Susanne Schaber, Der Geschmack der Berge

Eine kulinarische Reise zu den Almen Österreichs

Fotos von Herbert Raffalt
Zeichnungen von Angelika Zak
Tyrolia Verlag, Innsbruck, 2018, 240 Seiten, 39.95 Euro
ISBN 978-3-7022-3670-0
Vorgekostet

Heute reisen wir in die BERGE.

Aufi zu die Stanahüpfen, aufi zu die Bergesgipfel ziagts mi halt so hin.
Der Berg schickt uns sein Gruaß. Aufi muass i, i muass!
Singt Wolfgang Ambros sein Verlockungslied nach Bergeshöhn im Musical „Der Watzmann ruft“. Viele zieht es hinauf. Eine unstillbare Sehnsucht treibt sie an, tausende Bergler, Mountainbiker und Wanderer. Die Gipfel müssen bezwungen werden. Auf dem Weg dorthin laden Almen die Bergtouristen ein zum Verschnaufen, locken mit kühlem Bier, Buttermilch und kulinarischen Schmankerln. Viele erliegen der aufgetischten Verführung einer schönen Almerin oder eines feschen Senners. Die Ausflügler, sie bleiben sitzen, genießen das Rundum, schauen dem Almvieh beim Fressen zu. Almen sind Zwischenstationen auf dem Höhenanstieg, nicht ganz oben aber nahe der Baumgrenze und somit einige hundert Meter über dem Talboden. Die Luft dort ist anders, das Herz weitet sich und hüpft vor Freude. Selbst der größte Rummel kann das Glück nicht trüben. Almen sind etwas besonderes. „Ich versuche hier mit Kuhmilch und Almspaziergängen der Seele eine gewisse Kindlichkeit wiederzugewinnen und habe bereits einen geradezu dichterischen Grad von Imbezibillität (Schwachsinn) erreicht, der mir das kritische Verständnis meiner Zeitgenossen sehr erleichtern wird.“ schrieb Robert Musil 1921 in einem Brief an Arne Laurin. Er unterzeichnete mit Muh-Muhsil, lautmalerisch das Almvieh nachahmend. Das Zitat ist auch der Einstieg zu einer kulinarischen Reise auf Österreichs Almen. Das verrät der Untertitel von Der Geschmack der Berge, dem Almen-Kochbuch von Susanne Schaber das im Tyrolia Verlag herausgekommen ist.

In sechs Kapiteln nähert sich die Autorin einer topographischen Besonderheit des Alpenraums, dessen Flurformen nach Ort und Lage unterschiedlich ausgeprägt sind. Schroff und steil, sanft und hügelig können sie sein, die Bergweiden, die in den Sommermonaten von Menschen und Vieh bevölkert werden. Arbeit und Vergnügen geben sich auf diesen Hochmädern fröhlich die Hand. Sechs Begegnungen mit Natur, Kultur und Geschichte stehen im Mittelpunkt. Sie bilden den roten Faden, werden aufgewertet zu kulinarischen Wegpunkten mit traditionellen und neuen Rezepten aus dem Alpenraum.

Auf der Ennstaler Viehbergalm sind Marianne und Tina zu Gange. Ein herzliches Griass enk! lädt ein, die Ritzingerhütte zu betreten. Die Damen verwöhnen die Einkehrer dann mit Steirerkrapfen, Brettljause, Melissensaft, aber vor allem ihrem gelebten Rhytmus: Leben, lieben, lachen. Eine Besonderheit ist der Steirerkas aus saurer Magermilch, der nach vierwöchiger Lagerung zu einem grau-bläulich schimmernden, würzigen Käse reift. Im Geschmack ähnlich dem Gorgonzola, wird der Steirerkas mit dem Bergkäse in die Kasnockerln gemischt; „das macht sie etwas milder“, verrät Marianne damit ein kleines Almgeheimnis. Mit welchen Ingredienzien sie ihren Almkaffee aufpeppen, dieses Geheimnis kann ihnen die Autorin nicht entlocken. Für die Ennstaler Krapfen nehmen sie Roggenmehl und geben sich damit als Katholiken zu erkennen. Die Protestanten verwenden Weizen. Jedenfalls sind die Ennstaler Roggenkrapfen mit Steirerkas von Marianne Gruber etwas G‘schmackiges. Eine Besonderheit in der Zubereitung ist, dass die Krapfen nach dem Abtropfen in einer Zirbenholz-Schüssel gelagert werden. Deckel drauf und man staune, die Krapfen bleiben weich, weil das Holz Feuchtigkeit abgibt. Wird der erste Krapfen mit Steirerkas belegt und gerollt, werden die nächsten mit Sauerkraut gegessen.

In Kapitel zwei reist die Autorin in den Bregenzerwald zu Josef Schwärzler. Auf der Alp Gerisgschwend geben 40 Rinder täglich rund achthundertfünfzig Liter Milch ab. Die zu Bergkäse veredelt, sich in stattliche Laibe verwandeln. Am Ende des Sommers sind es 270 Hartkäselaibe, die der Senner in den Keller schleppte. Zu Wagenrädern geformter Bergkäse, der jeden zweiten Tag eine Salzwasserabreibung erhält. Dieser würziger Almkäse enthält nur Milch, Milchsäurebakterien, ein wenig Wasser, Salz und Lab. Der Senner ist in diesen Monaten von fünf Uhr früh bis 22 Uhr auf den Beinen. Schwerstarbeit die mit deftigem Essen belohnt werden muss. Zum Frühstück gibt es bereits einen Riebel, einen in Butterschmalz herausgebackenen Grieß, schön knusprig und bröselig mit einer Tasse Milch dazu. Ein Nationalgericht für die Vorarlberger, in Tirol ist es als Riebler bekannt. Da werden Kindheitserinnerungen wach. Ob der Senner dann im Schlaf davon träumt, eine Maus zu sein, die sich in die Laibe hineinfrisst, konnte auch die Autorin nicht beantworten. In diesem Kapitel finden sich neben Klassikern wie die Käsknöpfle oder die Kaspressknödel auch weniger bekannte Gerichte. Etwa Frigga, das ist mit Speck und Bergkäse heraus gerösteter Grießbrei. Deftig aber gut. Oder die Montafoner Käsesuppe, eine sehr gehaltvolle, sämige Suppe.

Im dritten Kapitel kommt eine Wiesen- und Bergkräuterexpertin zu Wort. Karin Buchart ist fasziniert von den Heilpflanzen. Sie dienen nicht nur dem Körper, sie richten die Seele auf, davon ist sie überzeugt. Und sie ist behutsam gegenüber der Natur, den Pflanzen, achtet darauf, dass immer von den ausgegrabenen Wurzeln ein Stück im Boden bleibt. Kein Raubbau. Und sie zupft gerne die lila Blüten des Quendel ab. Das macht sie mir besonders sympathisch, weil auch ich diesen Lippenblütler, den wilden Bruder des Thymian, so schätze. Hier werden dann auch Rohkostler fündig mit Angeboten von Wildkräutersalaten oder mit getrockneten Quendel belegtes Brot gegen Grippe. Ein besonderes Angebot ist wohl der Fichtenspitzenhonig, der nicht nur gut schmeckt, sondern auch Balsam für Bronchien und Magen ist.

In den weiteren Kapiteln gibt es dann eine Grenzüberschreitung ins friulanische Kanaltal, zu den Enzianschnapsbrennern nach Galtür und ins steirische Radmer, wo ein Almabtrieb den Almsommer endgültig besiegelt. In den Julischen Alpen sind wir auf der Malga Priu und werden dort von Renata und ihrer Familie mit länderübergreifenden Köstlichkeiten verwöhnt. Der Orzotto con verdure ist für Risottifans etwas besonderes. Statt mit Reis wird er mit Perlgerste, bei uns auch Graupen genannt, zubereitet. Aber auch die Zuppa di pane e cavolo, eine Brotsuppe mit Grünkohl, die im 500 km entfernten Aostatal beheimatet ist, scheint den Friulanern zu schmecken. In diesem Dreiländereck Österreich, Italien, Slowenien gibt sich die internationale Küche, so scheint es, ihr Stelldichein. Migas nach Hirtenart aus den spanischen Pyrenäen, Alplermagronen aus der Schweiz wie auch die Truffade, ein Pfannengericht aus der französischen Auvergne stellen sich friedlich neben lokale Spezialitäten wie bspw. die Frico con patate, das sind Käsefladen mit Kartoffeln. Hier materialisiert sich der kulinarische Himmel in Köstlichkeiten, dass einem die Wahl schwer fällt. Aber ich habe mich entschieden, für die Ilikrofi, slowenische Schlickkrapferln, die mit Brennessel und Kartoffel gefüllt sind. Etwas aufwändig, aber es zahlt sich aus.

Klar finden sich auch Desserts in diesem Kochbuch. Im letzten Kapitel, so wie es sich gehört. Auf einer Alm geht es ja anständig zu. Im Angebot stehen Steirische Alm-Sailinge, Rumplnudeln, süße Topfennudeln, Kaiserschmarren, Moosbeernocken und anderes. Ich habe mich für die Topfen-Grieß-Knödel entschieden. So, und jetzt bin ich satt.

Der Geschmack der Berge ist ein wunderbares Almen-Kochbuch. Über 60 Rezepte, allesamt höhentauglich und bergerprobt, bringen ein Stück Alm-Feeling in die Küche. Wohl auch wegen Susanne Schabers einfühlsamen und bildhaften Beschreibungen jener Menschen, die den Kulturraum Alm zu einem wertvollen Refugium der Alpen machen. Verstärkt werden die Eindrücke durch Raffalts Fotografien, die eine fröhliche Lebenswelt ohne heimattümelnde Anbiederung vermitteln. Detailaufnahmen von Zubereitetem wie auch von den Almern in ihrem Tun und in ihrer sozialen Umgebung lassen eine heile Welt im Verborgenem vor dem geistigen Auge des Betrachters entstehen. Einziger Wermutstropfen ist das Layout, es ist zu brav. Aber dann gibt es noch den Duft der nachgekochten Gerichte, der unbeschreiblich, ein wenig Freiheit an den Esstisch bringt.

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