürbis-Ingwer-Suppe wie auch die Milchkalbskutteln demonstrieren eindrucksvoll, welche Bedeutung dem kulinarischen Ausklang des Tages beigemessen wird. Dazu gehören auch die Topfenpalatschinken und einige Schmankerln mehr.

Das WIRTSHAUS von Andreas Döllerer ist ein Kochbuch, das recht unscheinbar daher kommt und mit jeder Seite stärker wird. Allein das Durchblättern bereitet viel Vergnügen und die Versuchung ist groß, jedem Rezept Taten folgen zu lassen. Nachzutragen wäre noch, dass die Kürbis-Ingwer-Suppe alle meine Gäste zu einem Nachschlag, manche sogar zu zwei, verführte.