Hugh Fearnley-Whittingstall, Viel mehr vegetarisch!

200 neue Rezepte aus dem River Cottage

Mit Fotos von Simon Wheeler und Illustrationen von Mariko Jesse
Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Bonn
AT Verlag, Aarau und München, 2018, 416 Seiten, 29.-- Euro
ISBN 978-3-03800-992-4
Vorgekostet

Heute reisen wir nach River Cottage.

Das ist in Englands medialen TV-tanien eine Serie mit Kultcharakter, auch eine Kochschule mittlerweile. Und eine erfolgreiche Institution, die zwar noch nicht so bekannt ist wie der Geist von Canterbury, aber doch auf eine immer größer werdende Fangemeinde im englischsprachigen Raum blicken kann.

Das Gesicht, das River Cottage nach aussen vertritt, gehört Hugh Fearnley-Whittingstall. Seines Zeichens Bauer, Journalist und Kochbuch-Autor, der sich in eine Riege von BBC-TV-Koch-Moderatoren einreiht, zu denen Größen wie Nigel Slater, Nigella Lawson, Merry Berry oder Ching He Huan u.a. gehören. Nichts ist in England so populär wie das Königshaus, aber gleich danach kommen die Kochshows, so mein Eindruck. Wie überhaupt zur Zeit England den ersten Kochlöffel in der Arena der Kochkunst schwingt. Und der Kochbuchmarkt boomt. Hugh gehört auch hier mit seinen zahlreichen Kochbüchern zu den Erfolgreichen. Im deutschsprachigen Markt ist es der AT-Verlag, der Fearnley-Whittingstalls Werke herausgibt. Mittlerweile sind fünf Titel übersetzt.

Seid ihr alle da?, könnte uns Hugh Fearnley-Whittingstall, der Titelheld von Viel mehr vegetarisch! zurufen, das im Frühjahr 2018 erschienen ist. Er hält eine große grüne Gurke vor seinem Mund, die sein angedeutetes Lächeln überdimensional verstärkt. Überhaupt ist es sein Markenzeichen, von allen covers seiner Kochbücher deren Besitzern auf Brustbildhöhe direkt entgegenzutreten. Einmal Wilhelhelm-Tell-mäßig mit einem Apfel auf dem Kopf, dann mit riesigen Rosenkohlblättern, die er wie einen Schirm über sich hält, dann wieder kraftmeiernd mit Lauchstangen als Hantelersatz in der Hand am Tisch aufgestützt und nun mit einer Gurke vor dem Mund. Fearnley-Whittingstall ist die moderne Version des Robin Hood, der für seine ‚grown your own‘ Philosophie kämpft. Ein Chef, der mit seinen Mitstreitern das Königreich der Gemüse plünderte, um jede Wurzel, jeden Trieb, jede Bohne, jede Zwiebelpflanze und jedes Rankengemüse in vorher nie gedachter Weise zu nutzen. Und er bezieht auch das Obst darin ein. Dargelegt auf über 400 Seiten mit konkret 200 neuen Rezepten aus dem River Cottage.

In der Einleitung legt er die Rahmenbedingungen fest, die radikaler nicht sein können. Völliger Verzicht auf Fleisch und Fisch, auch keine Eier und Milchprodukte, ohne Spur von Butter, Käse oder Joghurt und auch keinen Honig – also komplett Veganer, der allerdings kompatibel ist. D.h., er lässt uns Anwendern genügend Spielraum, den eigenen Weg zu finden. Da findet auch der Vegetarier seinen Platz. Ja, er fordert geradezu auf, Eigenes zu kreieren, sieht sich vor allem als Impulsgeber. Sein Credo mutiert fast zur Kampfansage: Essen Sie Gemüse, ganz wie Sie es mögen – nur essen Sie viel mehr davon! So also beginnt ein Streiter für sein Kapital, das Gemüse zu werben, denn, mehr Gemüse ist auch für die Umwelt gut. In acht Kapiteln umkreist er sein Objekt der Begierde. Kapitelbezeichnungen, die mit ihren Sprachverkürzungen an Halbstarken-Slang erinnern. Da gibt es Gemüse satt und Volle Würze. Zwei Zugänge, die beweisen, dass Gemüse satt macht, denn alle Rezepte sind vollwertige Hauptgerichte. Da gibt es den gebratenen Blumenkohl mit Mandeln, Graupen und Petersilien-Chili-Dressing, ein feines, unkompliziertes Essen, das wunderbar mundet. Interessanterweise ist im Register das Wort Graupe nicht eingetragen, sondern nur in ihrer spezifischen Art, nämlich Dinkel- oder Gerstengraupe. Und da ist eine Vielzahl an Rezepten versammelt. Sie heben den Stellenwert dieses unscheinbaren Korns ein wenig heraus aus der scheinbaren Bedeutungslosigkeit bzw. Ignoranz. Der Erbsen-Dinkelrisotto mit Zitrone und Haselnüssen ist mit seiner Leichtigkeit und grün-gelblich angehauchten Farbdominanz ein Vorbote des Sommers. Das Grün, den unterkühlten Erbsen geschuldet, jener Zutat, die auch in unserer Küche ein wenig vernachlässigt wird. Wie gut also, dass sich in diesem Kochbuch zehn Erbsengerichte finden.

Die Auberginenpfanne mit Pak Choi hängt mächtig den Thai raus, ein schnelles, unkompliziertes Pfannengericht, das geradezu zum Experimentieren mit anderen Zutaten einlädt. Es ist eines der wenigen Rezepte, die auch den gesundheitsbedenklichen Zucker einfordert, über den wieder einmal viel diskutiert wird. Alibihalber muss erwähnt werden, dass es nur zwei Teelöffel sind, wir uns somit im Spurenbereich bewegen. Ein absolut erfrischendes Blechgericht wird mit neuen Kartoffeln, Kopfsalat und Frühlingszwiebeln mit Zitrone und Lorbeer zubereitet. Schon die Erinnerung an dieses simple Essen löst erhöhten Speichelfluss aus. Allerdings ist mir von den vielen Kartoffelrezepten ein Blechgericht besonders deutlich in Erinnerung geblieben. Auch, weil ich von meinen Kindern mehr als einmal aufgefordert wurde, dieses Essen wieder zu machen. Kartoffeln, Steckrübe, Apfel und Grünkohl ist unter den Ofengerichten abgelegt und wegen seines Kontrastes zwischen stärkehaltigem Wurzelgemüse und süß-säuerlichen Äpfeln ein besonderes Schmankerl. Und sie liebten diesen Gemüse-Gatsch (österreichisch für Matsch) mit einem Klecks fruchtigen Ketchups. Auch sind hier zig Variationen mit verschiedenen Wurzeln und Kohlsorten möglich. Weil das den Meinen so gut mundete, erzähle ich Ihnen am Ende, wie es zubereitet wird. Für Kürbis, Süßkartoffeln, Chili und Grünkohl musste mein letzter Butternut-Kürbis dran glauben. Das war keine Schande, er blieb uns in bester Erinnerung, gerade wegen seiner orangefarbenen Heraushebung. Die größte Farbintensität rief aber ein Rote Bete-Rezept aus der Abteilung Rohkost hervor. Rote Bete, Rhabarber und Orange waren nicht nur farblich eine Wucht, sondern auch wegen ihrer fruchtigen Aromen. Ein Amuse-Gueule der Sonderklasse, das bestimmt nicht zum letzten Mal auf meinem Tisch stand.

Im Grunde genommen ist es unmöglich, alle Gerichte aufzuzählen, die uns mundeten. Und täglich kommen neue dazu. Kohl und Apfel mit Rosenwasser z. Bsp. oder Rosenkohl-Rhabarber-Apfel-Tartar oder gebratene Pilze mit Grünkohl und Walnüssen oder oder …

Hugh Fearnley-Whittingstalls Kochbuch Viel mehr vegetarisch! ist wahrlich ein Tischlein deck dich an Rezeptideen mit Gemüsen. Vielfältig und ideenreich sind die Kreationen, die jung und alt munden. Kaum blättert man im Buch, ist die Versuchung groß, sofort in die Küche zu gehen und das vorrätige Gemüse zu sichten, um im Indexverzeichnis all jene Gerichte nachzuschlagen, die diese Zutaten beinhalten. Die Fotos und Illustrationen sind zudem anregend und nicht minder anschaulich. Es ist erstaunlich, dass dem Autor und seinem Team immer wieder neue Verführungen aus der grünen Küche einfallen. Und es ist gut so.

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