Hans Gerlach, Probier doch mal

Lieblingsrezepte, Geschichten und Entdeckungen. In Kooperation mit dem Süddeutsche Zeitung Magazin

Fotos von Hans Gerlach
Brandstätter Buchverlag, Wien, 2024, 208 Seiten, 30.- Euro
ISBN 978-3-7106-0765-3
Vorgekostet

Heute reisen wir nach DEUTSCHLAND.

Im Gepäck das Kochbuch Probier doch mal, in welchem Hans Gerlach die Lieblingsrezepte und Geschichten aus der beliebten Kolumne des SZ-Magazins präsentiert. Gerlach ist Koch und Architekt, was ihn in die Nähe von Fergus Henderson rückt. Allerdings sind beide so konträr wie nur irgendwas, denn Fergus verarbeitet bevorzugt Tierisches von der Nasenspitze bis zum Schwanz, während Hans’ Rezepte eher um ein Gemüse kreisen, wie auf der Autorenseite des SZ-Magazins zu lesen ist.

Inhaltlich baut der Autor sein Werk auf sechs Kapiteln auf. Die Basics vor den Vorspeisen, danach kommt ein umfangreiches Pasta-Kapitel, das vom Fleisch abgelöst wird. Das hält sich aber, was den Seitenumfang betrifft, nicht sehr lange, denn übermächtig rückt das Gemüse nach, das 40 Seiten später vom Süßen verdrängt wird. Das ist schon mal eine klare Vorgabe, die im Vorwort noch präzisiert wird. Da heißt es: Sie finden in diesem Buch neue Ideen neben Klassikern in einer zeitgemäßen Form. Und, oft entscheiden Kleinigkeiten, ob ein Essen gut oder grandios schmeckt. Da geht es dann bspw. um marinierte Kräuterblättchen und deren Frische-Wirkung auf viele gemütliche Gerichte mit Reis, Nudeln oder Bohnen … Es ist die wunderbare Welt der Gemüse, die Gerlach als Ausgangspunkt für den weitaus größten Teil seiner Rezepte dient. Ja, sogar die Gesundheit unseres Planeten (Planetary Health) fördern. Aber, es geht auch um den Weg zum Genuss, um Sinneseindrücke, die seinem Motto gleichzusetzen sind: Mit den Fingern sehen, mit den Ohren kochen, mit der Nase würzen. Und, um noch eins drauf zu setzen, ist das Schlusszeichen kein Punkt, sondern ein QR-Code mit einer umfangreichen Playliste musikalischer Begleitung zum Kochen, für diejenigen, die das mögen. 

Jedes Kapitel wird mit einer bunten, stilisierten Grafik eingeleitet, die auf das zu Erwartende hindeutet. In den Basics sind es Gläser, die Vorratsbehälter für Chili-Crunch, Furikake oder Kichererbsen. In diesem ersten Kapitel zeigt der Pfeil eindeutig Richtung Asien, überwiegen Gerichte wie das Kichererbsen Miso, Reisnudelsalat mit Furikake, Uschis Dukkah oder die zwei Kimchi-Rezepte. Dabei vereint die Würzpaste Miso gleich zwei Zustände in einem, nämlich Gärung und Schimmel. Aber kontrolliert und essentiell wichtig. Derselben Familie der Würzpasten angehörig ist Furikake miso-ähnlich, nur eleganter, subtiler und weniger scharf. Uschis Dukkah ist ein Sammelsurium an Körner und Samen und Flocken, wobei die Haselnüsse den Ton angeben. Damit nichts Angebranntes rein kommt, werden alle Zutaten separat geröstet. Spannend und ausgiebig erklärt Gerlach die Kimchi-Methode. Dabei deutet der Autor an, dass damit wunderbar die Reste aus dem Gemüsefach fermentiert werden können. In einer anderen Variante werden Wassermelonenschalen zu Kimchi verarbeitet, was den Sommersalaten einen zusätzlichen Kick verleiht. Die ukrainische Region Oblast Cherson ist Wassermelonenland und dort werden diese riesigen, prallen, gestreiften Biester in Fässern in Salz eingelegt, natürlich ohne der harten äußersten Schale. Aber aus der dicken weichen Schale zwischen erster, verhärteter Epidermis und roten Fruchtkörper kann man auch eine vorzügliche glasige Wassermelonenkonfitüre köcheln, mit wenig Zucker, also nicht wie in den USA. Ob das Wassermelonenschalen-Kimchi ähnlich wie der Zunderschwamm riecht, nach knackig frischen Wassermelonenschalen, wird sich herausstellen. Jetzt sind die zerschnippelten Schalen im Einmachglas und müssen noch eine Woche fermentieren. Zu diesem Rezept gibt es auch eine Fotostrecke und Tipps, damit ja nichts schief geht.

Im Kapitel Vorspeisen stellt sich der Autor die Urfrage: Wie entstehen gute Kochrezepte?, ohne die Frage wirklich zu beantworten. D. h., die Antwort sind Rezepte guter Vorspeisen, manche sogar mit Sprachwitz, wie Vitello Makrelo, die meine Vorstellung, Rezeptentwicklung kann lustig sein, beflügelt. Der französische Koch Alain Pessard regte Hans zu einem Tomatenbrot mit Brombeeren und Ricottacreme, an Bruscetta-ähnlich, ein bunter Garten Eden auf getoastetem Landbrot. Das schaut nicht nur gut aus, sondern lässt den Sommer mit den Aromen vollreifer Früchte auferstehen. Besonders geschmeckt hat meinen Gästen das Waldorf-meets-Coleslaw-Sandwich, wobei Coleslaw ein amerikanischer Krautsalat ist und dem Doppeldecker ein wirres, chaotisches Aussehen verleiht. Aber gerade das hat gefallen. 

In der Pastaabteilung stoßen wir dann auch auf einige Überraschungen. Spaghetti pestonara ist ein einfaches Gericht mit viel Basilikum- oder Estragonblättern. Natürlich musste ich die Estragon-Variante ausprobieren und habe es nicht bereut. Überhaupt scheint Gerlach bestimmte Vorlieben zu haben, neben dem Dragun Gewürz bspw. auch die Quitten, was mir sehr sympathisch ist. In diesem Kapitel wird Gerlachs Liebe zur mediterranen Küche offensichtlich. Vom grünen Risotto mit Huhn bis zu den Malloreddus, einer gerillten sardischen Pastasorte, die er zu Pasta fredda mit Wassermelone, Sesam und Käutern verarbeitet, wie auch eingelegten grünen Mandeln reicht hier die Palette. Spannend finde ich, einen Klassiker wie Spaghetti cacio e pepe mit Schwarzkohl aufzuwerten oder neu zu erfinden, denn keine italienische Nonna lässt sich ihre Cacio e pepe von einem Deutschen umfriesieren.

Man muss Gerlach zugestehen, dass er witzige Einfälle hat, eben Bekanntes mit Neuem zu konfrontieren. So wird der Linsen-Risotto mit mariniertem Fenchel zu einem eindrucksvollen Gericht – knackig, frisch mit feiner Säure.

An der Fleischtheke treffen wir auf Rinderrouladen, Kalbsschnitzel und Wurst. Selber wursten ist hier die Devise. Es geht um nichts anderes als grobe Griller, und um eine Einstellung: wenn man schon Brot selber macht, warum nicht auch die Wurst? Selber wursten ist ein vergleichbar archaisches Erlebnis, verrät der Autor und hat Pädagogisches im Sinn wie Verständnis und Erfahrung. Wer weiß, vielleicht schmeckt Ihnen die selber gemachte besser als die vom Metzger. Mir jedenfalls schon, weil die Home-Wurst weniger salzig ist.

Ein Kernthema der Probier-doch-mal-Kolumne sind die Gemüsegerichte, die den Anspruch einfach und raffiniert verfolgen. Das kann natürlich nicht immer eingehalten werden. Die Farinata-Crêpes revisited sollte man nicht mit großem Hunger angehen, denn sie benötigen 1 1/4 Stunden Arbeitsaufwand und 4 Stunde Ruhezeit. Dagegen ist die Vegane Béarnaise mit feinem Gemüse ein Lercherl und die Kartoffelschalen-Strips verblüffen, wird doch das Abfallprodukt Schale zum Hauptakteur. Etwas enttäuscht war ich vom Sommer-Blumenkohl-Gratin, da hatte ich mir mehr Geschmack erwartet. Dafür waren die kleinen Kürbisrösti ein Hit bei Jung und Alt. Außen knusprig, innen schön weich.

Am Schluss fährt Hans Gerlach mit seinem Dessert-Wagen vor, der Süßes in allen Schattierungen präsentiert. Weiß-gelblich durchscheinend ist Ferdinands-Limonchello-Tonic ein idealer  Begrüßungscocktail und die magische Zitronencreme ein würdiger Schlusspunkt eines Gerlachschen Menüs. Eine erstaunliche Creme ohne Bindemittel, nur Sahne, viel Sahne, Zitronen und Zucker. Erwähnt sei noch der Quittensaft, der im Kalender fix eingetragen zu machen ist mit Ende September, wenn die Rosenfrucht als Letzte im Jahr reif ist.  

Probier doch mal von Hans Gerlach ist eine Herausforderung, da viele Rezepte nachgebaut werden wollen. Auch verschont uns der Autor nicht mit Geschichten in dem Kokon eines Vorspannes, in welchem Geschichtliches, Hintergründiges und Informelles erzählt wird. Wohltuend hebt sich auch die Zutatenliste vom übrigen Text ab. Der Schwierigkeitsgrad der Rezepte ist dreistufig mit Punkten erfassbar, wie auch der zeitliche Arbeits- und Kochaufwand ausgewiesen ist. Die Fotos vom Koch selbst lassen ein Gespür für räumliches Denken und Sehen erkennen, wenn auch die pastellhaften Abbildungen, mit dem Duktus leichter verschleiernder Andeutungen, mir nicht immer gefallen. Das Inhaltsverzeichnis ist ausführlich, allerdings wäre ein ergänzendes Zutatenregister wünschenswert. Vielen Rezepten ist ein QR-Code beigefügt, der wiederum zu YouTube-Videos verlinkt ist, und in Step-by-Step-Art den Kochvorgang der Gerichte visuell nachvollziehbar macht. Hans Gerlachs lockerer Ton hat etwas Einladendes. Seine Gerichte wirken natürlich und nicht überdekoriert, sind aber nicht unbedingt immer Alltagsküche. Jedenfalls macht es viel Spaß, sich in Gerlachs Rezeptewelt zu erproben.