Emily Scott, Zu Gast in Cornwall

Rezepte & Geschichten

Aus dem Englischen übersetzt von Linda Wiese
Mit Fotografien von Kim Lightbody
Gerstenberg Verlag, Hildesheim, 2021, 256 Seiten, [D] 35.-- Euro
ISBN 978-3-8369-2182-4
Vorgekostet

Heute reisen wir nach CORNWALL.

Schließen Sie die Augen und atmen Sie ein. Denken Sie an einen Ort, an dem sich Himmel und Meer begegnen, das Wetter stetig wechselt, mit einer zerklüfteten Küste und zwischen Steilhängen versteckten Buchten, wo sich die Brandung an malerischen Sand­stränden bricht. Ein Ort wie aus Seemannsliedern, wo man am Strand Meerglas-Stücke findet, Sandburgen baut und nach Muscheln sucht. Nachmittags gibt es Tee und Hefebrötchen mit Marmelade und Sahne oder Cornish Pasties – für Cornwall typische Pasteten, auf die ich oft Lust habe, wenn ich ein wenig verkatert bin. Das ist eine Einladung, ausgesprochen von Emily Scott. Sie hat in Frankreich eine Kochausbildung absolviert und betreibt in Cornwall ein Restaurant.

Die südwestliche Spitze Englands ist wegen seiner schönen Landschaft, den Steilküsten und malerischen Stränden ein Sehnsuchtsort und Kulisse unzähliger Filme. Fisherman’s Friends habe ich in Erinnerung, wie sie die Cornwall-Hymne The Trelawny’  singen zum Geburtstag der Queen und damit als Shanty-Chor berühmt werden. Virginia Woolf verbrachte ihre Kindheit in St. Ives in Cornwall. Das Haus lag auf dem Hügel, mit einer idealen Aussicht über die ganze Bucht hin, bis zum Godrevyer Leuchtturm hinüber*. Auch für Emily bietet die Natur an der Küste stets reiche Inspiration. Mit diesem Ausblick hält sie Augenblicke und Erinnerungen ihres Lebens fest, Gedanken und Rezepte. 

Emily Scott ist in diesem Landstrich zu Hause, wenn auch der Titel ihres Kochbuchs Zu Gast in Cornwall indirekt eine zeitliche Begrenztheit vorgibt. Nein, Emily hat ihre Heimat gefunden und tauscht sie wohl nicht mehr gegen eine andere ein. Zur Begrüßung gibt es einen würzigen Karottenkuchen mit Frischkäse-Butter-Frosting. Den habe ich nachgebacken und für das Frosting einen körnigen Hüttenkäse verwendet, was ein fundamentaler Fehler war.  Aber den Karottenkuchen verstehe ich als Willkommensgruß, eine schöne Geste. 

Ausführlich beschreibt Emily dann auf den nächsten Seiten ihre Beziehung zu Cornwall, die geprägt ist von  Kindheitserinnerungen, ihrem Sesshaftwerden mit Familie und Job. Sie scheut sich auch nicht, sehr Persönliches in Text und Bild preiszugeben, wobei sie selbst erstaunlicherweise nie in den Vordergrund tritt. Nach dem einführenden Teil folgen Kapitel, die im Titel poetische Ansätze durchklingen lassen. Wer aber das pure kulinarische Cornwall erwartet, wird enttäuscht. Beim Durchblättern stellt sich schnell heraus, dass wir uns zwar mit den Landschaftsbildern durch den Südwesten Englands bewegen, aber mit den Rezepturen überwiegend in der italienisch-französischen Wohlfühlküche. 

Ein guter Tag beginnt mit einem guten Frühstück, heißt es. Verry british und traditionell mit purem, ungesüßtem Haferbrei, was Emily zum Glücklichsein genügt. Zugegeben, verlockender ist Porridge mit gerösteten Lorbeer-Vanille-Pflaumen, zudem ein idealer Kraftspender wenn die Tage kälter werden. Nachmittags zum Tee wird ein Stück Pistazienkuchen gereicht. Und für die, die Herzhaftes bevorzugen, empfiehlt sie Cornish Pasties. Die gibt es aber nur käuflich zu erwerben und so sind an Stelle eines Rezeptes einige Adressen aufgelistet, woher diese Pasteten zu beziehen sind. Und weil wir nicht darauf warten, bis die bei Mcfadden’s in St. Just bestellten Pasteten bei uns eintrudeln, freuen wir uns auf das Dinner, das aus einer Seezunge mit Kräuterdressing, Brunnenkresse und Blüten bestehen kann oder einem Boef Bourguignon mit Champignons, Speck und Winterkräutern

Das Meer zur Winterzeit leitet eine ihrer liebsten Jahreszeiten ein, die sie an Abende am knisternden Kamin denken lässt und mit Vorfreude auf die Weihnachtszeit erfüllt. Jeder ist seines kulinarischen Glückes Schmied, denkt sich Emily und entführt uns weiter ins nächste Kapitel Kleine Weihnachtswunder. Was uns da wohl erwartet? Auf alle Fälle getrocknete Orangengirlanden, ein Muss für Traditionalisten. 2-3 Orangen, eine feste Schnur und ein Backofen genügen, um mit dem Ergebnis Kinderaugen zum Leuchten zu bringen. Für die Größeren darf es dann schon ein weihnachtlich glasierter Schinken mit Gewürznelken sein. Aber nicht vor dem 24.ten essen, der muss auf die Weihnachtstafel. Dünn aufgeschnitten, wird aus dem Schinken das beste Schinkensandwich aller Zeiten, behauptet jedenfalls Emily. Naja, die Engländer mit ihren Sandwiches; jede und jeder behauptet, seines ist das beste. Nach den Weihnachtswundern kommen aber erstmal die Frühlingsgefühle. Der Winter geht, die Menschen begegnen einander mit einem Lächeln auf den Lippen und typischen Floskeln: Alright?, Yeh, you? (Ja, und selbst?). In dieser Zeit wird aufgetischt, was den Inbegriff Cornwalls darstellt. Von Krabbenküchlein bis zu Krabbensandwiches, alles ist möglich. Aber Krabben müssen es sein, im Beiboot Linguine mit Zitrone und Petersilie. England trifft auf Italien. Eigentlich ist es schon längst klar, dass Emilys kulinarischer Cornwall-Trip die Lust beschwört, auch mit Gerichten die sich jahreszeitliche Gegebenheiten zu eigen machen: Wie die Winterliche Zitronentarte, die winterliche Tage mit einem Hauch von Sonnenschein erhellt

Den Frühlingsgefühlen folgt der Sommer am Meer und dann der Hochsommer. Mit den Herbstgezeiten endet der Jahresreigen. Darin eingebettet eine Art kulinarische Rückschau: Eierbrot, Langsam gebratene Lammschulter mit Paprika, Knoblauch und Thymian, Gebratene Jakobsmuscheln mit Thymian, Knoblauch und Butter, Artischocken-Spargel-Salat mit Wachteleiern. Akteure wie Cheddar, grüner Spargel, Makrelen, Zucchini, Hummer, Seeteufel, Gurken, Lachs und Tomaten betreten die Bühne. Sie gehen Liaisonen ein wie die Protagonisten in den Rosamunde Pilcher Filmen vor der traumhaften Kulisse Cornwalls. Und an das erinnert mich Zu Gast in Cornwall. Viel schöne Stimmung und wenig Cornwall-Kulinarik. Was zugegebenermaßen auch nicht ihr Anspruch ist. Bei jenen, die diesen Landstrich nicht kennen, erwecken die stimmungsvollen Bilder sicher einen Heißhunger nach Cornwall, stelle ich mir vor.

* Augenblicke. (Skizzen der Vergangenheit) Skizzierte Erinnerungen. DVA, 1981