Heute ziehen wir um die WELT.
Zusammen mit Lani Kingston, einer australischen Ernährungswissenschaftlerin, die eine etwas andere Route wählte als der berühmte Phileas Fogg und sein Diener Passepartout. Der exzentrische Engländer umrundete 1872, frei nach den Vorstellungen Jules Vernes’, die Welt in 80 Tagen. Berührungspunkte zwischen Lani und Phileas gibt es wohl nicht sehr viele. Am ehesten im Jemen und in Indien. Als die Engländer mit dem Paketboot auf die jemenitische Stadt Mokka zufuhren, in der Ferne auf den Gebirgshängen die ausgedehnten Kaffeepflanzungen erblickend, war ihnen die Bedeutung, die Kaffee als Getränk weltweit erlangen wird, nicht bewusst. Auch nicht, als sie Indien im Caféwagen, die Region Khandesh querend, an großen Kaffeeplantagen vorbeifuhren. Indes ist sich Lani Kingston über die Wichtigkeit des Kaffees als Genussmittel und Wirtschaftsfaktor im Jemen, in Indien und anderen Ländern sehr wohl im Klaren. Deshalb hat sie nun dieses Reise-Kochbuch über die Kultur und Zubereitung von Kaffee samt Geschichten geschrieben: In 80 Kaffees um die Welt ist im Die Gestalten Verlag erschienen. Der englische Originaltitel Spill the beans ist raffiniert und zweideutig. Plaudert die Autorin hier also aus dem Nähkästchen? Der Kaffee ist nicht nur der Deutschen und Österreicher liebstes Heißgetränk. Täglich werden weltweit 2,25 Milliarden Tassen Kaffee gebrüht und getrunken. Lani Kingston geht es um die Rolle der einzelnen Länder als Kaffeeverbraucher und nicht nur als Kaffeeproduzenten. Darin unterscheidet sich dieses Buch gravierend von anderen Kaffeebüchern. Aber lässt sich das so eindeutig trennen?
In der Einleitung erfährt man viel Wissenswertes über den Kaffee. Der Bogen spannt sich von der Pflanze bis zur gerösteten Bohne und weiter, vom Kaffeemahlen bis zum betörenden Duft, der aus der Kaffeetasse aufsteigt, vor der man sitzt, ob in Äthiopien, in Japan oder Spanien. Die Vielzahl an Zubereitungsformen ist umwerfend. Dass in den USA vorwiegend medium geröstet wird, bekannt als ‚American Roast‘, wusste ich nicht. Aber an den schokoladig süßen Geschmack des Getränks in den Coffeeshops erinnere ich mich gern zurück. Es ist erstaunlich, in wie vielen Sprachen es Varianten zu dem arabischen Grundwort qahwa gibt. Die Isländer sagen Kava, die Zulu Ikhofi, die Hawaianer nennen ihn Koppe, die Türken Kavhe – und alle meinen dasselbe. Ein Gebräu von der Bohne der Kaffeekirsche, dessen Ursprung in Ostafrika liegt. Auf einer großen Weltkarte zeigt Lani die Verbreitung des Kaffeeanbaus auf und damit auch die der Kaffeehauskultur, die sich über die arabische Halbinsel hinaus dann in Europa, Amerika und Asien etablierte. In Frankreich geschah das wohl 100 Jahre früher als von Lani angegeben. Die Venezianer brachten als Erste den Kaffee nach Europa und über Marseille kam er 1657 nach Frankreich. Es werden fünf große Kaffeesorten angeboten, schreibt Alexander Dumas im Wörterbuch der Kochkunst. Biologisch sind es aber zwei Sorten, die den Weltmarkt bestimmen, Coffea Arabica und Coffea Robusta.
Die Reise zu den Ländern, in welchen es eine ausgeprägte Kaffeehauskultur gibt, beginnt in Italien. Das Mittelmeerland nimmt praktisch eine Sonderstellung ein. Wurde dort doch der Espresso perfektioniert, was die Welt veränderte. Bei Sonnenaufgang bevölkert ein besonderer Menschenschlag die italienischen Städte, schwärmt die Food-Journalistin Eleanora Galasso. Müllsammler, Straßenkünstler, Nachtschwärmer auf dem Weg nach Hause, aber nicht ohne einen Zwischenstopp al bar. Auf dem Weg zur Arbeit trinken sie ihre Cafés im Stehen al bar. Un caffé, un caffé macchiato, un caffé marocchino oder un cappuccino, wer mehr Milch und Schaum möchte. Kennen Sie caffé sospeso? Das ist ein Espresso, wörtlich ein zeitlich versetzter Kaffee und eine karitative Tradition, die sich in Neapel entwickelt hat. Der Kunde zahlt zwei Tassen Kaffee, trinkt aber nur eine. Bei meinem nächsten Neapelbesuch werde ich es ausprobieren und einen caffé sospeso bestellen, oder zwei zahlen. Italien präsentiert sich mit drei Rezepten. Caffé Espresso, Caffé con la moka und Bicerin, das ist ein Espresso mit heißer Schokolade und Sahne in einem kleinen Glas. Ein wunderbares Getränk, das Sie kennenlernen sollten. Im Piemont werden manchmal zur Schokolade auch Haselnüsse mit ins Glas gegeben.
Das zweite Kaffeekulturkapitel ist Äthiopien gewidmet, der Heimat des Kaffees. In diesem ostafrikanischen Land ist Kaffee identitätsstiftend und vor allem Frauensache. So schimpfen die Frauen des Hamar-Volksstammes auf ihre faulen Männer, die nur Pfeife rauchen und von ihnen bedient werden wollen, mit Kaffee natürlich. Ganz anders ist es bei den Harare, einem muslimischen Stamm im Hochland Äthiopiens. Viele sind Kaffeebauern und -händler. Wenn Gäste kommen, gibt es eine große Empfangs- und Kaffeezeremonie mit frisch gerösteten Bohnen. Überhaupt wird mit Kaffee das Zusammensein gefeiert. Die Frauen sitzen im Kreis, kauen Khat, trinken Buna und diskutieren. Buna ist ein Kaffee von gerösteten grünen Bohnen, der mit Kardamom, Nelken, Safran und Ingwer verfeinert wird. Harar-Kaffee hat einen ganz eigenen weinartigen Geschmack und dazu einen Mokka-Unterton – können Sie sich das vorstellen? Dieser Kaffee ist einer der besten der Welt, frei von störenden Geschmäckern und hohem Säuregehalt.
Eine besondere äthiopische Kaffeezubereitung ist Buna Qalaa, das aber kein Getränk ist sondern ein kleines Häppchen. Dabei werden die zerstoßenen grünen Kaffeebohnen mit gewürzter Butter gekocht und als Snack gereicht. Das sollte man vor Ort oder in einem äthiopischen Restaurant probieren, ist weniger aufwändig.
Insgesamt stellt Lani Kingston 17 Länder und zwei geografische Großräume mit ihren Kaffeekulturen vor. Unter Letzterem fallen die Schweiz, Deutschland und Österreich sowie der Norden. Die Autorin beschreibt, wie der Kaffee in diese Länder kam. Im Kontext dazu folgen Rezepte regionaler Kaffeespezialitäten.
Der Ingwerkaffee aus dem indischen Bundesstaat Kerala ist ein würziger Trank, der in der ayurvedischen Medizin oft als Heilmittel gegen Husten und Erkältungen eingesetzt wird.
In Indonesien mutiert der geeiste Avocado-Kaffee zu einem erfrischenden Smoothie.
In Katalonien scheint Cremat sehr beliebt zu sein. Der gewürzte Kaffee mit Rum ist wohl mit den Seeleuten aus Kuba nach Spanien gelangt. Ein hochprozentiges Getränk, das angezündet, ein imposantes Farbenspiel entfacht.
Ganz nebenbei, rund um die und in den Länderbeschreibungen erfährt man, wie Kaffeekultur zelebriert wird. So kocht ein Karibe seinen Kaffee mit einem Siphon-Vakuum-Kaffeebereiter der Marke Kono. In Japan passen sich die Kaffeebuden mit ihrem strengen geometrischen Design der Umgebung an, werden fast unsichtbar. Zum Wiener Melange gibt es meist eine Sachertorte. Und bei den Sami im Norden Finnlands, Schwedens und Norwegens ist der Pohccovuosta, ein Rentiermilchkäse, eine beliebte Zutat im Vuostagáffe. In Grönland glaubt man mit dem Kalaallit Kaffiat, dem grönländischen Kaffee, das perfekte Gegenmittel zum eiskalten arktischen Winter gefunden zu haben. Das mit Whisky, Kaffee- und Orangenlikör angereicherte Getränk lässt dem Kaffee wenig Spielraum. Ein hochprozentiger Drink, zu dem gerne grönländischer Teekuchen serviert wird.
Hervorragende Fotografien lassen die unterschiedlichen Kaffeekulturen plastisch in Erscheinung treten, beflügeln die Fantasie beim Durchblättern. Dort wo die Sprache an die Grenzen kommt, erschließt ein Foto das schwer Beschreibbare. Manche Bilder sind so eindringlich, dass man fast den Kaffeeduft wahrnehmen kann. In der Mehrzahl sind es soziale Momentaufnahmen, mit dem Fokus auf Kaffee.
Ausgeklammert ist die Kaffeekultur der Zukunft. Kaffeebohnen könnten Mangelware werden, allein wenn man bedenkt, dass in den südostasiatischen Teeländern jährlich über 2.000 Kaffeehäuser aufsperren. Aber mitten in Stuttgart gedeiht eine Kaffeeplantage mit hunderten sattgrünen Sträuchern, die unter Glasdächern wachsen. Es ist ein Projekt zur Erhaltung von Kaffee-Varietäten. Sollte ein Erreger die häufigsten Kaffeevarietäten befallen, könnten schlagartig 80 % der Weltproduktion ausfallen. Dann kann man auf diese Genbank zurückgreifen.
An der ETH Zürich in der Schweiz, geht man einen anderen Weg. Aus gerösteten Wassermelonenkernen und Dattelkernen, Sesam und Sonnenblumenkernpellets wird eine Kaffeebasis hergestellt. Mit Guaraná und Mate kommt Koffein hinzu, fertig ist der Kaffeeersatz. Ob das eine nachhaltige Alternative zum Kaffee ist, wird die Zukunft weisen.
Aber das ist auch nicht die Intention dieses Kaffeebuches. Vielmehr geht es darum zu zeigen, wie eine Pflanze aus Afrika sich in den Gemeinschaften unterschiedlichster Länder und Kulturen etablieren und integrieren konnte. In 80 Kaffees um die Welt von Lina Kingston ist eine spannende Fahrt quer durch alle Kontinente. Viel Lesestoff, darauf muss man sich einstellen; allerdings höchstvergüglich und man muss ja nicht alles lesen. Unzählige fotografische Haltestellen, Bars und Restaurants mit vielen Kaffee-Rezepten verführen zum Innehalten und Ausprobieren; Kaffeegetränke, die wir so noch nicht kennen. Caffé shakerato ist ein Espresso mit Eiswürfel, der in einem Cocktailshaker mit einfachem Sirup vermischt, in einem Martiniglas serviert wird. Gerührt und nicht geschüttelt. Die Rezepte nachzubauen ist eine Einladung und manchmal auch eine Herausforderung. Etwa der Cá Phe Trúng, ein Eierkaffee aus Indonesien. Dann mit seiner halbsteif geschlagenen Haube aus Eigelb, Kondensmilch und Zucker einen anziehenden Duft ausströmt, was man als Süße wahrnimmt. Wow!
Mit diesem Kaffee-Reise-Kochbuch holt man sich den Duft der Kaffeekirsche und die Welt der Kaffeehäuser ins Wohnzimmer.