Heute reisen wir kreuz und quer durch MITTELEUROPA.
Zunächst nach Wien, zu Eva Biringer. Sie ist Journalistin, die den Blog „Milchmädchenmonolog“ betreibt und für Zeit online die Rubrik „Sonntagsessen“ schreibt. Biringer wurde wiederum von Julia Stelzner angeworben für ihr Kochbuch WIE WIR KOCHEN ein Vorwort zu verfassen. Im Klartext heißt das: Eine Foodbloggerin heuert eine Foodbloggerin an für ein paar Worte zu einem Kochbuch, in dem Hauptakteure wiederum Foodblogger sind. Aber nicht irgendwelche Möchtegern-Stylisten sind hier versammelt, nein, es sind die besten Foodblogger mit ihren leckersten Rezepten – das verspricht zumindest der Untertitel. Herausgekommen ist WIE WIR KOCHEN im Prestel Verlag, einem renommierten Kunstverlag, der in den letzten Jahren einige interessante Kochbücher herausgebracht hat. Wie diese Internet-Foodexperten in das künstlerische Konzept des Verlages passen, kann ich mir nur über deren kulinarische Kreationen erklären, die mitunter wahre Meisterwerke sind.
Aber der Reihe nach. Eva Biringer berichtet einleitend von dem ewigen Hunger der Foodblogger, vom Essen als Ersatzreligion und der ständigen Fotografier-„Sucht“, den kulinarischen Trend auf elektronisches Fotopapier zu bannen. Und sie dreht das Rad der Meinungen weiter und erklärt, dass die Foodblogger mit ihren Blogs die Trends kreieren. Hier wäre noch ein wenig mehr Analyse schön gewesen. Zum Beispiel: Beeinflussen sich die Blogger gegenseitig? Als Nächstes kommt dann die Einführung von Julia Stelzner. Sie gesteht die Schwierigkeit, die 27 ultimativ besten Foodblogger auszuwählen, ein. Wochenlanges Sichten im Internet, Interviews führen mit den Auserwählten und das gesammelte Material zusammenzuführen machten, scheint es, der Autorin viel Spaß. Sie konnte aus den ganzen Daten auch einige Erkenntnisse ableiten. Etwa, dass die meisten Blogger aus diesem Buch am liebsten regional und saisonal kochen, dass Rote Bete häufig falsch geschrieben wird, nämlich mit zwei e, dass der Grünkohl – man glaubt es kaum – die Nummer 1 in den Gemüse-Charts ist. Und sie freut sich natürlich auch darüber, dass die Hälfte der vorgestellten Rezepte Neuschöpfungen sind, eigens für dieses Kochbuch erfunden. Und wir, die Nutznießer, dürfen uns mitfreuen, denn es gibt auch einiges Ausgefallenes zu entdecken.
Jeder Blog stellt quasi ein Kapitel. Die Blogbetreiber, ob einzeln oder häufiger zu zweit, kommen aus Berlin, Augsburg, Gols, Zug, München, Ulm, Köln, Wels, Luxemburg, Lüneburg, Felbach, Hamburg, Bad Vigaun, Bonstetten, Wien und Luzern. Wobei das Gros der vorgestellten Blogger sich in Berlin aufhält. Das ist insofern bemerkenswert, da ich versucht bin, aus diesen Daten eine These abzuleiten, dass a) die meisten Blogger und Bloggerinnen recht jung sind und b) Berlin ein fruchtbarer Boden für die innovative Bloggerszene zu sein scheint. Nach welchen Kriterien Stelzner die besten Foodblogs auswählte, bleibt unbeantwortet. Einige der Vorgestellten sind bekannt, die meisten nicht. Einige haben bereits selbst publiziert, wie Yannic Schoon und Susanne Probst aus Berlin, die das schöne Projekt Krautkopf zu Papier brachten, oder Melanie Limbeck, aus dem burgenländischen Gols, die ihre Diplomarbeit über eine fiktive Produktmarke verfasste und diese nun selbst vermarktet mit ihrem Blog „Mundwerk“.
Jeder Blog wird mit einem ganzseitigen Bild eingeleitet, dann werden der oder die Blogger vorgestellt. Letztere ergänzt um ein kurzes vertiefendes Interview. Da geht es um Fragen des am häufigsten verwendeten Gewürzes, ob Freestyle oder nach Rezept gekocht wird, was man für 10 Personen als Hauptgericht kochen soll, was es zum Frühstück gibt usw. Die Antworten sind manchmal recht erheiternd, aber immer sehr informativ. Dann stehen vier Seiten für zwei Rezepte zur Verfügung, mit folgender Vorgabe: Ein Blog-Favorit und ein neues Rezept. Alle Rezepte sind wunderbar fotografiert, mitunter stechen einige Darstellungen davon aber besonders hervor. So gefällt mir das Bild des glutenfreien Erdnussbutter-Pancake sehr gut wie auch die Sojanudeln mit Gurke und Wakame, die mich an ein Storchennest erinnern. Spätestens beim Abbild des Vanille-Chocolate-Chip-Pfirsich-Shake drängt sich der Verdacht auf, dass hier Joseph Beuys auf Nicky & Max inspirierend einwirkten. Allein schon das Durchblättern macht Spaß, löst Gaumenvorfreuden aus. Zum Beispiel auf das Kräuter-Käse-Risotto mit Pfannengemüse oder die Mango-Avocado-Wrappers, das so einfach, so schnell zubereitet, Genuss pur ist. Und zudem ist dieses Rezept, das neben den genannten Zutaten noch ein Salatblatt und etwas Limetten- oder Zitronensaft sowie rote Zwiebeln benötigt, beliebig wandelbar nach Lust und Laune.
Aufgefallen ist mir, dass die vegetarischen Gerichte überwiegen. Auch, dass in einigen Schöpfungen Reismehl zum Zug kommt, was mich erstaunte. Etwa im Bananen-Nussmus-Kuchen von Laura Muthesius & Nora Eisermann, die den Blog „Our Food Stories“ schreiben. Diesen Kuchen backte ich meiner Enkelin Freya zum Geburtstag. Er schmeckte allen vorzüglich, d.h. er war in kürzester Zeit vernascht. Und weil er so gut schmeckte, werde ich Ihnen das Rezept verraten. Zeitgleich hatte meine zweite Enkelin Olga Geburtstag. Sie wurde mit dem Birnen-Sternanis-Frühstücks-Kuchen beglückt, ein Naschwerk, das von Meike Peters von „Eat In My Kitchen“ erfunden wurde. Für alle, die Sternanis lieben, ist dieser Kuchen ein Geschenk des Himmels. Die gebackenen Avocado von Marta Greber, die einen Frühstücksblog betreibt, erinnerten mich ein wenig an Benedict eggs. Jedenfalls finde ich dieses Ei-Gericht eine tolle Idee und kalorienärmere Variante als die Benedict-Bombe. Aus dem Rahmen gefallen sind mit ihren Kreationen von Verbrannte Erde, ein Nudelgericht, und Rohe Artischocken die Kochkünstler Juri Gottschall & Mercedes Lauenstein aus München. Beide keine Unbekannten der Foodbloggerszene, kreieren sie eine zurückgenommene Küche mit starkem Italienbezug. Es gäbe noch einiges aufzuzählen, wie die veganen Gerichte von Nadine Horn & Jörg Mayer, die asiatisch inspiriert sind. Oder die Entenbrust von der Barbie-Ente an Bergkäse-Risotto und Erbsenpüree, das zwei Kölner Jungs vorstellen, nämlich Sascha & Torsten Wett.
WIE WIR KOCHEN ist aus mehreren Gründen höchst interessant. Einmal gibt dieses Kochbuch einen guten Überblick über die deutschsprachige Foodbloggerszene. Zum Zweiten werden darin viele junge hochambitionierte Hobbyköchinnen und -köche vorgestellt, die temperamentvoll und ohne Scheu Neues kreieren, das und was einfach toll ist. Vom Aussehen, vom Geschmack, von dem Mix an Zutaten. Es fordert zum Nachahmen auf, vermittelt Ideen und nicht zuletzt Internetadressen, in die man reinschauen sollte. Ich werde sicher noch öfter darin blättern, um mich mitreißen zu lassen von den leckeren Vorschlägen. WIE WIR KOCHEN ist im Prestel Verlag erschienen.