Lydia Maderthaner, Meine Wirtshausküche

Vielfältig kochen mit einfachen Zutaten

75 Rezepte - Tipps für rezeptloses Kochen
Ennsthaler Verlag, Steyr, 2022, 200 Seiten, 35.-- Euro
ISBN 978-3-7095-0147-4 
Vorgekostet

Heute reisen wir ins MOSTVIERTEL.

In dieser westlich von Wien gelegene Region Niederösterreichs kuscheln sich die Dörfer in die wellig-hügelige Landschaft. Die sanften Kuppen sind geprägt von Vierkanthöfen und Streuobstwiesen mit vielen Mostbäumen. So gibt es im Mostviertel noch rund dreihundert Birnensorten und auch die weniger bekannten Elsbeeren sowie Kornellkirschen oder Dirdln. Früchte, die in der Heurigen-, Gasthaus- und Restaurantküche des Mostviertels ihren festen Platz haben. Bodenständigkeit und Experimentierfreude zeichnen die Esstempel dieses Landstrichs aus. Wahrscheinlich nicht von allen, aber von einem wissen wir es mit Gewissheit. In der Wirtshauskuchl in Weistrach, einer 2000-Seelengemeinde zwischen Steyr und Amstetten, kocht Lydia Maderthaner. Seit Jahren verwöhnen sie und ihr Mann ihre Gäste mit Schmankerln der Mostviertler Küche. Ihre Liebe zum Kochen wurde Lydia von Mutter Anna eingeimpft wie auch von Schwiegermutter Johanna gefördert. Also traditionelle Kost, deren Zubereitung sie von der Pike auf gelernt hat, in einer Küche, die geprägt ist vom Wohlwollen der Gäste – sie kommen, weil es ihnen schmeckt. Und in der Wirtshauskuchl wird bereits in der dritten Generation gekocht. Nun hat Lydia ein Kochbuch geschrieben. Meine Wirtshausküche ist im Ennsthaler Verlag erschienen. 

Das Titelbild zeigt uns eine fesche, lachende Wirtin im Dirndl mit einer Milchkanne über der Schulter. Vielfältig kochen mit einfachen Zutaten verspricht sie im Untertitel. In ihrer Einleitung grenzt sie ein, was Kochen für sie umfasst. Ausschlaggebend dafür ist auch ihr Wirtshausalltag, der Flexibilität und Improvisation erfordert. Aber vorrangig ist für sie, das Kochen als Handwerk zu verstehen. ‚Wir spüren mit unseren Händen, fühlen, erkennen und lernen somit. Zwar ist das grundsätzlich nichts Neues, doch Bewusstsein für das zu schaffen, was wir zwischen unseren Fingern halten, verbindet uns mit dem, was wir zu uns nehmen, unseren Lebensmitteln.‘ Daraus leitet Lydia Maderthaner ihr Kochen aus’m G’fühl heraus ab, ohne Rezept, mit saisonalen Lebensmitteln und überschaubaren Zutaten. Das ohne Rezept funktioniert so noch nicht ganz, denn um dorthin zu gelangen benötigen wir ihr Kochbuch mit 75 Rezepten. Aus diesen Anforderungen heraus leitet Lydia ihre Philosophie des ‚Capsule Cooking‘ ab. Das Prinzip ähnelt dem der ‚Capsule Wardrobe‘, eine bestimmte Auswahl an Kleidungsstücken, die beliebig kombinierbar sind. Für die Küche heißt das eine minimal gehaltene Auswahl von Zutaten, die alt bewährte und neue Kombinationen von Gerichten ermöglichen. Deshalb ist auch ihr Kochbuch anders aufgebaut als die meisten. Am Anfang stehen die Grundrezepte. Sie bilden die Basis von Maderthaners Wirtshausküche. Vier Rezepte dienen zunächst als Arbeitsgrundlage. Selbsgemachte Suppenwürze, Flüssigwürze, Kräutersalz und das Grundrezept für Kräuterpesto sind geschmacksbestimmend. Sie werden zum Teil in der Fondküche, die nächste Steigerung, aber auch darüberhinaus eingesetzt. Die Fonds werden dann noch um Soßen ergänzt, bilden so zusammen das Grundgerüst der Wirtshauskuchl. Nicht ohne vorher noch diese um einige Grundrezepte wie Mayonnaise, Erdäpfelteig, Semmelfülle, Faschiertes aus Resten und Gemüsefaschieres zu ergänzen. Aber dann ist Schluss mit dem vorbereitenden Kochhandwerk und es werden die ersten und einfachsten Hungerstiller aus der Suppenküche vorgestellt. Da finden sich bspw. die Kaspressknödel, die mit dem Grundrezept Semmelfülle – als Basis für Semmelknödel – bereitet werden. Cremesuppen, basierend auf einer hellen Grundsoße, lassen sich dann in den Varianten, in denen entweder Knoblauch oder Bärlauch oder Spargel die dominierenden sind, einfach zubereiten. Ab jetzt sollte das Prinzip verstanden sein: Die Herstellung und Bevorratung von Würzmitteln und die Grundrezepte von Fonds, Soßen und anderem sind die Voraussetzung dieses Kochbuchs. Und weil man mit dieser Art des Kochens nicht lange vor dem Kühlschrank überlegen muss, was gekocht werden soll, ist als angenehmer Nebeneffekt auch die Vorratshaltung überschaubar gelöst. Auch hier gibt Lydia Hilfestellung und listet auf, was unbedingt in der Vorratskammer, im Kühlschrank aufzubewahren ist und im Frischesortiment vorhanden sein muss. Wer dieses Prinzip einhält, kann in der Folge eine Reihe von Schmankerln nachkochen, wie sie in Ostösterreich alltäglich auf dem Tisch stehen. Maderthaner legt eine einfache traditionelle Wirtshausküche vor, die sehr familienfreundlich ist. Das reicht vom Burger mit Cocktailsoße, über Hühnerfilet mit Käsefülle im Speckmantel  und Putengeschnetzeltes. Mit Putenfaschiertes als Basis, zu dem die Autorin uns Rezipienten auffordert, eigene Rezeptkreationen zu erfinden oder einige ihrer Vorschläge einfach auf die aktuelle Situation hinzutrimmen. Die Rezeptpalette ist bunt, reicht von Topfenpalatschinken in der Auflaufform, Hascheeknödel, Gemüsefaschiertes, Salat mit Schafkäse bis zur Bratapfeltorte. Ja, das kennt man alles, mag man einwerfen, aber hier muss man den Kontext miteinbeziehen. Maderthaner kocht mit einer Handvoll von Grundrezepten als Basis für eine Vielzahl an Gerichten und hat deshalb im Kühlschrank und in der Vorratskammer nur das Notwendigste. Zudem gibt es auch einige Rezepte, die nicht so allgemein bekannt sind. Die Zupften Nockerl oder die gleichschweren Früchte-Blechkuchen zum Beispiel sind für mich neu. Der Früchte-Blechkuchen basiert auf der einfachen Regel, dass alle Zutaten 250 Gramm wiegen. Damit lassen sich wunderbare Marillen-, Apfel-Mohn- und Birnen-Nuss-Kuchen zaubern. 

Zu guter Letzt sollte ich noch das Mostviertler Mostbratl erwähnen, das nicht nur das ultimativ letzte Rezept in diesem Kochbuch ist, sondern auch in den Schlagzeilen der heimischen Presse bejubelt wurde. Das Bratl kam österreichweit in die Schlagzeilen, weil es 2019 die ORF Kochshow ‚… So gut isst Österreich’ gewann. Wahrscheinlich kamen damals viele Gasthausbesucher, nur um dieses Bratl zu kosten. Und wahrscheinlich werde ich mit Sohnemann Markus, der in der Steyrer Gegend wohnt, die Gaststube der Maderthaners aufsuchen, um dieses Gericht, das zu hundert Prozent Lydias Wirtshauskuchl verkörpert, mir zu genehmigen. Und dann vergleichen, ob ich hingekommen bin mit meinem nachgebauten Mostviertler Mostbraten.

Meine Wirtshausküche von Lydia Maderthaner ist eine vorausplanende, einfache Küche, die beindruckt. Sie kommt in den meisten Fällen mit wenig Zutaten aus. Zwiebel und Liebstöckl sind vielfach im Einsatz. Wer sich auf Lydia Maderthaners Capsule Cooking einlässt, kann seinen Kochstil optimieren und mit viel Übung freihändig, das heißt ohne Rezepte, sich austoben.