Heute reisen wir nach FLORENZ.
Wer Florenz sagt, denkt an Kunst, an die Renaissance und an die Uffizien – das meistbesuchte Museum der Welt. An Botticelli, den Magier des Lichts, und natürlich an die Medici, die dieser Maler nachhaltig porträtierte; eben jene Familie, die eine der bedeutendsten Europas war und die sich selbst als Nachfahren des römischen Weltreiches sah. Florenz mauserte sich von der römischen Garnisons- zur Idealstadt des 12. Jahrhunderts. Die Florentiner waren damals die Bankiers Europas. Und als vor 150 Jahren das Königreich Italien gegründet wurde, war Florenz einige Jahre Hauptstadt, bis es von Rom abgelöst wurde.
Florenz wurde immer wieder erobert, kriegerisch und friedlich, ob von Ostgoten, Langobarden, Karolingern oder von Zünften, von Familienclans oder von Künstlern. Alle drückten ihr ihren Stempel auf. Im Mittelalter war Florenz ein wichtiges handels- und wirtschaftspolitisches Zentrum, welchem die Architekten nach und nach eine gottgefällige Form verliehen, entsprechend der zeitgenössischen Vorstellung vom himmlischen Jerusalem. Und die Renaissance-Künstler der Stadt schufen nicht nur prachtvolle Gemälde mit mythologischen und biblischen Inhalten, nein nein, einiges ihrer künstlerischen Kreativität investierten sie in kulinarische Schöpfungen, gründeten dafür sogar eigene Gesellschaften. Und nicht selten wetteiferte die ‚Gesellschaft des Kochkessels’ mit der ‚Gesellschaft der Mauerkelle‘ um das bestausgerichtete Bankett bzw. phantasievollste Festgelage der Stadt. Aber diese exzentrischen Überformungen sollen nicht irreführen. Die Küche der Florentiner ist bodenständig, bäuerlich, manchmal geradezu genügsam, so Emiko Davies, die dies einleitend in FLORENZ Das Kochbuch schreibt, das im Dorling Kindersley Verlag nun auf deutsch erschienen ist.
Davies ist in Peking aufgewachsen, ging in die USA und später nach Italien, um Design zu studieren. In Florenz verliebte sie sich zuerst in die Stadt, dann in einen Einheimischen und blieb. Und wie es oft ist, begann die Fremde, von außen Kommende, sich für die Stadt, ihre Geschichte und ihre Menschen und das, was sie essen, zu interessieren. In ihrem Blog spürt sie dem Atem der Stadt in Form von Geschichten nach und schreibt über mittägliche Klassiker eine Kolumne im Corriere della Sera. Nun ist es die gut recherchierte Geschichte über Essen, die aus jedem Winkel dieser Stadt hervorquillt, die in feinen Appetitthappen von Davies journalistisch aufbereitet uns zwischen zwei Buchdeckeln serviert wird. Und sie orientiert sich an den wichtigsten Lebensmittelproduzenten und den Orten, wo sie feilgeboten werden. Das sind die Konditorei, der Bäcker, auf dem Markt, die Tratttoria, beim Metzger und Unterwegs quasi auf der Straße; sechs Türen – gleichzeitig die sechs Kapitel. Einen weiteren Zugang schafft sie über Kochbuchklassiker wie Pellegrino Artusi oder Giulio Gandi, deren kulinarische Impulse sie aufgreift und in ihren Ausführungen einfließen lässt. Mit anderen Worten: Hier liegt wahrscheinlich das umfangreichste Florenz-Kochbuch vor. Es gibt Zeugnis von einer beeindruckenden Vergangenheit, präsentiert aber das Jetzt. Eine gegenwärtige Küche, die von der Qualität der regionalen Produkte lebt, in der Brot, Olivenöl und Wein elementar sind.
Das Kochbuch beginnt, wie ein Tag bei Italienern beginnen muss: mit Espresso und Dolci, die meist stehend in der Bar oder Konditorei eingenommen werden. Also sind die ersten Rezepte Süßem gewidmet. Zunächst die Crostata di Marmellata, ein Tarte-Gebäck, das den Linzerschnitten ähnelt. Bereits das Rezept macht mir den Mund wässrig. Sofort muss ich weiterblättern, um der Versuchung zu widerstehen. Und schon folgt die nächste Verlockung, Crema Pasticcera, nämlich jene Vanillecreme oder Konditorcreme, die den Cornetti, den italienischen Croissants, eingespritzt wird. Sie sind ein must have, sobald ich italienischen Boden betrete. Den Cornetti sind sechs Seiten gewidmet: ausführlichst wird die Herstellung des Teiges in Wort und Bild beschrieben. Für Naschkatzen ist das La Pasticceria-Kapitel eine wahre Fundgrube. Entdeckt habe ich dort auch ein gutes Rezept für Reisküchlein. Die sind keine Hexerei in der Herstellung, aber den richtigen Punkt der Süße zu erwischen, dafür braucht es Fingerspitzengefühl oder – wie hier – eine gute Anleitung. Ein weiterer Wahnsinn ist die Torta della Nonna und und und.
Jedes Kapitel beginnt mit einer gut dosierten Einführung in das Thema und immer auch im Kontext der Geschichte. Lose eingefügt sind dazu Fotos, die den Text noch verständlicher machen. Beim Bäcker dürfen wir zunächst dem Töchterchen der Autorin – vermute ich -, abgelichtet auf einem kleine Foto, zusehen, wie sie behutsam und genussvoll ein Mini-Schiacciata isst. Auf derselben Seite erfährt man die Bedeutung von Brot im Mittelalter und dass das toskanische Brot seit frühester Zeit so gebacken wird. Brotenthusiasten kommen hier voll auf ihre Rechnung.
Das meiste, was Davies über die florentinische Küche weiß, hat sie von den Marktfrauen und Standbetreibern der Stadtmärkte, gesteht sie im Marktkapitel. So beschreibt sie sehr ausführlich Bronzinos Panzanella, den bekanntesten Florentiner Salat und seine Bedeutung. Wie überhaupt immer wieder ausführlichere Kurztexte, bspw. jenes über Die hohe Kunst der Bistecca, die Rezeptblöcke ergänzen.
Beim Metzger fand ich dann zu meinen Wurzeln. Kutteln nach Florentiner Art, ähnlich wie sie meine Mutter machte. Die Trippa alla Fiorentina sind für Florenzreisende ein Muss. Und jene, die zu Hause bleiben, können sich mit dem Rezept, ein wenig kulinarisches Florenz-Aroma in ihre vier Wände holen.
Das letzte Kapitel gilt der Straße, den Sonderheiten wie dem Weinfenster, durch das verarmte Adelige den Passanten Wein verkaufen konnten. Heute sind es die Weinbars, die einladen zum Verweilen, Neues auszuprobieren oder einfach zum Genießen der gerösteten Brötchen, die mit Pecorino, Birne und Walnuss belegt sind.
Danach kommen nur mehr viele Adressen, ein hinreichendes Glossar, Lesetipps und ein ausführliches Register.
Florenz Das Kochbuch ist mehr als ein ordentliches Kochbuch. Die Autorin versteht es nicht nur mit den Rezepten zu verführen. Denn kleine Anekdoten im Vorspann der Kochanweisungen geben einen vergnüglichen Einblick in die Kochkultur von Florenz und der toskanischen Regionen. Viele Fotos, mehr Schwarzweiß als Farbe und dann mit sanften Farbtönen, ergänzen das Beschriebene vortrefflich. Teilweise sind die Bilder rosa gerahmt, wie auch der Buchschnitt rosa gehalten ist. Das verleiht dem Kochbuch eine spielerische Note. Darüber hinaus ähneln Titelbild und Vorsatz marmoriertem Fleisch, wie richtiges Bistecca sein sollte. Florenz ist ein sinnliches Kochbuch, das uns einen wunderbaren Einblick in den gustiösen Alltag dieser Stadt vermittelt. Und wenn Sie am Schluss eines typischen Florentiner Essens cantuccini reichen, dann ist es perfekt.