Liv Fleischhacker, Lukas Grossmann, MASEL TOV!

Die moderne jüdische Küche in aller Welt. Rezepte. Porträts. Geschichten.

Fotos von Maria Grossmann, Monika Schuerle und andere
Christian Verlag, München, 2018, 224 Seiten, 30.90 Euro
ISBN 978-3-95961-184-8
Vorgekostet

Heute reisen wir um die WELT.

Wir besuchen Menschen, deren Familien wegen ihres jüdischen Glaubens in die Diaspora gingen. Menschen, deren Großeltern oder Eltern den Holocaust überlebten. Unsere Reiseführerin ist selbst bekennende Jüdin und Journalistin. Die deutsch-amerikanische Life-Style-Expertin Liv Fleischhacker beschäftigt sich in ihren Artikeln mit feministischen Fragen, vor allem aber mit kulinarischen Themen und im Speziellen mit der jüdischen Esskultur. Nomen est omen, bin ich versucht einzuwerfen, denn ihre Familiengeschichte hängt auch eng mit dem kulinarischen Vermächtnis ihrer Heimatstadt Berlin zusammen. Auf alle Fälle ist die deutsche Bundeshauptstadt Ausgangspunkt zweier Ereignisse, die uns Livs jüdische Esstradition näher bringen: Zum einen beginnt hier die Weltreise zu ausgewählten Orten und Protagonisten der jüdischen Küche, zum anderen wurde hier das Food-Festival Nosh Berlin gegründet. Nosh ist jiddisch und meint Snack, aber die Idee des Festivals ist weiter gefasst und hat sich der ganzen Bandbreite jüdischer Kulinarik verschrieben, einschließlich Kochbuchpräsentationen. Und so hat auch die Idee des Kochbuchs im weitesten Sinne mit Nosh zu

tun. Und weil die jüdische Küche so unglaublich facettenreich ist, ist Liv aufgebrochen, dieser kulturellen Bewegung, die jüdisches Essen nun auch mal ist, nachzuspüren. Es ist eine Reise über drei Kontinente. Sie beginnt im Nahen Osten, führt in weiterer Folge durch mehrere Länder der Alten Welt, um schließlich in der Neuen Welt anzukommen. Nicht wie man vermuten könnte New York, das für viele Juden auf der Flucht das erste Ziel war, nein, Dallas ist die letzte Station von Livs Weltreise. In Dallas besucht sie Patricia Jinich, eine mexikanische Jüdin, deren Goßeltern aus Polen, Österreich und der Tschechoslowakei stammen.

Die Reise in die moderne jüdische Küche in aller Welt traten die Journalistin Liv Fleischhacker und der Koch Lukas Grossmann an, weil sie überzeugt sind, dass die jüdischen Küche per se noch zu wenig Aufmerksamkeit im deutschsprachigen Raum erhält. Zudem wollen sie die Vielfalt dieser globalen Esskultur vorstellen. Ein hoher Anspruch, vor allem wenn man bedenkt, dass es mittlerweile einige gute Kochbücher zu diesem Thema gibt. Masel Tov!, das im Christian Verlag erschienen ist, will laut Fleischhacker so viele Kulturen wie möglich repräsentieren. Dementsprechend ist die Auswahl ein buntes Kaleidoskop moderner Kochkultur, das traditionelle als auch moderne, aschkenasische wie auch sephardische Rezepte enthält. Von koscher keine Spur, das war nie der Anspruch. Denn was sollen koschere Rezepte in nicht koscheren Küchen? Das ist geklärt. Die Autoren versammeln in ihrem Buch bekannte und auch weniger bekannte Gerichte, die allerdings, wegen der Diaspora in verschiedenen Kulturen unterschiedlich, aber ähnlich umgesetzt werden. So serviert uns bspw. Pati Jilnich den gefilten Fisch mexikanisch, oder Gil Hovav kredenzt uns das Jemenitische Sabbat-Brot Kubaneh mit einer 50/50 Weizen/Roggen-Mischung und somit gesünder, wie er meint. Der in Tel Aviv lebende Gil moderiert eine beliebte Fernsehshow in Israel, hat mittlerweile 15 Kochbücher geschrieben und liebt einfaches Essen, das ihn an seine Familie und seine Heimat erinnert. Simpel aber recht scharf ist sein israelischer Karottensalat, der wunderbar zu Lamm und Rind passt. Matan Choufan, ein tunisstämmiger Jude, der auch in Tel Aviv wohnt, kam über einen Blog zum Kochen. Anspruchsvoll und zeitaufwändig ist sein Rezeptvorschlag. Denn für den italienischen Kreplach mit Bohnen und Bottarga muss man 24 Stunden Einweich-, Ruhe- und Garzeit einkalkulieren. Aber wenn man dann vor dem Gericht sitzt, stolz ist auf seine selbst gemachten Nudeln, dann ist alles vergessen und man gibt sich nur mehr dem Genuss hin.

Insgesamt werden 19 Menschen vorgestellt, deren Familien-Schicksale eng mit der jüngeren Geschichte zusammenhängen, ihre Vorlieben aus der jüdischen Küche und von wem sie ihre Talent geerbt haben. Meist ist eine Oma oder sind es beide Omas, die immer für die Familie kochten. Avi Avital ist eigentlich Musiker mit marokkanischen Wurzeln. An seine Großmutter mütterlicherseits kann er sich deshalb so gut erinnern, weil sie verantwortlich war für das große Sabbatessen, zu dem alle Tanten, Onkeln und Enkelkinder kamen. Freitags nach der Schule, die Hektik in Omas Küche war unübersehbar, alle Ofenplatten waren besetzt mit rauchenden Töpfen und ein unbeschreiblicher Duft strömte durchs Haus. Als Küchensnack wurde vor dem Abendessen immer frischgebackenes Brot mit Fleischklößen serviert. Omas Hackbällchen mit frischem Koriander und Kreuzkümmel gewürzt, sind atemberaubend. Die kalkulierte Menge, 3 Bällchen pro Person, ist eindeutig zu wenig – denn sie schmecken einfach zu gut. Ein Essen, das man zu kennen glaubt, aber doch ein wenig anders schmeckt, als es bspw. meine Mutter zubereitete. Die Kreplach mit Hühnchenleber-Füllung von Itay Novik aus Berlin waren für mich eine Entdeckung aus der unendlichen Fülle der Teigtaschenrezepte. Auch der Vorschlag, wie sie anzurichten seien. Natürlich kommt man um Bagels nicht herum, die in diesem Fall von einer versierten Kennerin serviert werden. Laurel Kratochvila kam von Boston nach Berlin und suchte verzweifelt nach richtigen Bagels. Da sie sie nicht fand, entschied sie sich, sie selber zu backen. Ihre Bagels mit einer wunderschönen Kruste und dem richtigem Kaugenuss wurden zum Geheimtipp der Stadt. Heute betreibt sie einen gut gehenden Bagelladen in der Warschauerstraße. Die genaue Adresse findet man am Ende des Buches, auch von den anderen Köchinnen und Köchen. Laurel präsentiert im Buch das Grundrezept inklusive Dreierlei Bagels. Aber auch ihre gefüllten Kohlrouladen-Holishkes haben ihren Reiz, ebenso auch das Mandelbrot, sodass man sich wirklich schwer tut, aus der Fülle angebotener jüdischer Rezepte eins auszuwählen. Um diese Schwierigkeit zu umgehen, habe ich mir vorgenommen, mich nach Gusto von vorne bis hinten durchzukochen. Freunde und Familienmitglieder, die von diesem Unterfangen hörten, haben sich bereits angemeldet. Die ersten Termine sind schon voll. Zu den Latkes– Kartoffelpuffer mit Apfel-Dattel-Chutney haben sich neun Gäste angemeldet und auch der gefilte Fisch mexikanisch ist bereits ausgebucht. Ob das eine gute Idee war?

Jedenfalls ist dieses Kochbuch für mich und meine Freunde ein Masel. Aus Masel tov! wird noch manches Gericht Kochgeschichte schreiben. Ich schreibe nun nichts mehr. Herauszulesen und hören war doch eindeutig, Masel tov! bedeutet nicht nur Viel Glück, es bringt es auch auf den Küchentisch.