Heute besuchen wir SPANIEN.
Es sind unsere Erinnerungen, die glücklich machen, könnte als Stehsatz zur Geschichte werden, definiert José Pizarro doch damit eine allgemeingültige Erfahrung, die wahrscheinlich Jede und Jeder kennt: Gemeinsam Erlebtes kann ein reines Glücksgefühl erschaffen. Und weil eingangs Spanien erwähnt wurde, denken wir sofort an Sonne, Stierkampf, Flamenco und Urlaub im Südwesten Europas. Aber nicht nur daran, sondern auch an Kulinarisches oder das, was der Schriftsteller Josep Pla so ausdrückte: Die Küche des Landes ist seine Landschaft im Topf. Es sind Herdaromen, die José an gemeinsame schöne Zeiten denken lassen. Wenn ich ein bestimmtes Gericht erneut zubereite, kehren meine Erinnerungen an die damit verbundenen Menschen, Orte oder Erlebnisse zurück, wobei er vorrangig an die Küche seiner Mutter und seiner Großmutter denkt. Davon, also vom Essen und dessen rückschauende Wirkung, handelt Josés neuestes Kochbuch Die spanische Landküche, das bei Dorling Kindersley auf deutsch herausgekommen ist. Der Titel ist etwas irreführend und im englische Original – Spanish Home Kitchen – viel präziser, meint er doch die einfachen, seasonal recipes and memories from my home.
Auf vier Kapitel verteilt José seine kulinarischen Erinnerungen in Form von Rezepten und Fotos. Beginnend mit Gemüse, das von Fisch und Meeresfrüchten abgelöst wird, ist das dritte Kapitel absolut fleischlastig, während das Süsse den krönenden Schluss bilden würde, wären da nicht noch Nachreichungen wie Menüvorschläge und ein ausführliches Register. Es sind etwas über 70 Rezepte, die uns die Essenz einer Kultur nahebringen, genauer die der Provinz Cáceres. Ein großer Teil der kulinarischen Erinnerungen stammen aus diesem kargen Landstrich, der Extramadura, an der Grenze zu Portugal. Eine einfache Küche wie die Landschaft sie vorgibt, ausgetrocknete Ebenen und grüne Bergweiden bieten ein abwechslungsreiches Spektrum. Wobei hier einzuwerfen ist, dass José auch einige Rezepte aus anderen spanischen Gegenden vorstellt.
Die Tomatensuppe mit Feigen ist simpel und mit einem Aber versehen. Aber es müssen die besten Tomaten sein und da bin ich mit ihm einer Meinung. Versuchsweise habe ich die selbe Suppe mit stückigen Dosentomaten probiert …, vergessen Sie es, vergessen Sie es! Aber mit den vollreifen Ochsenherzen ist diese Suppe eine kleine Köstlichkeit, die man ihr nicht zutraut.
Die Tortilla mit dicken Bohnen ist ein Gericht, das in ganz Spanien verbreitet ist. Ursprünglich eine Eierspeise, die die Kartäusermönche mit Sahne anmachten, später von den Köchen der Habsburger Könige mit Kartoffeln zu tortilla de patatas gekrönt wurde, um im Laufe der Jahrhunderte dann die Tortilla mit allen möglichen Zutaten zu bedienen: Spinat, Glasaale, Schinken, Tomaten, Pilze und eben Bohnen. Solange die Bohnen jung sind, werden sie samt Schote, in Streifen geschnitten, verwendet. Eine spanische Besonderheit sind junge Dicke Bohnen in Olivenöl, die auch für dieses Gericht verwendet werden können.
Kosten sollten Sie, und wenn Sie noch so viele Argumente gegen Knoblauch vorbringen, einfach eine Löffelspitze kosten von der cremigen Röstknoblauchsuppe mit Manchego. Dann reden wir weiter. Und ignorieren Sie Don Quijotes Mahnung: Iß weder Knoblauch noch Zwiebel, denn ihr Geruch verrät den Bauern in dir! Ich und meine Gäste waren jedenfalls hingerissen von diesem Süppchen und nicht beleidigt, weil statt Manchego ein heimischer Schafkäse verwendet wurde. Die klassische Knoblauchsuppe wurde von José verfeinert mit Pimentón de la Vera, Milch und einem Knoblauchbrot, das in der Suppe versenkt ist.
Überhaupt verwendet José gerne und viel Pimentón de la Vera, Paprika, den Kolumbus von seiner zweiten Amerikareise mitbrachte. Lange blieb die Schote mit ihrer beißenden Schärfe ein Geheimtipp der spanischen Küche, bekannt nur in der Extramadura, wo die Pflanzen erst in den Klostergärten, dann von den Bauern in der reizvollen Landschaft La Vera angebaut wurden. Erst im 17. Jahrhundert eroberte der gemahlene Paprika die spanische Küche. Dass es so viele Menschen begeistert, wird am rauchig-aromatischen Geschmack liegen, vermutet José, außerdem liebt er die hübschen kleinen Dosen, in denen es verkauft wird. Gewünscht hätte ich mir mehr Information über den Pimentón de la Vera, der, um seinen typischen Geschmack zu erhalten, nur mit dem Rauch von Eichenholz getrocknet wird.
Auch über den Manchego und die Patatera, zwei Lebensmittel, die typisch sind für die Extramadura, hätte ich gern mehr erfahren. Ersterer ist ein Hartkäse vom Schaf, der außerhalb von Spanien kaum zu finden ist. Leider verrät José uns nicht, welche Alternative es für den Manchego gibt. Als potentiellen Ersatz für die Patatera, einer typische Wurstsorte der Region, schlägt er Sobrasada oder ‘Nduja vor. Na ja, jetzt wissen wir es! Und für die Röstbrote, die in der Knoblauchsuppe versenkt werden, verwendete ich anstelle des Manchego einen milden Parmesan.
Erstaunlich umfangreich ist das Fisch- und Meeresfrüchte-Kapitel, wenn man bedenkt, dass Josés Heimatprovinz an kein Meer grenzt. Landestypische Gerichte wie die Seehecht-Croquetas oder Kabeljau aus der Pfanne und pochiertes Ei oder Krebs-Canelones oder Thunfisch-Seeteufel-Muschel-Eintopf spiegeln die große Bandbreite. Interessant fand ich die Thunfisch-Tortilla, mit Thun aus der Dose, die sowohl warm als auch kalt gut schmeckt. Überraschenderweise findet sich im Fisch-Kapitel kein Rezept mit Süßwasserfischen, allerdings fließt der Tejo nur einen Steinwurf entfernt an Josés Heimatort Talávan vorbei. Dabei erinnert sich José an seine Jugendzeit, wie er mit seinem Vater im Fluss angelte – Schleien und Schwarzbarsche. Und im nahegelegenen Alcántara-Stausee tummeln sich Welse, Hechte, Barben und stattliche Zander. Warum es kein Rezept mit Fischen aus Seen und Fließgewässern gibt, erfahren wir nicht.
In der Fleisch-Abteilung stoßen wir auf das Iberische Schwein, das für seinen nussigen Geschmack bekannt ist. In der Extremadura sieht man es noch freilaufend in den Eichenwäldern, sie ernähren sich von Eicheln und Kräutern. Die Cuchifritos mit Salsa aus eingelegten Zitronen gelingen auch mit Schweinebauch heimischer Rassen. Traditionell werden die Schweinebauchhäppchen mit Spanferkel zubereitet und mit Tomatensalat serviert; die Zitronensalsa ist eine Zugabe von José. Gerichte mit Ziege, Lamm, Perl- und Rebhuhn wie auch Kaninchen gehören zur mediterranen Kochkultur genauso wie der Flamenco zu Spanien. José präsentiert seine Erinnerungen einer Fleischküche, die er zum Teil neu interpretiert. Das alte Leben auf dem Lande wabert wie eine geisterhafte Erinnerung über unseren Töpfen, meint Claudia Roden. Vielleicht dachte sie dabei an den Zitrusfruchtsalat mit gebratener Chorizo und knusprigem Spiegelei. Richtig gelesen! Das Spiegelei auf die Zitrusfrüchte gelegt, und fertig ist ein wunderbarer Salat.
Am Ende wird Süßes aufgetischt, kommen die Naschkatzen auf ihre Kosten. Süße Versuchungen von denen ich zwei hervorhebe. Die eingelegten Kirschen in Aguardiente-Sirup mit Pistazieneiscreme habe ich mit Kornelkirschen und Grappa gemacht. Die Kirschen müssen über einen Monat ziehen, d.h., ich habe nur gekostet davon – das war unglaublich. Der gebackene Orangen-Milchreis mit Erdbeerkompott ist zwar ein Import aus Großbritannien, hat sich aber problemlos in Josés Familienküche eingebürgert. Diesen seidig-weichen Milchreis wünschte sich mein Sohn Benjamin zum Geburtstag und war voll des Lobes. Schließlich ist er ja der Milchreisspezialist und ich war natürlich gebauchpinselt.
Die spanische Landküche von José Pizarro birgt einige Überraschungen. Es ist seine Familiengeschichte in Bildern und Rezepten. Was für viele das Fotoalbum ist, ist für Pizarro das kulinarische Erinnerungsalbum. Wenn auch seine Geschichten mitunter oberflächlich bleiben, so zeigen seine Gerichte doch, dass in der Extremadura keine verspielte Küche beheimatet sein kann. Klar und einfach sind die meisten Rezepturen wie die unendliche Weite der Landschaft in der Provinz Cáceres. Oder wie Claudia Roden es ausdrückte: Josés Rezepte stecken voller großartiger Aromen und spanischem Flair.