Heute reisen wir in den SÜDEN ITALIENS.
An die Amalfi-Küste, ein querliegender Riegel ca. 60 Kilometer unterhalb Neapels von bizarrer Schönheit; aufragende Felsen und zerklüftete Uferlandschaften. Wenn man die Amalfitani, die Bewohner dieses Küstenabschnitts, nach den Grenzen der Amalfiregion befragt, dann sagen die meisten, sie erstreckt sich von Vietri sul Mare bis Positano in Kampanien. Eine genaue geografische Lage der Costiera amalfitana lässt sich also nicht eindeutig bestimmen. Auch für Katie und Giancarlo Caldesi ist die kartografische Zuordnung der Amalfiküste eher zweitrangig, bei ihnen geht es ja ums Kochen – da gibt es bekanntlich keine Grenzen. Und sind es nicht Pasta, Pesce und Dolci, das, was wir an der italienischen Küche so schätzen? Darin zeichnet sich auch das scheinbare Dilemma der italienischen Küche ab: einerseits ist italienisches Essen lokal also geografisch zuzuordnen, anderseits ist es universal. Vielleicht ist es diese Ambivalenz, die die Caldesis bewog, sich auf eine Region zu konzentrieren. Jedenfalls begaben Kathie und Giancarlo sich auf eine kulinarische Spurensuche an die Amalfiküste. Wohl in der Erwartung, vor Ort köstliche Gerichte zu entdecken, die nur dort zu genießen sind. Sie haben sich auf der Südseite der sorrentinischen Halbinsel umgehört und sind mit über 100 Rezepten zurückgekommen nach England. Dokumente ihrer kulinarischen Sammelleidenschaft, die sie in ihrem neuesten Kochbuch zusammenfassten: AMALFI KÜCHE, ist im Prestel Verlag erschienen.
Das Buch gliedert sich in elf thematisch geordnete Kapitel. In einer Einführung wird zunächst beschrieben, warum die Küche hier so ist, wie sie ist. Wobei offensichtlich die wechselvolle Geschichte gar keinen so großen Einfluss auf die Kochtradition hatte. Die Kochkultur der Amalfiküste basiert im Allgemeinen immer noch auf der alten Cucina povera oder Cucina casarecchia, also Hausmannskost. Dieser Anspruch, Gerichte im Nu zuzubereiten, zieht sich durch alle Kategorien, auch den Antipasti, was wörtlich übersetzt „vor dem Essen“ heißt. Das drückt sich dann in einem sehr kleinen Imbiss aus, eine Art Vorkoster, bspw. regionale Salami oder eingelegte Oliven oder geröstete Mandeln usw.. In weiterer Folge werden dann Rezepte allgemein wie auch mit besonderen Zubereitungs- oder Aufbewahrungstipps beschrieben, ergänzt mit interessanten Informationen, die auch Besonderheiten der Region hervorheben. Die Caponata ist ein Brotsalat, der nicht mit dem gleichnamigen sizilianischen Eintopfgericht verwechselt werden darf. Das besondere an diesem Salat ist Friselle, eine Brotspezialität aus Hartweizenmehl, die doppelt gebacken wird und dadurch ein intensiveres Aroma bekommt. Ich verwende dafür altbackenes Graubrot mit zwei Backphasen. Auf der anderen Seite des Stiefels, in Apulien, heißt dieser Salat Panzanella; ein feiner Snack, der mit Stangensellerie und Paprikaschote angereichert wird.
Die Kapitelüberschriften sind Italienisch und Deutsch, das gilt auch für die Rezepte, soferne es adäquate Übersetzungen gibt.
Nach den Antipasti treten wir in das Reich der Suppen ein. Darüber gibt es nicht allzuviel zu berichten, außer, dass in den Brühen gerne Bohnen und Fisch wie auch Meeresfrüchte dümpeln. Kaum, dass wir die Suppen verlassen haben, betreten wir das eigentliche kulinarische Terrain der Amalfi Region, das bestimmt ist von Pizzen, Broten, Risotti, Pasta und Gnocchi.
In den italienischen Restaurants steht immer ein Brotkörberl auf dem Tisch, selten frisches Brot, meist kommerzielles Industrie-Gebäck, das nach nichts schmeckt, leider. Dabei gehört Brot zum italienischen Essen wie das Amen zum Gebet. Wer wischt nicht die Soßenreste aus seinem Pastateller mit einem Stück Brot auf? Fare la scarpetta, sagen die Süditaliener dazu, was soviel bedeutet wie: Der kleine Schuh, der über den Teller schlurft. Kurioserweise wurde nur ein Focaccia-Rezept im Buch aufgenommen, doch davon später. Neben Tipps aus der Backstube zu Hefe und Mehl sind hier die Pizzarezepte von Bedeutung. Mich interessiert besonders die Calzone, bei der immer die Gefahr besteht, dass der Teigboden matschig wird. Ganz überzeugte mich das Rezept von Gianfranco Cioffi nicht, wenn auch das Matschige sich in Grenzen hielt. Spannend aber für meine Enkel wurde es mit der Pizza al metro, denn da durften sie die kleinen Rechtecke selbst belegen und ihrer Phantasie freien Lauf lassen. Ich staunte über ihren Einfallsreichtum. Ein wenig blieb vom Pizzateig übrig, welcher dann zu einer Vollkorn-Focaccia verarbeitet wurde. Ein unerwarteter Hochgenuss. Die Focaccia ist ligurischen Ursprungs, wird, so scheints, auch in Kampanien gerne gegessen. Die Welt des Essens verhält sich wie das Pflanzenreich: es gibt Gerichte die wandern ein und werden heimisch. Auch Reisgerichte sind nicht unbedingt typisch für die Amalfi-Region, eher im Veneto und der Lombardei zuhause. Und doch ist der Risotto al limone mit oder ohne Garnelen ein Gericht, das zur Amalfiküche gehört. Eindrücklich im Geschmack, der lange in Erinnerung bleibt. Vor allem dann, wenn man die unbeschreiblich saftigen Zitrusfrüchte aus dieser Gegend zur Verfügung hat.
Es wird über die Küche Amalfis behauptet, dass dort die beste Pasta Italiens und vermutlich der ganzen Welt hergestellt wird. Das hängt mit dem guten Wasser und der hohen Qualität des Hartweizens zusammen, der in Kampanien angebaut wird. Die wenigsten werden den Pastateig selbst herstellen, aber wenn, dann ist das italienische Mehl Tipo 00 kein Fehler. Die Pastarezepte sind jedenfalls eine kleine Offenbarung. Ob Tagliolini mit Zitronen oder Spiralnudeln mit Bohnen, Garnelen & Minze oder Spaghett alla puttanesca zubereitet werden, immer sind es schnelle und unwahrscheinlich schmackhafte Gerichte. Die Spaghett alla puttanesca werden den neapolitanischen Prostituierten zugeschrieben, was uns hier aber nicht weiter kümmert, nur, dass diese Spaghetti sehr feurig sind und der Duft Passanten von der Straße anlocken könnte. Ein Klassiker des Südens ist Pasta con Broccoli & Salsiccia. Die original würzige, grobe, rohe Schweinswurst frisch zubereitet, mit Orecchiette als Nudelvariante, ist immer wieder ein toller Genuss. Tomaten sind in Kochbüchern seit Jahren ein Selbstläufer und auch die Caldesis schenken ihnen viel Aufmerksamkeit, hier in Form dreier verschiedener Soßen-Zubereitungen. Jeder Pastasorte ihre Tomatensoße, könnte man meinen. Wer aber unbedingt Nudeln selbst herstellen will, hat die Chance, Fusilli fatti in casa nachzubauen. Dabei werden Teigstränge um eine Stricknadel gewickelt und fertig sind die hausgemachten Pasta-Spiralen. Mich aber drängt es zu den Gnocchi, diesen Miniknödeln italienischer Provenienz. Erstaunt bin ich über die Gnocchi ripieni, die hier mit geräucherten Scamorza und Ricotta zubereitet werden. Das gleiche Gericht, ohne Käse, kenne ich mit Schweine-, Rindfleisch und Schinken gefüllt. Ganz was anderes. Und die Kartoffelgnocchi mit Tomatensauce, Mozarella & Basilikum sind zart und in leichtem Tomatenrotton, ein Gericht für Verliebte, finde ich.
Fast übersehen hätte ich die gefüllten Pfannkuchen nach Ravello-Art. Ein nachhaltiges Wohlfühlessen, das meine Gäste mit unbändiger Gier verschlangen. Einige wenige blieben übrig und wurden an einem launigen Abend mir als Resteessen serviert.
Aus den Kapiteln Fisch & Meeresfrüchte sowie Fleisch erwähne ich nur Pollo al limone, stellvertretend für alle jene Gerichte, die das Zeug haben, ein schnelles Abendessen abzugeben, wohl auch, weil sie so einfach zuzubereiten sind. Ein bisschen überrascht war ich, dass das Kapitel Gemüse & Beilagen relativ spärlich besetzt ist. Der geröstete Fenchel mit Thymian war allerdings eine schöne Entdeckung.
Zum Endspurt fehlen nur mehr die Abschnitte Süsses, weiters Cocktails & Drinks sowie Käse, der eigentlich vor dem Dessert serviert wird. Anzumerken ist, dass ich einige Rezepte mit Birne entdeckte, ein Obst, das in Kochbüchern oft vernachlässigt wird. Torta di ricotta & pere und die Birnen-Marmelade sind bereits vorgemerkt. Etwas enttäuscht war ich über das Käsekapitel, das ausführlicher hätte sein können, eben, nicht nur die Produktion beschreiben, sondern auch Fragen zur Lagerung und Reifung beantworten hätte können. Den Schluss bildet das Inhaltsverzeichnis, das die Rezepte alphabetisch geordnet nach Zutaten listet.
Viele regionale Spezialitäten sind in diesem Kochbuch vereint und warten darauf, entdeckt zu werden. Die meisten Gerichte kommen mit wenigen Zutaten aus. Ein großer Pluspunkt ist die bildhafte Ausgestaltung dieses Kochbuchs. Helen Cathcarts fotografische Koch- und Alltagsszenen vermitteln Stimmungen so, als würde man sie selbst erleben. Die traumhaften Fotos von sonnenüberfluteten Städtchen an steilen Hängen, versteckten Meeresbuchten und vollbehangenen Zitronenbäumen zeigen, wie malerisch schön dieser Teil Italiens Süden ist.
Die AMALFI KÜCHE – Rezepte aus Italiens Süden von Katie und Giancarlo Caldesi ist ein wunderbares Kochbuch, mit vielen persönlichen Anmerkungen des Autorenpaares über die Amalfitaner und ihre Essgewohnheiten. Sie bringen mit ihren Rezepten die Sonne in den Norden und damit wohl auch ein bisschen Urlaubsstimmung.