Ferber Christine, Die Marmeladen-Bibel

270 verführerische Rezepte von Christine Ferber

Mit Fotos von Bernhard Winkelmann
Aus dem Französischen übersetzt von Doris Blum
Christian Verlag, München, 2. Auflage 2023, 320 Seiten, 29.99 Euro (D)
ISBN 978-3-95961-529-7
Vorgekostet

Heute reisen wir ins ELSASS.

Unser Ziel ist – in Koordinaten ausgedrückt 48° 6′ 59’’ N, 7° 16′ 26’’ O – ein unscheinbares Haus in einem Ort namens Niedermorschwihr, in welchem seit vier Generationen gebacken wird. Vor allem Feingebäck, aber nicht nur. Denn weltweit bekannt wurde das Geschäft mit Marmeladen in den in Porphyr eingefassten Schaufenstern und der ansonsten unaufdringlichen Fassade, die sich unterordnet in die Fachwerkhäuser des Ortes. Und das kam so. Christine Ferber, die nach ihrer Ausbildung Anfang der 1980er Jahre zurück kam, um das Lebensmittelgeschäft, eigentlich eine Patisserie, zu übernehmen, weil die Familie zusammenhalten muss usw., machte neben Kuchen und Schokolade auch Marmelade. Jedes Ding (Anm.: Marmelade) ist ein Neuanfang, es ist eine Komposition mit den Menschen um einen herum, bekannte Christine einmal in einem Interview. Und die Marmeladen in kleinen schmucken Töpfchen, ursprünglich reine Dekoration für das Schaufenster. Bis die erste Anfrage kam und die Altvorderen meinten, verschwende deine Zeit nicht damit, du musst backen. Aber nach der fünften Anfrage stimmte auch ihre Mutter zu, verkaufte ab nun auch Marmelade, und zwar viel, viel mehr als Gebäck, so dass das Marmelademachen für Christine im Laufe der nächsten Jahre dann zur Haupt-Lebensgrundlage und Lebensphilosophie wurde.

Ich war auch in Niedermorschwihr, um Marmelade zu kaufen, 1989, habe sogar ein paar Worte mit Christine gewechselt, nicht ahnend, dass sie so berühmt wird. Und auch nicht ahnend, dass mich später einmal das Marmelademachen-Fieber packen wird. Jetzt mehr denn je, nachdem Die Marmeladen-Bibel von ihr vor mir liegt. Es geht um nicht weniger als 270 verführerische Rezepte von Christine Ferber. Das Einkochbuch ist im Christian Verlag erschienen.

Nach einer kurzen Einführung in Das Einmaleins der Marmelade folgen die Rezepte, die Christine auf neun Kapitel aufteilt. Am Anfang sind es die Beeren aus dem Garten, die zu Marmeladen, Konfitüren und Gelee verarbeitet werden. Nicht aber ohne vorherige Aufklärung, wie sich diese Brotaufstriche unterscheiden – und nicht nach den EU-Richtlinien, denn die sind etwas komplizierter. Es geht also um die Begriffe Marmelade & Co., wie sie traditionell im deutschen Sprachgebrauch verwendet werden. Konkreter: Gelee wird aus dem Fruchtsaft hergestellt, während Konfitüren quasi vornehme Marmeladen sind, weil sie ganze Fruchtstücke enthalten. Und Madame M ist ein Fruchtaufstrich mit einer musig-stückigen Konsistenz. Jedoch, laut EU-Verordnung, sind Marmeladen Produkte aus Zitrusfrüchten, was aber offensichtlich 2023 zurückgenommen wurde, wir hier einfach beiseite schieben. 

Botanisch gesehen sind Beeren Schließfrüchte, weil das saftige Fruchtfleisch meist kleine Samen einschließt. Der erste Schritt besteht nun darin, die Früchte mit dem Zucker und dem Zitronensaft über Nacht stehen zu lassen, damit die Zellwände aufbrechen. Mazeration nennt sich das – kann eine Stunde oder länger dauern – und ist der wohl wichtigste Punkt im Arbeitsprozess nach dem Aufkochen. Bis zum Abfüllen in die Gläser dauert es zwischen zwei und drei Tage, je nachdem, welche Methode angewendet wird. Die Autorin ist mit ihren Anweisungen sehr minimalistisch, allerdings klar, strukturiert und mit genauen Mengenangaben, wie man es bei Süßspeisen gewohnt ist. Gerade im Einführungsteil, im Einmaleins, hätte ich mir gern noch Hintergründiges gewünscht, bspw. mehr über die chemisch-physikalischen Prozesse des Marmelademachens zu erfahren. So sind ihre Aussagen zwar sehr komprimiert, aber vor allem pragmatisch orientiert.

Alain Ducasse bekannte einmal, dass er keine andere Konfitüre mehr essen wolle als die von Madame Ferber. Mir geht es fast ähnlich. Zwar sind die ersten Versuche nicht unbedingt gelungen, weil die Erdbeermarmeladen, streng nach Anleitung zubereitet, flüssig blieben wie ein Kompott, und so war guter Rat teuer. Das heißt mehrere Versuche waren notwendig, bis ich zur Erkenntnis gelangte, dass die Aufkochzeit länger dauern kann als vorgegeben. Und zwar empfindlich länger, was man schwer aushält. Erstaunlicherweise erging es anderen Marmeladekocherinnen in meinem Umfeld ähnlich. Margarethes Erdbeerkonfitüre blieb flüssig wie bei mir anfangs. Im Abschnitt Häufigste Probleme gibt es den Punkt – Die Marmelade bleibt flüssig – sie geliert nicht. Christines Antworten dazu: nicht lange genug gekocht; Zuckeranteil zu niedrig (eventuell Abwiegefehler); Früchte haben zu wenig Pektin; Früchte zu unreif oder zu geringer Säuregehalt und wenn das alles nicht zutrifft, dann könnte man dieses flüssige Fruchtprodukt zu Quark, Joghurt oder Eiscreme verwenden oder erneut aufkochen mit Apfelscheiben oder Johannisbeersaft, inklusive Zuckeranteil. Ich habe das nicht gemacht, sondern diese labrigen Erdbeer-Marmeladen für Müsli und Obstsalat verwendet. War auch gut!

Nach den Beeren werden Steinobst und Kernobst eingekocht. Von der Aprikose bis zur Zwetschge reicht das Spektrum. In der Abteilung Wildfrüchte kommen die Preiselbeeren und Kastanien zum Zug, aber nicht nur. Auch Waldbrombeeren und wilde Heidelbeeren sind geschätzte Grundprodukte für Gelees und Konfitüren, und nicht unbedingt in kleinen Chargen. Im Kapitel Aus dem Gemüsegarten tauchen nun Rezepte auf, die für manche Marmeladeköchin, manchen -koch eher suspekt sind. Denn was hat eine rote Bete oder Karotte oder Zucchini in einer Konfitüre verloren? Nun, das muss jede und jeder selbst herausfinden. Die Karotten- bzw. Möhrenkonfitüre mit Zimt und Ingwer wie auch die Zucchini-Birnen-Konfitüre mit Pfeffer schmecken nicht schlecht, sind allerdings gewöhnungsbedürftig. Bei einer Verkostung der Möhrenkonfitüre mit Freunden gab es sogar Ablehnung, sowohl aus einer konservativen Haltung heraus als auch wegen des ungewöhnlichen Aromas. Die Rhabarberkonfitüre mit feinem säuerlichen Geschmack überraschte, und ich staunte, als ich las, dass Christine den Rhabarber bis in den September hinein erntet. Für die Melonenmarmelade wird nur das Fruchtfleisch verwertet, man bleibt so auf der sicheren Seite. Dabei könnte man auch die weiße Schicht der Melonenschale zu Marmelade verarbeiten, wie es bspw. in der Ukraine gemacht wird.

Es gibt aber noch exotischeres Gsälz wie der Schwabe umgangssprachlich die Marmelade nennt. Zwiebelmarmelade mit Waldhonig, Weißwein und Lebkuchengewürz schmeckt erstaunlicherweise gut, wenn man bedenkt, dass das Verhältnis Zwiebel zum Rest bei 1:1 liegt. Ob es einen geschmacklichen Unterschied zwischen weißer und gelber Zwiebel gibt, weiß ich noch nicht, da der zweite Versuch mit gelben Zwiebeln noch nicht abgeschlossen ist. Jedenfalls sind die weißen Zwiebel milder. Ein weiteres exotisches Produkt aus dem Gemüsegarten erwartet mich im Herbst, dann wenn die Früchte reif sind für Konfitüre aus grünen Tomaten. Das erinnert mich an die Orangenmarmelade mit Brennnesseln, die ich ausprobiert und gustiert habe. Die Dosis der Nesselblätter war zu hoch und das Ergebnis: sie schmeckte im Abgang leicht grasig – milde ausgedrückt. Das passiert mit Christines Rezepten wohl nicht. Die Mengenangaben sind präzise bis in den Grammbereich.

Im nächsten Kapitel dreht sich alles um die vergessenen Früchte. Gemeint sind Baumerdbeeren, Kornelkirschen, Berberitzen, Schlehen und Mispeln. Es sind keine großen Alltagshelden und die Sammelmengen bleiben eher bescheiden. Hier setzt die Autorin offensichtlich voraus, dass man bspw. die Früchte der Berberitze von jenen des Weißdorn unterscheiden kann. Keine diesbezügliche Schwierigkeit dürfte es bei der Hagebutte geben, aber Verarbeitungsprobleme schon eher. Christine bietet zwei Methoden an, die nur darauf abzielen, die Schale von ihrem Inneren zu befreien, und das ist gar nicht so einfach. Bevorzugen sollte man die reifen Hagebutten von Wildhecken, die vor dem ersten Frost säuerlicher und danach süßlicher schmecken. Und dass die Mispeln wie auch Kakifrüchte es frostig mögen, um weich zu werden, wusste ich auch nicht.  Mit den Kakis stoßen wir das Tor zu Zitrusfrüchte und exotisches Obst auf, ein Kapitel, das uns  ganz neue Geschmackseindrücke vermittelt. Neben den grün-orange-gelb-schaligen Klassikern treten nun Kumquat, Passionsfrucht, Mango und Papaya in unser Blickfeld. Überrascht stellen wir fest, wieviel Potenzial überhaupt in den Marmeladen, Konfitüren und Gelees steckt. Selbst die altbewährten Bratäpfel können so manchen Genussmenschen noch überraschen. Mit Limetten-Apfel-Konfitüre, kurz vor dem Servieren gefüllt, dazu mit Vanille und Zitrone aromatisierte Schlagsahne, waren die Bratäpfel in neuem Kleide ein grandioser Abschluss eines Essens mit Freunden.

Die letzten drei Kapitel widmen sich dann Randthemen. Keine Brotaufstriche sondern Kompott, eingemachtes Obst, Coulis (Püreesaucen), Sirup, Chutneys, Confit und süßsauer Eingelegtes bekommen eine beachtenswerte Plattform. Hier stehen sie im Mittelpunkt, beweisen eine enorme Bandbreite. Auch Fruchtsuppen werden thematisiert, die sich vor allem in slawischen Ländern größter Beliebtheit erfreuen. Die Autorin hingegen bleibt mit Melone, Zwetschge, Pfirsich und diversen Zitrusfrüchten eher im mitteleuropäisch-mediterranen Kontext. Diese Suppen aus schwarzen Kirschen und Rotwein oder Birnen mit Zitronenverbene oder Weinbergpfirsichen und Himbeeren sind Kaltschalen à la Escoffier, die gerade bei hohen Temperaturen ein beliebter Suppenersatz sind. Ob als Dessert oder Zwischenmahlzeit serviert, man kann sich keine coolere Erfrischung vorstellen.

Stopp: Hier erlaube ich mir kurz abzuschweifen, um ein paar Erfahrungsberichte  einzuholen, von Freundinnen, die ebenfalls Rezepturen aus der Marmeladenbibel ausprobierten. Die Rhabarberkonfitüre war für Maria überraschend schnell zubereitet. Etwas irritiert war sie, wie auch ich, dass der Rhabarber nicht geschält werden muss. Die frühen Rhabarbersorten haben am meisten Säure und Saft. Ihre Schale ist zart und muss nicht entfernt werden, behauptet Christine Ferber. Die Erdbeer-Rhabarber-Konfitüre war für Karoline vor allem der frischen, zarten Aromen wegen ein toller Erfolg. Wenn auch der Rhabarber sich dezent im Hintergrund hält und schwer zu bestimmen ist.

Elisabeth versuchte Christines Holunderblütensirup, was keine leichte Aufgabe war, denn laut Rezept werden die Blüten von den Stielen gezupft. Wer viel Hollersirup macht, weiß, was das bedeutet. Aber, es fällt der grasige Geschmack weg, den manche selbstgemachten Holunderblütensirups wegen der Stengel haben.

Die Rhabarber-Apfel-Konfitüre mit Passionsfrucht kam wegen des exotischen Geschmack bei Margarethe gut an. Sehr lecker, meinte sie; beim Zubereiten und Köcheln habe ich ständig geschleckt, weil das Aroma bombastisch war. Ich hätte es wie Kompott essen können. Allerdings ist die Marmelade recht süß und ich musste sie länger köcheln, da sie nicht geliert ist. Dadurch ist viel Flüssigkeit verdampft. Ein Grund könnten die harten Äpfeln gewesen sein, also unbedingt weiche Äpfel verwenden. Auch meint Margarethe, dass zwei Passionsfrüchte genügen, nicht fünf, wie angegeben.

Für das süß-saure Zwiebel-Mango-Confit mit Safran ist Renate extra zum Gemüsehändler gegangen, wegen der weißen Zwiebeln. Sie würde aber eventuell das nächste Mal die normalen gelben nehmen, was reine Geschmackssache ist. Die weißen, die ich hatte, waren etwas zickig beim Kochen, so dass ich die um einiges länger am Herd hatte, als im Rezept angegeben. Sicher eine Stunde. Aber jetzt, nach der Ruhezeit, denke ich, dass ich das Rezept mit dem Riesling noch etwas länger karamellisieren hätte müssen. Die Ruhezeit hat den beiden Confits auf jeden Fall gut getan. Sie sind etwas milder und runder im Geschmack geworden. Vor allem das Zwiebel/Mango/Safran finde ich super. Schmeckt mir auch am Butterbrot. Sind aber beide auch tolle Mitbringsel zu einer Grilleinladung! 

Die Marmeladen-Bibel von Christine Ferber ist nicht nur umfangreich an Seiten, sondern auch schwer an Wissen. Fast ein Lehrbuch über die Kunst des guten Marmelademachens. Neben allgemeinen Informationen im spartanisch gehaltenen Einmaleins-Kapitel lässt die Autorin ergänzende Anmerkungen noch über die Rubriken ‚unbedingt probieren‘ und ‚das besondere Detail’, die allen Rezepten beigestellt sind, einfließen. 

Die Einkochmenge beträgt bei ihr maximal 4 Kilogramm und ist ein Ergebnis langjähriger Erfahrung. Am erstaunlichsten aber, es kommt nur reiner Zucker zu den Früchten, kein Geliermittel in den Kupferkessel. Der Wermutstropfen allerdings ist der hohe Zuckeranteil in den Rezepten. Die Zuckermenge habe ich teilweise bis zu 20 Prozent reduziert, was zwar immer noch viel war, d. h., süß und den Fruchtgeschmack meines Erachtens intensivierte. Wie weit sich das auf die Haltbarkeit auswirkt, wird sich noch zeigen. Schade auch, dass Christine kein Wort zu den einzelnen Verfahren der Marmelade-, Konfitüre- und Geleeherstellung verliert. Das Rezeptverzeichnis ist nach Kapiteln strukturiert, was die zutatenorientierte Suche schwer macht. Hier wäre ein zusätzliches Stichwortverzeichnis sehr nützlich. Christine Ferber, la „fée des confitures“, wie sie in Frankreich liebevoll genannt wird, hat mit diesem Einkochbuch ein beeindruckendes Werk geschaffen, durch das hindurchzuarbeiten mich noch einige Zeit beschäftigen wird. Frei nach Christines Motto: Man muss die Früchte sanft bearbeiten, mit dem Wunsch, sie zu sublimieren – und so freue ich mich auf die meditativen Stunden des Rührens, auf die magischen Düfte, auf das Schönste im Glas, an Textur, Farbe und Geschmack. Auf die Reneklodenkonfitüre und ihren würzigen Geschmack wie auch auf die Quittenmarmelade. Sie ist die letzte Frucht des Jahres.