Daniel Humm, Will Guidara, I love New York.

Mein New York Kochbuch

Fotografiert von Francesco Tonelli
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Susanne Bonn
AT Verlag, Aarau und München, 2017, 496 Seiten, 51.30 Euro
ISBN 978-3-03800-991-7
Vorgekostet

Heute reisen wir nach NEW YORK.

Dort besuchen wir Daniel Humm, einen ausgewanderten Schweizer. Sein Arbeitsplatz ist die Küche des höchstgelegenen Sternerestaurants der USA, das Eleven Madison Park, mit Blick auf den gleichnamigen Park und ein kleines Stück Broadway, der dort die 5th Avenue kreuzt. Damit wird auch deutlich, dass wir in Manhattan sind, das viele mit New York gleichsetzen. Diese Stadt ist aber auch Brooklyn und Queens, die den Kopf von Long Island bilden, einer Insel, die wie eine Garnele aussieht und sich quer vor den Hudson River legt. Der Hudson und sein Tal wiederum bilden die Verbindung zum Hinterland, zum Bundesstaat New York. Dieser weniger bekannte Landesteil entwickelte sich im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einer bedeutenden Landwirtschaftsregion. Viele Farmer beliefern die Küchen der Stadt mit frischem Gemüse, Obst, Fleisch, aber vor allem mit Qualität. Wissend um dieser Zusammenhänge entwickelten Chefkoch Daniel Humm und Geschäftsführer Will Guidara bei einem Manhattan-Drink in einer Pariser Hotelbar den Plan, ein Buch über die Küche New Yorks zu schreiben. Herausgekommen ist ihr Kochbuch I love New York, das im AT Verlag – nun in zweiter Auflage – erschienen ist.

Das schwergewichtige Buch ist in schlichtem Weiß gehalten, das an das White Album der Beatles erinnert. Auf dem wattierten Umschlag eine Zeichnung, von einem New Yorker Taxi mit einem Anhänger voll Gemüse, fast zerquetscht vom wuchtigen Schriftblock I love NY. Einfache Strichzeichnungen, Häppchen gleich, begleiten uns beim kulinarischen Lesetrip, kleine Details, die auch zum Schmunzeln verleiten. Die verwendeten Produkte sind alphabetisch wie in einem Lexikon aufgebaut. Das beginnt beim Ahornsirup und endet bei den Zwiebeln. Nicht bei Zucchini, denn der fällt unter den Begriff Kürbis, der wiederum unter dem Kapitel Herbstkürbis zu finden ist. Dank des äußerst umfangreichen Registers ist aber das Aufspüren, sogar der nebensächlichsten Zutaten und deren Rezepte, keine Hexerei. Die Humm’sche Taxonomie orientiert sich also an den Produkten, die gleichzeitig die Kapitel darstellen. Das führt zu einer Gleichstellung von viel und wenig verwendeten Produkten beim Kochen. Dadurch werden auch Zutaten wie Brennnesseln, Cranberrys, Hummer, Jakobsmuscheln, Kamille, Schwarzwurzeln, Topinampur usw. hervorgehoben, die sonst nur in speziellen Kochbüchern zu finden sind. Dahinter steht der Anspruch des Autorenduos, aufzuzeigen, was die New Yorker Küche ausmacht: die Farmer mit ihren Produkten. Deshalb beginnt jedes Kapitel mit einem kurzen Porträt des Farmers, der Bäuerin, die Äpfel anbauen, perfekte Beeren züchten, sich am Anblick von Zitronengurken oder den hellen Boothby’s erfreuen, die gar nicht aussehen wie Gurken. Da lernen wir Menschen kennen, die noch den amerikanischen Pioniergeist in sich haben. Wie z. Bsp. Jim Barber, dessen Ur-Ur- Ur-Großvater George Wahington und seine Truppen belieferte. Heute bauen sie Blumenkohl in unzähligen Varianten an, laden Schulköche ein, um ihnen zu zeigen, wie unterschiedlich man das Gemüse zubereiten kann. Alex Balsam ist Kartoffelbauer, der nach Biorichtlinien anbaut. Der Lehmboden seiner Felder beschert ihm hohe Erträge und viele Kartoffelkäfer, denen er mit dem Käferstaubsauger erfolgreich zu Leibe rückt. Franca Tatillo war Krankenschwester, bevor sie Bäuerin wurde. Ihre Farm ist in Cooks Falls in den Catskill Mountains, etwa 220 km von New York entfernt. Wochentags bricht sie um vier Uhr früh auf, um zu einem der Greenmakets in Manhattann oder Brooklyn zu fahren. Das ist die Schattenseite von regionaler Topqualität, die Lieferwege der landwirtschaftlichen Erzeugnisse können bis zu 300 km (Schoharie County) betragen. Das ist US- amerikanische Realität, wenn man so will, die Dimensionen, auch die geographischen, sind um einiges größer als die mitteleuropäischen.

Im Mittelpunkt dieses Kochbuchs stehen neben den Rezepten auch die Menschen mit ihren Produkten, dazu ihre jahrhundertalte kulinarische Überlieferung im Kontext der amerikanischen Geschichte. Diese historischen Bezüge fließen als kleine unterhaltsame, mitunter amüsante Randnotizen ein. Wussten Sie, dass Ketchup ursprünglich keine Tomaten enthielt, sondern eine chinesische Soße aus eingelegtem Fisch und Gewürzen war und ke-chiap hieß.

Daniel Humm stellt sich in seinem Vorwort die Frage, ob die KäuferInnen seines Kochbuchs es als Bilderbuch am Wohnzimmertisch ablegen oder damit in ihrer Küche kochen. Ich vermute, dass sie sowohl am Küchen- als auch am Wohnzimmertisch liegen werden. Zu verführerisch sind die Aufnahmen von Francesco Tonelli, der einfühlsam die Menschen und ihre Produkte porträtiert sowie die Gerichte mit detailverliebten Inszenierungen vorstellt. Ich mag das Bild von Chip Kent, der Apfelbauer, der in seinem alten Ford, Modell T, Baujahr 1926, sitzt und in einen Jonathan-Apfel beißt, dessen Aroma ihn offensichtlich von Raum und Zeit entrückt. Es sind diese Männer und Frauen, die Daniel Humm bewundert und deren Produkte er schätzt. Sein Respekt vor den Zutaten drückt sich in der Präzision aus, mit der er sie bearbeitet. Nichts ist dem Zufall überlassen, die Gerichte sind bis in die Farbabstimmung komponierte lukullische Sinfonien. Wobei anzumerken ist, dass diese sehr aufwändig sein können; bspw. die Birnenvariationen mit Honig und Ingwer. Es finden sich auch einfache und einfachste Rezepturen in diesem Kochbuch, aber immer raffiniert und stilvoll angerichtet. Im Vordergrund steht meist ein Produkt. Der im Ganzen gebratene Blumenkohl ist so ein Paradebeispiel. Fast schon zeremoniell wird der Kohl im Bräter minutenlang mit einem heißen Butter-Öl-Gemisch übergossen, bis er weich gegart und mit brauner Kruste, hübsch gemacht mit Blumenkohlpüree, süßen Kürbiskernen und Pflaumenragout auf dem Teller landet. Das muss man sich auf der Zuge zergehen lassen, unbeschreiblich, was aus dem Blumenkohl herauszuholen ist.

Der Brotauflauf mit Cranberrys schmeckte vor allem meinen Söhnen. Herrlich, wie in diesem Auflauf Süß und Sauer verschmelzen, die goldbraun gebackenen Briochewürfelkruste die luftige Verführung verstecken.

Selbst das Schinken-Ei-Sandwich verlangt präzises Arbeiten, will man etwas ähnliches zusammenbringen, wie es das dem Rezept beigestellte Foto vorgibt.

Manche Rezepte habe ich nicht komplett nachgekocht, sondern nur eine Komponente. Wie die Kalte Karottensuppe ohne das ergänzende Wurzelgemüse. Das war ein wunderbares Essen an einem heißen Sommertag. Eine raffinierte Mixtur von Ingwer, Kreuzkümmel, Apfelsaft und natürlich Karotten.

Bewundernswert sind Humms Ideen und Einfälle. Der Sellerie-Risotto überzeugte selbst eingefleischte Risotti-Puristen, dass auch Amarettini-Krümel in einem Risotto diesen nicht verschandeln. Im Gegenteil: Diese Makronen-Bröckchen geben dem Ganzen einen besonderen Pfiff. Und weil uns dieser Sellerie-Risotto so gut mundete, stelle ich das Rezept in den Rezept-Ordner.

Am Schluss des Kochbuchs finden sich noch zwei spezielle Kapitel. In Made in New York werden drei Produzenten der Stadt vorgestellt, die Kupferkessel, Meersalz und Steinzeug produzieren, wichtige Erzeugnisse, die immer gebraucht werden in einer gut ausgestatteten Küche. Und last but not least Grundrezepte, die es in sich haben. Wie das Aprikosenpüree, das Hühnerjus oder der Maispudding, um drei herauszugreifen.

I love New York ist ein originelles Kochbuch. Auch eine Herausforderung! Es trägt die Handschrift eines experimentierfreudigen Kochs und es lädt zum Nachkochen und -ahmen ein. Äusserst genau in den Mengenangaben und Anleitungen, vielfältig in den Zutatenkombinationen, setzt Humm mit seinen Rezepten die Messlatte sehr hoch. Ein großer Verdienst Humms liegt in seinem vorbildlichen Ansatz, regionale Bauern zu stützen und deren qualitativ hochwertige Produkte zu verarbeiten. New York und seine Farmer sind überall hin versetzbar: nach Düsseldorf, nach Wien und nach Innsbruck. Ich werde noch sehr viel Zeit mit diesem Buch verbringen, sowohl in der Küche als auch im Wohnzimmer.

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