Heute reisen wir nach CHINA.
Wenn wir uns China auf der Landkarte anschauen, dann können wir mit einiger Phantasie ein Huhn erkennen, wobei die Beine allerdings exterritorial, nämlich Vietnam und Laos wären. Im Osten stößt der Kopf an Sibirien. An den Hals schlagen sanft die Wellen des Gelben und an den Bauch die stürmischen Wogen des Chinesischen Meeres. Die Eier werden im Himalaya abgelegt und das Gefieder berührt im Westen ehemalige Sowjetrepubliken, während auf dem Rücken die Mongolen sitzen, die auch seinen Hals tätscheln. Grob könnte man nach dieser geographischen Einteilung in die Himmelsrichtungen diesen auch die fünf grundlegenden Kochkulturen Chinas zuordnen, wobei die fünfte zentral im Herzen zu orten wäre.
Das machen auch Kei Lum Chan und Diora Fong Chan, nur differenzieren sie geographisch um einiges feiner und orientieren sich an den 23 Provinzen, die weitgehend auch die Regionalküchen definieren. Kei Lum und Diora Fong Chan sind Hongkong- Chinesen, die familiär vorbelastet sich der chinesischen Esskultur verschrieben haben. Bereits in den 1950er Jahren hat Kei Lums Vater ein 10-bändiges Werk, die „Food Classics“ Chinas, herausgebracht. Vielleicht war es dieses Erbe, das das Autorenpaar bewog, durch China zu reisen, Rezepte zu recherchieren, zu sammeln und in komprimierter Form einem westlichen Koch-Publikum zugänglich zu machen. CHINA – DAS KOCHBUCH ist im Phaidon Verlag bei Edel erschienen. Der einfache Titel lässt keine Rückschlüsse zu, welch zeitlicher und logistischer Aufwand hinter diesem Mammut-Projekt steckt. Von den Reisestrapazen wollen wir gar nicht erst wissen, auch, wenn die Forschenden immer – so meine Phantasie – mit gutem Essen belohnt wurden. Die größte Schwierigkeit war aber, eine Auswahl zu treffen, welche Gerichte publiziert werden sollen. Ein Viertel, genau 650 Rezepte, blieb übrig, das, in einem zwei Kilogramm schweren Buchblock vereint, den wahrscheinlich umfassendsten Einblick in die chinesische Kochtradition gewährt. Dabei blieben traditionelle Klassiker wie die Pekingente oder geröstetes Schwein außen vor. Wer aber um seinen geliebten Entenklassiker weint, sei getröstet. Es finden sich in diesem Kochbuch gezählte 17 Gerichte mit Ente. Und wenn es unbedingt Beijing sein muss, dann gibt es eine wunderbare Alternative: gebratene Ente für zwei Personen, die – man staune – in einer halben Stunde tischfertig ist.
Die Einführung ist äußerst knapp im Verhältnis zum Rezeptteil. Die dreitausendjährige Geschichte der chinesischen Esskultur wird auf drei Seiten abgehandelt, wobei hier schon interessant gewesen wäre zu erfahren, wie sehr sich diese gewandelt hat, gerade nach der einschneidenden Kulturrevolution. Und wenn die Chans es ausklingen lassen mit der Feststellung, dass „manche den Verlust der Authentizität durch die Globalisierung beklagen“, so bleiben sie ihre Einschätzung, ob das so stimmt oder nicht, schuldig. Oder kann man diesen umfangreichen Schatz nationaler Rezepte als Antwort verstehen?
Der Geschichte folgt dann ein Überblick über die Regionalküchen mit Hinweisen auf für sie typische Gerichte. Sehr lesenswert, wenn auch hier eine Karte hilfreich wäre. Die nachfolgende Beschreibung der Gartechniken lässt erahnen, wie fein nuanciert an chinesischen Herden gekocht wird. Dabei gibt es vor Ort noch feinere Unterschiede in den Details. Diese Seiten sollten gelesen werden. Was noch fehlt ist die Frage nach den chinesischen Küchengeräten. Und die Antwort folgt prompt in Form einer kurzen, eher informellen Zusammenfassung, mit dem wichtigen Hinweis, dass sich für alle chinesischen Kochutensilien ein Ersatz in der eigenen Küche finden wird. Das ist gut so, denn so gibt es keine Ausrede, nicht chinesisch zu kochen. Allerdings, wer Feuer gefangen hat an der chinesischen Esskultur, der wird um ein paar Anschaffungen nicht herum kommen. Auf Wok, Bambussieb und Hackbeil würde ich nicht mehr verzichten wollen.
Nun aber zum Hauptteil, der in acht Kapitel gegliedert ist. Wie üblich eingeteilt von Vorspeisen über Suppen, Fisch, Geflügel, Fleisch sowie Gemüse, Tofu & Eier, dann Reis, Congee & Nudeln bis Desserts. Angehängt noch ein Abschnitt mit Beiträgen von Gastköchen. Abgeschlossen wird das Werk mit einem ausführlichen Glossar, das wirklich gut und in knapper Form fast alle chinesischen Ingredienzien erklärt und manchmal Alternativen anbietet. Zum Beispiel kann die Flügelgurke durch Zucchino ersetzt werden. Warum hier der italienische Begriff für Zucchini verwendet wird, ist nicht nachvollziehbar. Allerdings sei an dieser Stelle betont, dass die Übersetzung aus dem Englischen von Susanne Schmidt Wussow und Babette Schrooten hervorragend ist.
Allen Rezepten beigestellt ist ein informeller Block, dem Herkunft, Zubereitungszeit und Ergiebigkeit zu entnehmen sind. Auffällig auch die vorbildliche Beschreibung der Zubereitung, die selbst komplizierte Techniken nachvollziehbar macht. Nicht alle Rezepte sind fotografisch abgebildet, und die, die es sind, sind es seitenfüllend.
Wenn die Seitenzahl das Maß für die kulinarischen Vorlieben der Chinesen ist, dann steht an erster Stelle Fleisch, gefolgt von Speisen mit Gemüse, Tofu und Eiern, und an dritter Stelle das Geflügel. Eine asiatische Sonderstellung nimmt neben Tofu noch Congee ein. Letzteres ist das Pendant zum englischen Porridge, aber auf Reisbasis. Und es fungiert als Grundlage, der zum Beispiel Hähnchen, Fischkugeln, Froschschenkel, Thunfisch und Erdnüsse, Rindfleisch und anderes beigemengt wird. Jedenfalls sind die Congee-Gerichte eine Versuchung wert.
Aus dem Kapitel Gemüse, Tofu & Eier habe ich drei Rezepte nachgekocht. Den Kürbis-Taro- Schmortopf, der sich als sehr sättigend herausstellte. Wer die Tarowurzel nicht bekommt, könnte auf Süßkartoffeln ausweichen. Interessant ist hier, dass es zum Kürbis keine genaue Sortenangabe gibt. Jedenfalls hat der mit einem Butternut-Kürbis und Kokosmilch zubereitete sämige Schmortopf allen Testessern ausgezeichnet geschmeckt. Etwas aufwändiger war die Zubereitung der sautierten Shiitake. Ein buddhistisch-vegetarisches Essen, das vor allem wegen der Aromenvielfalt beeindruckte. Ausprobiert hätte ich liebend gerne auch die geschmorte Sojahaut. Eine Delikatesse, nur konnte ich die Sojahaut nirgends auftreiben. Wie überhaupt Sojahaut selbst in China nur mehr wenige Betriebe herstellen. Dort bekäme man sie für wenige Yüan.
Auch dem geschmorten Tofu, einem Gericht aus Shandong, konnte ich nicht widerstehen. Er ist rasch zubereitet und das Endergebnis wieder eine kleine Gaumenfreude.
Wer sich auf China einlassen will, wer keine Angst vor fremden, exotischen Gerichten hat, ist mit CHINA – DAS KOCHBUCH von Kei Lum Chan und Diora Fong Chan mehr als gut beraten. Äußerlich einem überdimensionalem Jadeschmuckkästchen ähnelnd, der Buchschnitt gold verziert, hält man dieses Kochbuch anfangs sehr vorsichtig in den Händen. Kaum beginnt man darin zu blättern, wird man hineingezogen in die kulinarische Welt des fernen Ostens. Staunend vertieft man sich in die Rezepte, schreibt Listen von Zutaten und jenen Gerichten, die unbedingt ausprobiert werden müssen – so ist es jedenfalls mir ergangen. Und Sie? Wagen Sie es! Erkochen Sie sich China mit diesem Kochbuch – Sie werden überrascht sein und ihr Aromenhorizont um einiges erweitert.
Nachsatz: CHINA – DAS KOCHBUCH aus dem Verlag Phaidon by Edel ist zur Zeit wohl das Beste auf dem deutschsprachigen Buchmarkt.