Manuela Rüther, Backe, Brust und Bauch

Secound Cuts - fast vergessene Fleischstücke mit Biss und Charakter

Fotos von Manuela Rüther
AT Verlag, Aarau und München, 2018, 280 Seiten, 30.-- Euro
ISBN 978-3-03800-082-2
Vorgekostet

Heute besuchen wir meinen und unsere NACHBARN.

Roman S., einer der letzten seines Standes. Er ist Metzger von Beruf. Keine 200 Meter sind es bis zu seinem Geschäftslokal. Schlachtungen macht er keine mehr, die Zeit ist vorbei. Das, was ich an ihm schätze, ist sein Wissen rund ums Fleisch und, dass er sich Zeit nimmt für mich, seinen Kunden. Geht’s bei mir um die ‚Wurscht‘ und natürlich auch ums Fleisch, dann rede ich mit Roman. Da kann es schon passieren, dass sich eine kleine Gruppe an der Fleischtheke bildet und über Garzeiten und Tranchiermethoden fachsimpelt. Jüngst bestellte ich bei ihm Kalbsbrust ohne Knochen. Zwei Tage später konnte ich es abholen, küchenfertig vorbereitet, d.h., entbeint, mit eingeschnittener Tasche und separat die Knochen. Natürlich wusste er, dass ich damit gefüllte Kalbsbrust zubereite, und er gab mir sofort ein paar Tipps. Die Füllung sollte nicht zu feucht wie auch die Brust nicht zu prall gefüllt sein. Ich revanchierte mich und zeigte ihm mein neues Kochbuch, aus dem das Rezept für die gefüllte Kalbsbrust stammt. Er blätterte in Backe, Brust und Bauch, das ist das neueste Fleisch-Kochbuch aus dem AT Verlag, hielt bei manchen Rezepten inne, wiegte nachdenklich den Kopf, bei den Schweinsohren etwa und gab es mit knappem Kommentar zurück: „Schaut gut aus!“ Das finde ich auch.

Manuela Rüther, Autorin, Köchin und Fotografin, nimmt sich mit ihrem neuen Kochbuch Backe, Brust und Bauch eines Trends an, den der Architekt und Koch Fergus Henderson vor einigen Jahren mit auslöste. Sein Kochbuch The complete Nose to Tail hat mittlerweile Kultstatus. Rüther kann Hendersons Ansichten einiges abgewinnen und in ihr Leitmotiv übernehmen. Ferguson schrieb 1999: ‚Nose to Tail Eating’ means it would be disingenuous to the animal not to make the most of the whole beast; there is a set of delights, textural and flavoursome, which lie beyond the fillet. (Fergus Henderson, The complete Nose to Tail) Manuela Rüther beherzigt Fergusons Aufruf, Gaumenfreuden jenseits von Filets in der Küche zu schätzen, und widmet nun ein ganzes Kochbuch den weniger wertvollen Fleischstücken von Rind, Kalb und Schwein.

Im Vorwort stellt sie klar, dass sie Orientierungshilfe geben und Ideen liefern möchte. Was kann man aus den weniger bekannten Fleischstücken von Rind, Kalb und Schwein zubereiten. In der Einleitung gibt sie zunächst einen kursorischen Überblick über Fleischqualität, Herkunft, Knochen, Fett und Bindegewebe, Einkauf, Zuschnitte und diverse Garmethoden. Dieser Teil ist knapp gehalten, in gut verständlicher Sprache werden die wesentlichen Aspekte zum Thema Fleisch abgehandelt. Mehr als eine geraffte Übersicht soll es nicht sein, denn inhaltlich ins Detail geht es dann bei den vorgestellten Fleischstücken. Dafür gliedert die Autorin ihr Fleischbuch in drei Hauptkapitel, Rind, Kalb und Schwein, und zwei Exkursen, die sich dem Grillen und der Hausschlachtung annehmen. Warum Schaf, Lamm und Ziege ausgespart werden, dazu findet sich kein Hinweis. Die Hauptkapitel werden eingeleitet mit einer kurzen lexikaischen Beschreibung des Tieres und einer Schemazeichnung, in welcher alle weniger wertvollen Fleischteile oder Second Cuts eingezeichnet sind, die dann ausführlicher vorgestellt werden. Beim Rind sind das bspw. Ochsenbacke, Nacken mit Fehlrippe, Bürgermeisterstück usw.. Beim Kalb gibt es Schulter, Kalbstafelspitz u.a. zu entdecken. Beim Schwein finden sich Schweineohren genauso wie Schweinebauch, -fuß oder Schweineschwanz. Diese einzelne Teile sind quasi Unterkapitel. Darin werden die Fleischstücke genauer vorgestellt und um zwei Rezepte ergänzt. So erfährt man via Steckbrief etwa beim Fledermaussteak, dass es auch als Kachelfleisch, Deckelchen und Schalblattl bezeichnet wird oder Spider Steak in den USA. Eine Illustration lässt uns auch sofort erfassen, woher das gute Stück stammt, nämlich vom Hinterviertel des Rindes. Zudem liefert die Autorin ausführliche Hinweise zum Fleischstück hinsichtlich Zuschnitt, Zubereitung und Geschmack. Ich musste zur Kenntnis nehmen, dass die Fledermaus kein genuin Wiener Schmankerl ist, denn beide Rezepte sind eindeutig asiatisch angehaucht. Das gegrillte Fledermaussteak mit Koriander, Kopfsalat und Paprikamais ist schnell zubereitet und unkompliziert. In Curry mit Thai-Basilikum, Kokos und Kartoffeln wird die Fledermaus geschnetzelt, kurz angebraten und dann mit einer wunderbaren Sauce vermählt. Wer Wokgerichte liebt, wird von dieser Fledermausaufführung entzückt sein.

Ausprobiert habe ich auch die geschmorten Rinderhalsstücke mit Roter Bete, Ingwer, Chili und Orange. Das Fleisch, schön ausgelöst vom Metzger, köchelte über zwei Stunden vor sich hin und verströmte einen fast betörenden Duft. Tage später wurde ich von der Nachbarin angesprochen – sie wollte wissen, was wir da gekocht hätten. Die ausgelösten Knochen wanderten in den Suppentopf. Mehrere Tage hintereinander gab es dann noch Rindssuppe mit Beinfleisch, Gemüse, Grießnockerln u.a.. Am Ende erfahren Sie, wie der geschmorte Rinderhals zubereitet wird.

Die gefüllte Kalbsbrust mit Frühlingskräutern und Morcheln kam, wie bereits erwähnt, auch auf den Tisch. Die Brust war äußerst sättigend, sehr saftig und die Fülle, davon träume ich heute noch. Einfach und gut, aber es dauert seine Zeit. Wie überhaupt viele Gerichte in diesem Buch einige Zeit beanspruchen, auch wenn man nicht immer dabei am Herd stehen muss. Nicht herum kam ich um den Tafelspitz mit Wurzelgemüse und Meerrettich. Ein Wiener Klassiker und Ausdruck eines zutiefst österreichischen Phänomens, etwas an die Spitze seiner Tafelfreuden zu stellen, was andernorts als Abfall bewertet wird. „Die Leute vom Fach essen niemals gekochtes Rindfleisch“, behauptete Brillat-Savarin über das feinfasrige und saftige Siedfleisch, das aus der Keule geschnitten ist. Ein Irrtum, wie sich herausstellte, denn der Tafelspitz ist nach dem Wiener Schnitzel das zweithäufigst bestellte Gericht in Wien. Ein wunderbares Sonntagsessen. Abgewichen bin ich nur in einem Punkt. Gesalzen wurde erst am Schluss, da halte ich es mit Ewald Plachutta.

Mit Backe, Brust und Bauch schuf Manuela Rüther ein tolles Fleisch-Kochbuch. Außergewöhnlich gut fotografiert, mit Aufnahmen die alle Bereiche abdecken, von der Schlachtung bis zum tellerfertigen Gericht. Eine kluge Auswahl an Rezepten zeugt von großer Vielfalt verschiedener Esskulturen. Ein umfangreiches Register, sowie Adressen und Links zum Onlineversand und lokalen Metzgern und Bauern, bedient all jene, die Beistand in Fragen der Fleischeslust benötigen bzw. ohne Metzger-Freund sind. Ein Kochbuch das begeistert.

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