Lojze Wieser, Der Geschmack Europas

Ein Journal mit Rezepten. Weitere Stationen

Wieser Verlag, Klagenfurt, 2018, 384 Seiten, Lesebändchen, 30.-- Euro
ISBN 978-3-99029-250-1
Vorgekostet

Heute reisen wir durch EUROPA.

Es ist eine Reise, die wir ziemlich genau vor einem Jahr begonnen haben. Zusammen mit Lojze Wieser und seiner Dokumentarfilmcrew, die ausgewählte Regionen Europas besuchten und deren kulinarischen Geschmack nachspürten. Dokumentiert in Filmen, die im österreichischen Fernsehen und auf 3sat ausgestrahlt wurden. Wie bereits 2017 ist nun ein zweiter Band zu Der Geschmack Europas, wie auch die filmdokumentarische Serie und der Begleitband dazu heißen, erschienen. Sieben Regionen wurden besucht: Istrien, Epirus – der griechische Norden, Flandern, Böhmen, Der dänische Süden und Fünen, Sizilien und Südoststeiermark. Diese Regionen sind gleichzeitig die Hauptkapitel, die noch in einen beschreibenden Teil und Rezepte untergliedert sind. Vorangestellt sind Gedanken des Regisseurs, des Tonmeisters und des Herausgebers und quasi Moderators dieses an und für sich lobenswerten Unterfangens. Angelegt als Journal, so der Untertitel, erleben wir weitere Stationen einer Geschmacksreise. In seiner Einbegleitung, ich bin mir nicht sicher, ob dies eine Wieser’sche Wortschöpfung ist, also, in seiner Einbegleitung stellt Wieser klar: „… Text und genaue Recherche … [machen ihre Dokumentation von anderen unterscheidbar und] geben ihnen eine Besonderheit und Einzigartigkeit.“ Weiters gibt der Autor sprachliche Präzision vor, die zudem eine über den allgemein bekannten Wissensstand hinausgehende Vertiefung biete und die Zuseher, in diesem Fall Leser, zu neuen Details führe. Er verspricht den Blick hinter die allseits bekannten Wiederholungen in den Marketingprospekten, der die Gegenden und Menschen erst in ihrer Wirklichkeit lebendig werden lässt. Eine neue Sicht ist das übergeordnete Ziel.

Aber ehe wir uns das im Detail anschauen, sind noch ein paar Anmerkungen notwendig. Zum einen lässt Wieser anstelle eines Vorworts die Presse sprechen, konkret: Es werden ausgesuchte Rezensionen und Interviews zum ersten Band von Der Geschmack Europas abgedruckt. Zum anderen versucht der Autor wieder, die ihm geneigte Zuseherschaft ins Boot, in die Publikation, zu holen. Indem lose eingestreute Zitate von Zusehern, Freunden und Bekannten eine Flut des Lobes bekunden, ohne inhaltlichen Wert. Etwa: Selten, aber doch. Es gibt noch Sehenswertes im TV. Danke … oder, Sehr schön, deine Reportage gerade eben!!! ganz herzliche Gratulation … usw.. Was haben diese schmeichelnden Bekundungen im Buch verloren? Da hätte ich doch lieber aussagekräftige Bildunterschriften, die überwiegend fehlen, und wenn vorhanden, weitschweifig ausholend sind. Zudem wäre ein Rezeptverzeichnis für mich Rezipienten und alle LeserInnen dieses Buches weitaus nützlicher als all die Lobhudeleien. Völlig überflüssig finde ich auch die Liste hunderter aufgezählter Obstsorten nach Bülow, die fünf Seiten des Buches in Beschlag nehmen und nur ausgewiesene Botaniker interessieren dürften.

Schauen wir uns das 1. Kapitel an – Istrien. Die Bucht von Piran, im slowenischen Teil dieses Landstrichs liegend, als ganzseitiges Foto ist der Einstieg. Im gegenüberliegenden Text wird die Bucht angeführt, Mamma Branzin, Irene Fonda, einige Ortsnamen, das glagolitische Alphabet, Vladimir Nazor, Joseph Ressel, Trüffel, Muscheln und anderes, ein einstimmender Vorspann für das, was noch folgen sollte. Eine präzise Uhrzeit des Sonnenuntergangs, nämlich 18.41 Uhr mit absoluter Dunkelheit um 19.42 Uhr, aber kein Datum, sodass vermutet werden muss, wann das Team dort gedreht hat. Ich tippe auf beginnenden Herbst. Inhaltlich hat man das Gefühl, es mit Aufzählungen, Auflistungen zu tun zu haben, die von Klammersätzen, die einer gewissen Poesie nicht entbehren, zusammengehalten bzw. abgeschlossen werden. Da heißt es z. Bsp.: Es ist eine Verarbeitung historischer Tragödien, die, wie heuer (2018, obwohl der Film vor mehr als zwei Jahren gedreht wurde; man beachte die Präzision) 35 % weniger an Öl- und Weinertrag und fast einen hundertprozentigen Salzverlust mit sich bringen. Istrien lernt damit umzugehen … Ob im weißen, ob im grünen oder roten Teil von Istrien, jeder hat seinen, aus der Lage und der Erde geborenen, besten Wein. Was das konkret heißt, hundertprozentiger Salzverlust und weißer, grüner, roter Teil Istrien, das bleibt Wieser uns schuldig. Das passiert leider immer wieder, dass Andeutungen, wenn überhaupt, sich erst später auflösen. So dürfte der Salzverlust eine Anspielung auf den versiegenden Abbau des weißen Goldes sein, dessen Gewinnung über Jahrhunderte hinweg den Reichtum der Stadt Piran sicherte. Die Blütezeit war im 18. Jahrhundert unter österreichischer Herrschaft. Oder das Bild auf Seite 28 zeigt Wieser einem Schwarzen etwas erklärend, dazu ein post-it mit folgendem Text: Danke. Schon die Filmtitel machen Appetit! ich freu mich schon auf eine der Sendungen! P.W. Später erfährt man, dass Peter Brossman aus Ghana, der vermutlich auf diesem Bild zu sehen ist, der Bürgermeister von Piran ist, einer kleinen afrikanischen Minderheit, bestehend aus zwei Personen, angehört. Da wird Irene Fonda als Züchterin von Branzin (Mamma Branzin) vorgestellt, ohne sofort zu erklären, was Branzin ist, nämlich der europäische Wolfsbarsch. Fonda ist nicht nur leidenschaftliche Fischzüchterin, sondern auch Sammlerin wilder Kräuter, die bei den Salinen wachsen und schmackhafte Risotti und Omeletts garantieren. Interessant wird Wieser, wenn er die Menschen beim Wort nimmt, sie sprechen lässt. Wenn Irene Fonda erzählt, dass auch kleinste Fische und Meerestiere zu Brodet [ein t am Ende oder zwei ist hier die Frage], eine Fischsuppe, verarbeitet wurde. Dass Fischzuchtanlagen, richtig geführt, umweltfreundlich sind. Oder wenn Orjeta von der wöchentlichen Fuzi-Produktion erzählt. Fünfzehn Kilo Mehl und bis zu 100 Eier werden da Woche für Woche im Restaurant verarbeitet und zu den kleinen Teigröllchen geformt, die als Fuzi mit Kräutern serviert oder als Beilage zu Huhn Fuzi sa Zgvacctom oder Fuzo mit Trüffeln auf den Tisch kommen. Das Fuzi Rezept ist leider unvollständig und allein griffiges Mehl zu ungenau, denn hier wird Hartweizen verwendet. Gängig ist 400 g Mehl mit 2 Eiern, 2 EL Öl und 20 g Salz vermengen, dann zu einem dünnen Teig ausrollen, aus dem Quadrate von 4×4 cm geschnitten und übers Eck gerollt werden. Trocknen lassen und dann 10 Minuten in Salzwasser kochen. Fertig. Das passt zum Beispiel zu Boskarin in Zwiebelsauce, ein Rezept, das im Ordner eingestellt ist.

Für Istrien typisch und mittlerweile zu einem gastronomischen Erfolgsschlager gehören das Boskarin-Rind, die Trüffel und das Olivenöl. Über Letzteres berichtet der Autor ausführlicher, wenn auch wiederum in kryptischen Andeutungen. So heißt es, Cäsaren ließen sich das Olivenöl aus Istrien kommen, Generäle ölten ihre Befehle, Soldaten wurden damit geheilt oder salbungsvoll in Gräbern verscharrt, meist ohne letzte Ölung. Und davor: Herbe Frische gab das Öl den Speisen und ließ jene des Lebens vergessen. Ich kapituliere hier. Mein Eindruck ist, dass Wieser zeigen will, was er kann und weiß, und sich in der Sprache dabei verheddert. Das ist schade. Diese Selbstverliebtheit des Autors hindert ihn wahrscheinlich, einen Lektor beizuziehen, den er dringend jedoch brauchte. Dann könnte es ein schönes Buch werden, mit interessanten Inhalten. So bleibt es eine schöne Idee, den Geschmack Europas dem aufgeschlossenen Europäer näherzubringen. Der zweite Band von Der Geschmack Europas, ein Journal mit Rezepten, ist im Wieser Verlag erschienen.

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