Luca Dotti, Zuhause bei Audrey

Die Lieblingsgerichte meiner Mutter. Rezepte, Geschichten und Fotos aus dem Familienalbum

Aus dem Englischen übersetzt von Heinrich Degen
DuMont Buchverlag, Köln, 2016, 256 Seiten, 36.-- Euro
ISBN 978-3-8321-9906-7
Vorgekostet

Heute geht es um Kochen und Essen mit Audrey.

New York Ende der 50er Jahre. Ein einsames gelbes Taxi nähert sich und hält an der 57. Straße. Eine junge Frau steigt aus. Bei all ihrer schicken Magerkeit strahlt sie eine Haferflocken-Gesundheit aus, eine Seifen- und Zitronen-Reinlichkeit, und auf ihren Wangen liegt eine raue Röte. Sie hat einen großen Mund und eine Stupsnase. Eine Sonnenbrille verbirgt ihre Augen. Es ist ein Gesicht, das nicht mehr ganz in der Kindheit zuhause ist und schon einer Frau gehört. Es ist Holly Golightly. Dargestellt von Audrey Hepburn im Film „Frühstück bei Tiffany“. Sie spielte die Gestrandete im schmalen schwarzen Kleid, elegant, verletzlich, ein Sinnbild der jungen Großstädterin. Mit dieser Rolle wurde sie zu einer Ikone für Generationen von Männern und Frauen. Wer war diese Frau, die sich hinter einem breiten Lächeln und einer großen Sonnenbrille versteckte? Luca Dotti, ihr Sohn aus zweiter Ehe mit dem italienischen Psychiater Andrea Dotti, hat, auch um das Großmutterbild ihrer Enkelkinder zurechtzurücken, nun ein Buch über die andere Audrey Hepburn, die private Audrey, veröffentlicht. Zuhause bei Audrey, das bei DuMont erschienen ist, ist Biographie, Rezeptbuch und Bildband in einem. Dotti skizziert in sechs Kapiteln – Stationen eines erfüllten und nicht immer glücklichen Lebens – den Weg einer Frau die viel reiste, den Traum einer Filmkarriere verwirklichte, aber am glücklichsten jenseits der Leinwand war. Kochen, Freunde, Familie, das war ihr wichtig. Mit 40 zog sie sich für einige Jahre vom Filmset zurück. In einem Interview über ihr neues Leben als ‚Hausfrau‘ meinte sie damals: „Schade, dass die Menschen meinen, das wäre ein langweiliges Dasein, doch man kann nicht einfach eine Wohnung kaufen … ich möchte ein freundliches und fröhliches Zuhause haben, einen sicheren Hafen in dieser unruhigen Welt.“ Jahrzehnte später entdeckte Luca in der Küche seiner 1993 verstorbenen Mutter ein abgegriffenes Notizbuch mit vielen eng beschriebenen Seiten aufwändiger und komplizierter Gerichte, die bei ihnen „aber nie auf den Tisch kamen. In der Küche wie auch im Leben machte sich meine Mutter allmählich frei von allem Überflüssigen, um nur das zu behalten, was ihr wirklich wichtig war,“ schreibt Luca Dotti in der Einleitung. Das Notizbuch lieferte allerdings die Idee zu dieser „Küchentisch-Biographie“. Eine Sammlung von Rezepten, die Audrey gerne alleine und mit Freundinnen kochte oder von ihren zwei Köchinnen kochen ließ. Damit verknüpft sind Geschichten, die die andere Audrey Hepburn sichtbar werden lassen, eine Frau ohne Glamour und Glitzer.

Ihre Kindheit verbrachte Audrey in England und Holland. Während der deutschen Besatzung wäre sie fast verhungert. Das erste Gericht in diesem Buch, Hutspot, kochte sie sich an stillen Abenden zuhause. Das Gericht, 1574 in Leiden nach dem Sieg der Holländer über die spanischen Belagerer erfunden, stand für sie in engem Bezug zu ihrer eigenen Geschichte, quasi ein Widerstandsessen. Dieser deftige Eintopf besteht aus Rindsschulter, Kartoffeln, Karotten und Zwiebeln. Ein glatter Widerspruch zur zierlichen Audrey. Wie auch die Schokolade, die einen besonderen Platz in ihrer Küche einnahm. Schokoladenkuchen mit Schlagsahne und Currygerichte – fix verankert in ihrer Kindheit – kamen regelmässig auf den Tisch. Letztere sind ein Überbleibsel kolonialer Vergangenheit mütterlicherseits.

Audrey Hepburn war Frühaufsteherin und begann den Tag mit Toast, Butter und Marmelade. Frühstücken war für sie die Voraussetzung für einen guten Tag. An Wochenenden gab es dann auch Eier und Madeleines, die sie wie Muffins buk. Anders verhält es sich mit Penne alla Vodka. Dieses Gericht gab es immer bei ihrer Freundin Connie Wald in Beverly Hills und vermittelte ihr ein Gefühl von zuhause. Es ist die Zeit der ersten eigenen Wohnung, des Abnabelns, des Selbstständig werdens. Sie drehte einen Film nach dem anderen, gewann Preise, die erste Ehe ging in die Brüche. Dann verliebte sie sich in einen Italiener, verlegte ihren Lebensschwerpunkt nach Rom. Der zweiten Heirat, folgte ein zweites Kind, sie blieb zuhause, ganz Mutter und Ehefrau. Ihre Ess- und Kochgewohnheiten wurden mediterran. Die dreifarbige Caprese, ein mit Avocado erweiterter Klassiker, zeigt Audreys praktische Veranlagung und Gespür für einfache Küche. Balsam für Augen und Gaumen ist diese schnell zuzubereitende Vorspeise. Auch das Ei mit Mozarella verblüfft ob der Einfachheit und des Wohlgeschmacks. Ich servierte diesen simplen Mozarellahappen an einem Spieleabend meinen Freunden und löste damit eine Diskussion über die Echtheit des Büffelmozarellas aus und die politische Situation Italiens im Allgemeinen.

Das Mittelmeer bleibt bestimmend im Küchenplan Audrey Hepburns. Ein Dreh in Spanien brachte eine neue Haushaltshilfe und damit auch andalusische Gerichte auf den Tisch. Die erste Köchin ist Tina eine Sardin die später von Giovanna, ihrer Schwester abgelöst wird und die ein Ossobuco mit Ave Maria kreierte, das es im puristischen Feinschmeckerland Italien so nicht geben darf. Sie servierte die Kalbshaxe mit einer Pasta, also Nudeln, die kürzesten Rohrnudeln – Ditelini – die es gibt. Einige der Rezepte sind bekannt, aber immer leicht modifiziert von Audrey. Etwa Paglia e fieno, d.h. Stroh und Heu wegen der Kombination von gelben Eiernudeln und grünen Spinatnudeln. Hepburn ersetzt in diesem Gericht den Prosciutto durch gekochten Schinken und den Parmesan mischt sie mit Emmentaler. Ein einfaches und köstliches Gericht. Die Erbsen halten sich so dezent im Hintergrund, dass sogar die Jüngsten meiner Familie einen Nachschlag verlangten.

Die letzten Lebensjahre verbringt sie auf ihrem Schweizer Landsitz La Paisible. Neue Gerichte erweitern den Hepburnschen Speiseplan. Ob Chinesisches Fondue á la Suisse oder Gstaader Pesto, die älplerischen Aromen fügen sich wunderbar ihren Vorstellungen von einfachen Speisen ein. Und immer wieder gibt es Spaghetti al pomodoro, immer, wenn sie von einer Reise als UNICEF-Vertreterin zurückkam. Dazu gab es etwas Vanilleeis und der Wunsch nach Normalität war erfüllt.

Luca Dotti entwirft mit diesem mit leichter Feder geschriebenen biographischen Kochbuch eine neue Audrey Hepburn. Ohne Tratsch- und Klatschgeschichten zu bemühen, stellt er uns eine humorvolle und intelligente Persönlichkeit vor. Und sie liebte gutes Essen, das macht sie noch sympathischer. Audrey Hepburn Fans kommen allein schon wegen der 250 bisher unveröffentlichten Privatfotos auf ihre Kosten. Ein schönes Lesebuch mit interessanten Rezepten.

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