Okka Rohd, Herdwärme

Eine kleine Kochschule für das große Glück zu Hause
Mit 40 Lieblingsrezepten
Fotografiert von Simone Hawlisch
Kailash Verlag, München, 2017, 288 Seiten, 20.60 Euro
ISBN 978-3-424-63094-7
Vorgekostet

Heute reisen wir nach BERLIN.

Diese Stadt ist ein Magnet, der Menschen anzieht von überall. Auch Okka Rohd ist dorthin gezogen, der Liebe wegen. Ihr Mann ein Österreicher, auch ihn hat sie eingefangen, die prunkvollste Stadt der Welt, wie sie im um 1900 erschienenen Reiseführer ‚Berlin für Kenner‘ beschrieben ist. Zugleich war und ist Berlin eine sich taumelnd durch die Zeit bewegende Stadt, wie ein führerlos dahinrasender Zug der Ringbahn. Vielleicht hat Okka deshalb Slomo gegründet, einen Blog, der alles wie in Zeitlupe betrachtet, eben Slow Motion. Es geht ihr darum die wichtigen Dinge des Lebens beobachtend und beschreibend aufzuzeigen, interessante Persönlichkeiten im Kontext von Kultur und Essen zu interviewen. Und schreiben kann Okka! Sie ist beliebt, ihre digitale Enklave wird oft aufgerufen. Auch, weil sie die Besucher ihres Blogs miteinbezieht, in Dialog geht, viel von sich erzählt, ohne egomanisch zu werden. Das liest sich beispielsweise so: ‚Das Kribbeln ist noch immer da, auch nach acht Jahren. Dieses kurze Zögern und einmal Durchatmen, bevor ich auf „Veröffentlichen” drücke. Und das Gefühl, dass diese kleine Ecke im Internet ein ganz besonderer Ort für mich ist. Mein Notizbuch, mein Spielplatz, mein Wohnzimmer. Und ein Ort des Austausches. Unglaublich, was für Menschen ich über dieses Weblog kennengelernt habe (ich kann mir überhaupt nicht mehr vorstellen, sie nicht in meinem Leben zu wissen). Und unglaublich, was ihr hier kommentiert und mir schreibt. Wie oft ich hier sitze und staune, gerührt bin, ferngewärmt …‘

Wärme ist ein Schlüsselwort für Okka Rohd. Ihr ganzes Leben, so mein Eindruck, spielt sich ab in einem Rahmen, überspitzt formuliert zwischen dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik und Empathie. Gemeint also Wärme im Sinne von physikalischer Wärme als auch emotionaler Hitze, ergo brennen für eine Sache, was gleichzeitig auch Güte, Anteilnahme und Gefühlswärme sein kann. Darin bezieht sie ihre Liebsten wie auch ihre Umgebung mit ein, und fokussiert sich dabei auf ihre ureigensten Interessen. Ihr Generalthema – Essen.

Konkreter: Nach fünf Bloggerjahren begibt sich Okka auf eine zweijährige Kochreise. Eine Vermutung wäre, weil sie von ihrem Kochtalent nicht restlos überzeugt war. Aber es könnte auch sein, dass sie sich einfach bestimmte Kochtechniken aneignen wollte. So interessiert sie sich für die Zubereitung von echten Wiener Schnitzeln oder wie der Wind in die Beuteln kommt oder wann der Spargelrisotto fertig ist. Sie geht auch Fragen nach, wie: Was macht einen Käsekuchen zu einem königlichen Käsekuchen? Wie macht man einen tollen Salat? Wie traue ich mich an Innereien? Wie kann man Kinder und ihre Eltern glücklich kochen? Nein, nein, hier geht es nicht um kannibalistische Kochanleitungen! Sondern um so einfallsreich und gut zu kochen, dass es allen schmeckt, vom Baby bis zu den Großeltern. Zum Beispiel Hasen-Pancakes. Eine lustige Idee, den Pfannkuchen Ohren und ein Gesicht zu verleihen, was Kinder und Erwachsene erfreut.

Die Reise von Okka Rohd in fremde Küchen wurde dokumentiert, die Gespräche protokolliert, ihre Gedanken aufgezeichnet, die wichtigsten Koch-Momente fotografisch festgehalten. Der Succus dieser Expedition quasi zwischen zwei Buchdeckel gepresst. Herdwärme, lautet der Titel dieser ungewöhnlichen Reisebeschreibung mit Anleitungen zum Kochen, ist im Kailash Verlag erschienen.

In der Einleitung verrät uns die Autorin, dass Schuld daran, dass sie kochen lernen wollte, ein Mann war. Ein Österreicher, wie wir bereits wissen. Sie verliebte sich in sein Essen, „in die Aromen, von denen ich nicht wusste, wie sie entstanden waren, bloß dass sie tanzten“.  Frisch verliebt genoss sie sein Thai-Curry, das auch auf der Titelseite zu bewundern ist. Später kam dann das weltberühmte Wiener Kalbsschnitzerl dazu, aber der inzwischen Angetraute gab sein Wissen der Zubereitung nicht weiter. „Geh, bitte!“ sagte er, „warum solltest du Wiener Schnitzel machen, wenn du mich hast, außerdem wirst du eh nie verstehen, was ein Wiener Schnitzel zu einem Wiener Schnitzel macht.“ Das war ein Irrtum des Herrn Österreicher. Am Ende wird sie das beste Wiener Schnitzel machen, das ihr Mann je gegessen hat. Sie lernte es von einem anderen Österreicher: Ernst Schleich, der bei der österreichischen Botschaft in Berlin beschäftigt ist. Er erklärt, dass es als Erstes die richtigen Semmelbrösel braucht, dann Kalbfleisch, das dünn geschnitten auf sieben Millimeter Stärke geklopft werden muss, das paniert schwimmend in Öl herausgebacken wird. „Und dass es auch wichtig sei, immer ein paar Reserveschnitzel zu machen, für die sich beim Schnitzelessen unweigerlich einstellende Schnitzelgier.“ Das ist eine sportliche Herausforderung und ein Vergleichstest am besten in Wien zu machen. Aber wehe, Sie verlangen in einem richtigen Wiener Beissl Wiener Schnitzel mit Pommes frites. Da werden Sie hochkantig hinausgeworfen. Zum Wiener Schnitzel gehört nämlich der Erdäpfelsalat, dessen Rezeptur auch Herr Schleich verrät. Erdäpfel heißen auf gut österreichisch die Kartoffeln. Zu den Rezepten erfährt man noch 15 Profitipps rund ums Wiener Schnitzel aus erster Hand vom österreichischen Botschaftsangestellten. Etwa, dass die Eier für die Panier sanft mit einer Gabel aufgeschlagen werden und dann gesalzen. Oder, dass das Wiener Schnitzel ohne Sauce gegessen wird, sieht man von Preiselbeeren einmal ab.

Anhand dieses ersten Schnitzel-Beispiels wird auch ersichtlich, wie Herdwärme konzipiert ist. Zuerst werden die besuchten Köchinnen und Köche vorgestellt, die sogleich in Form von Fragen und Erklärungen die Geheimnisse rund um ihre Spezialitäten beantworten, dem folgen Rezepte. Florian Schramm klärt auf, was es mit der neapolitanischen Pizza auf sich hat. Florian Mickan, ein Kartoffelspezialist, gibt einen kleinen Einblick, was die Knolle, der Deutschen liebstes Gemüse, alles drauf hat. Für ihn sind Back-Kartoffel, auf neudeutsch Ofenkartoffel mit Pesto-Quark, ein guter Einstieg. Ein Gericht, das idealerweise auch einer größeren Runde als Abendessen serviert werden kann. Etwas aufwändiger ist dann die Kartoffelsuppe. Einmal wegen der vielen Zutaten, aber auch, weil Mickan sie mit Sahne verfeinert. Für meinen Geschmack zu viel Sahne. Aber sein Hinweis, die Kartoffelsuppen niemals mit Stabmixer oder ähnlichem Gerät pürieren, ist Goldes Wert. Denn die Suppe bekäme wegen der vielen Kartoffelstärke eventuell eine schleimige Konsistenz. Wer es richtig machen will, nehme einen Schneebesen. Das kostet Kraft, aber die Suppe ist ein Wonnebad. Der Reigen der Besuche setzt sich nun munter fort. 14 Profis kontaktierte die Autorin, die meisten in Berlin lebend. In Wien war das Ziel der Begierde nicht der Tafelspitz, und nicht das Beuschel und auch nicht der Kaiserschmarren oder andere Schmankerln. Sondern Eschi Flieges Mittagstisch, der „leidenschaftlich vegetarisch“ damals – 2014 – wohl einen Nerv der Zeit traf. Auch wegen Flieges comming out, denn sie gesteht, dass sie endlich da gelandet sei, „wo ich schon immer glücklicher war als irgendwo anders: nämlich in meiner Küche, meinem Herd, beim Kochen“. Das konnten wohl viele nachfühlen. Ihre Gurke mit kühler Ingwersoße ist ein herrlicher Genuss an heißen Sommertagen. Vom Spargelrisotto, den ich nachgekocht habe, erzählen noch heute meine Gäste. Nachvollziehbar, hatte ich doch Flieges Tipp eingehalten und zum Risotto einen Salat gereicht. Sie begründet das so: Risotto ist sehr buttrig und gehaltvoll, in Österreich würde man ‚feist‘ sagen, deswegen tut ihm die Säure des Salates gut.

Mit Okka Rohd lernen wir Menschen kennen, die drei fundamentale Bedürfnisse miteinander verbinden: Essen, Sicherheit und Liebe. Schon wieder dieser kitschige Ansatz, bin ich versucht einzuwerfen. Aber, und das ist auch so ein stereotypischer Beginn von Einwänden – aber, Rohd hat sich Jahre damit auseinandergesetzt, also ernsthaft und vermutlich tendenziell auch mit dem Hang zum pädagogischen Diskurs. Will Herdwärme doch eine kleine Kochschule für das große Glück zuhause sein. Und es geht der Autorin darum, in uns, den Rezipienten, Geschichten, Fantasien und Sehnsüchte auszulösen. Das Kochbuch ein Roman, der Hunger macht im Kopf und im Magen. Deshalb wird eingangs auch die amerikanische Journalistin MFK Fischer zitiert, die, wenn sie über Hunger, eigentlich über den Hunger nach Liebe, nach Wärme, nach Reichhaltigkeit … alles was eins ist, schreibt.

Vielleicht sind deshalb Conny Suhrs Kuchen die besten, weil sie es gar nicht erst versucht, gegen so viel Liebe anzubacken. Jedenfalls gibt es im Princess Cheescake in Berlin den allerbesten königlichen Käsekuchen der Welt, behauptet jedenfalls Okka. Der unterscheidet sich von dem klassischen deutschen Käsekuchen dadurch, dass er nicht nach dem Backen zusammenfällt, diese mittige Mulde bildet, er auch nicht zu süß und gatschig ist, jedoch cremig, wie man es vom New Yorker Cheesecake kennt und von einem intensiven Melassegeschmack. Wird beim amerikanischen Original viel Butter verwendet, so dröselt Joel Marchand den Geschmacksträger auf und gibt in die Kuchenmasse neben Quark nur Schmand und Sahne. Das macht diesen Kuchen auch so locker, vermute ich. Und das Geheimnis, warum der Käsekuchen nicht zusammenfällt, wird auch gelüftet. Zweimal wird der Backprozess kurzfristig unterbrochen, sodass sich die Masse setzen und stabilisieren kann. Unter anderem ist das auch in den Profitipps erläutert. Überhaupt sind diese Extra-Tipps, die, farbig hinterlegt, sich vom Rest des Buches abheben, eine Bereicherung, die manchen gelingsicheren Trick und Hintergründiges selbst für Kocherfahrene bereithält. Einiges erschließt sich auch aus den Interviews. Und wenn der Steak-Experte Sascha Ludwig meint, dass gutes Fleisch eigentlich gar keine Beilage braucht, so sollte man das ernst nehmen. Die Steaks, mit Café-de-Paris-Butter serviert, sind eine Gaumenfreude. Diese Kräuterbutter schmeckt übrigens vorzüglich auch zu Bratkartoffeln, gebratenem Reis oder gebratenem Gemüse.

Noch zwei Gerichte möchte ich hervorheben. Der Reispudding mit Karamellsoße ist eigentlich ein Milchreis und für meine milchreisverwöhnten Fans in der Familie eine köstliche Neuinterpretation. Diese von Pierre-Olivier Lenormand, dem Chefkoch des Parier Restaurants Casse Noix, kreierte Nachspeise verzauberte alle, die davon kosteten. Verführung pur, bestens geeignet für einen Abend zu zweit, vorausgesetzt, beide mögen Süßes. Ich wurde schwach beim Rote-Bete-Haselnuss-Burrata-Salat. Der, um die interviewte Food-Konzepterin Telse Bus zu zitieren, wie ein Song, aus verschiedenen Tönen besteht. Eigentlich dreht sich alles um die Rote-Bete, aber gleichzeitig werden verschiedene Gefühle im Mund hergestellt, was erstaunlich ist.

Herdwärme ist ein sehr textlastiges und gefühlbetontes Lese-Kochbuch. Auch eine Kochschule, wie im Untertitel angemerkt. Dazu geben renommierte MeisterInnen des Koch-Handwerks ihre spezifischen Küchengeheimnisse preis. Kapitelweise und dazwischen werden noch Nebenschauplätze bedient, die die Vielfältigkeit des Kochalltags ausmachen. Es geht ums Kochen für sich alleine, um Schokolade, Schnack und Alltagskultur, um Kochbücher und anderes mehr. Der Schreibstil ist herausragend, manche Geschichte etwas langatmig. Es ist faszinierend, mit welcher kompromisslosen Konsequenz sich die Autorin an ihren Fragestellungen abarbeitet. Man muss nicht alles lesen, kann sich vorrangig in die eigenen Themen und Interessen vertiefen, um sich bspw. bestätigt zu finden, wenn etwa für den Erdäpfelsalat Kipfler verwendet werden. Die Rezeptauswahl ist überschaubar, vom Klassiker bis zur findigen Neukreation. Hingebungsvoll zelebriert Okka Rohd das Kochen. Genuss, Gefühl und Leidenschaft sind hier Programm und erreichen Qualitäten vor allem dort, wo man es nicht unbedingt erwartet hat. So sind für mich die Rote Bete Rezepte erfüllte Genussträume. Herdwärme ist ein leidenschaftlicher Appell für die gute Küche.