Marco Maurer, Meine italienische Reise

oder wie ich mir in Sizilien einen uralten Cinquecento kaufte und einfach nach Hause fuhr

Mit Fotos von Daniel Etter
Prestel Verlag , München, 2021, 240 Seiten, 26.80 Euro
ISBN 978-3-7913-8694-2
Vorgekostet

Heute reisen wir durch ITALIEN.

Wenn Männer träumen, dann träumen sie von schnellen Autos, schönen Frauen und natürlich davon, dass sie die Besten sind. Klischees? Mehr als wahrscheinlich. Wenn Männer vom Süden träumen, dann von der Königin des Südens, der Sonne. O sole mio, im Süden scheint die Sonne. Von diesem Land wird ein Märchen erzählt: das Märchen vom Schlaraffenland, der Anderswelt. Der Süden liegt dort, wo alle Märchenländer liegen: in der Macht des Wünschens. So denkt auch der Romanist Dieter Richter und vor ihm Johann Wolfgang von Goethe. Und auch Marco Maurer, der Journalist und Buchautor. Der verliebt sich im südlichen Sizilien in Giordina und reist mit ihr durch ganz Italien hinauf bis nach Hamburg. Ein wahr gewordener Traum.

Meine italienische Reise ist die Geschichte einer Autofahrt. Die Ursprünge dieser Sehnsuchtsreise sind bereis in Kindheit und Jugend des Autors angelegt. Mitverantwortlich ist auch die Oma, aber vor allem sind es die Italienurlaube der Familie ab den 1989er Jahren. Die Fußball WM 1990 und die zur Eröffnung gesungene Hymne ‚Un Estate Italiana‘ von Gianna Nanini und Eduardo Bennato in Mailand wie auch Luana, die erste italienische Freundin Marcos, sind aber jene Impulse, die zum Verlangen wurden nach diesem Land. Und dann, Jahrzehnte später, begibt sich Marco auf die Suche nach der Gärtnerin, nach Giardiniera, die Kombiversion des 500er Fiat mit größerem Kofferraum und Verdeck. In Messina wird er fündig. Bei Signor De Pasquale, einem Stoffhändler, steht ein alter Cinquecento, Baujahr 1968. Und so beginnt das wahr gewordene Märchen einer Reise von Ostsizilien aus hinauf die Küste entlang bis Neapel und weiter im Landesinneren mit Stationen in Navelli, Rom, Montepulciano, Bologna. Von dort rüber zur ligurischen Küste bis Imperia an der Grenze Frankreichs. Und dann wieder nordwärts nach Turin und weiter über die Lombardei und dem Trentino hinauf zum Timmelsjoch, Tirol querend bis nach Klein-Rom. Piccolo Roma ist ein Ortsteil der bayerischen Gemeinde Denklingen, wo Maurers Oma lebte. Dort überwintert das Auto in einer Scheune.

Marco Maurer erzählt in 18 Kapiteln von dieser italienischen Reise. Es sind unzählige Begegnungen mit Menschen, die bereit sind, ihr Innerstes zu öffnen. Und ihr Innerstes ist immer mit Essen verbunden.

Also: Marco und sein Begleiter, der Fotograf Daniel Etter, tauchen auf ihrer Fahrt in die unterschiedlichsten Lebenswelten italienischer Familien ein, die so vielfältig sind wie ihre Beschäftigungen, mit denen sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Und im Mittelpunkt dieser Begegnungen ist natürlich immer der Cinquecento, aber nur kurz. Er ist der Vermittler, der Türöffner in die italienischen Küchen. Denn kaum sind sie irgendwo angekommen, wird auch schon zu Tisch gebeten. Und so wird diese Fahrt zwangsläufig zu einer Degustationsreise.

In San Gregoria – einem kleinen sizilianischen Fischerdörfchen – sind die Reisenden mit Roberta und Alessandro zum Frühstück verabredet. Vom Zimmer aus sehen sie die kleine Bucht und als weißer Fleck das Auto zwischen Meer und Piazza und Marco spürt Sapore di sale, den Geschmack von Salz. Schnulzig natürlich, spielt im Radio der Song aus den 60er Jahren. Das Dörfchen erlangte Berühmtheit wegen Tartaruga, eine schützenswerte Schildkrötenart, aber auch wegen des Nachtklubs am Strand, wo Showgrößen wie die Kessler-Zwillinge auftraten. Roberta bringt das Frühstück aus der Eisdiele herüber. Denn zum sizilianischen Frühstück gehört neben caffè auch granita al limone con brioche. Halbgefrorenes also, das – so beschreibt es Marco – wie ein Doppelbeschleuniger wirkt, Hirnfrost und nach einem kurzen Tilt-Moment der Espressowumms. Die Brioche, heißt es weiters, wirkt dagegen deeskalierend, ist butterweich, hefig, süßsäuerlich. Wer das nicht glaubt, kann sie nachbacken. Das Rezept von Robertas sizilianische Brioches ist abgedruckt.

Ich lese meiner Enkelin Freya und ihrer Oma Almud die Geschichte von Carmela und Aurelio vor. Aurelio war Hochzeitsfotograf. Er stellt seinem Sohn Alessandro fast jeden Tag ungefragt Tüten voller Einkäufe vor die Haustür. Der Pensionist kauft einfach alles ein was im Angebot ist, ob man es braucht oder nicht. Heute gab es drei Packungen Waschmittel, morgen wahrscheinlich drei Säcke Kartoffel. Mit Marco lernen wir die unterschiedlichsten Menschen kennen, ihre Macken und ihre Liebenswürdigkeiten. Erfahren wie sie den Tag rumbringen, was sie geprägt hat. In der in allen erdenklichen Blautönen gehaltenen Küche sitzen sie zusammen, Marco, Carmela und Alessandro und reden über Aurelio. Warum er so geworden ist, wissen sie nicht, und wo er gerade sei, auch nicht. Das hält aber Carmela nicht davon ab Gemüse zu schneiden und am Herd mit Pfannen zu hantieren. Kurze Zeit später erfüllt eine dichte Wolke Basilikumduft die Küche. Das sei nur ein Alltagsessen sagt sie, aus Auberginen, Kartoffeln und Basilikum. Beiläufiges Gemüse nennt Carmela das Gericht und Freya beschließt, am Abend eben dieses nachzukochen. Das relativ schnell zubereitete Pfannengericht ergänzte unsere Köchin mit einigen Tomatenstücken. Wir haben es genossen, das einfache Mahl, von unserer deutschen Enkelin zubereitet, die, nachdem alles restlos aufgegessen war, im typisch Piefkinesen-Jargon anmerkte: Das war aber sehr lecker!

Maurers Reise ist geprägt von den Begegnungen mit Menschen aus unterschiedlichsten Umfeldern. Da sind die Librandis, Olivenbauern mit Herzblut, in Kalabrien. Sie zelebrieren den Olivenanbau und die Herstellung besten Olivenöls. Natürlich wird das beste Olivenöl auch zum Kochen verwendet und das fast in verschwenderischem Ausmaß. Jeden Mittag kocht Mama Maria Luisa auf und alle kommen. Dieses Mal gibt es Pasta con Ovolo, also Nudeln mit Pilzen, Kaiserlinge um genau zu sein. Was Ovoli sind, hätte der Autor auch sagen können, aber wir wollen nicht kleinlich sein. In Italien sind die Kaiserlinge wahrscheinlich sogar begehrter als die Steinpilze. Für Antonio Carluccio, den italienischen Starkoch, sind die Ovoli ‚Pilze für Feinschmecker’.

An der Amalfiküste lernt Marco Maria und Vincenzo kennen. Sie bauen seit Generationen an der Steilküste, die zum Weltkulturerbe gehört, Zitronen an. Und natürlich finden sich die Zitronen in allen erdenklichen Gerichten der regionalen Küche. Ob in Vincenzos süßem Limoncello oder in Marias ‚Ndunderi al limone‘, ein fantastisches Gnocchigericht. Die herrlichen gelben Früchte sind dort allgegenwärtig. Wie die ‚Ndunderi al limone‘ schmecken, konnte Marco sich nicht vorstellen. Sahne, Zitrone, Pasta und Pfefferminze? Und als er sie kostet, erlebt er Geschmacksnoten von mild-sahnig und fruchtig, butterig und blumig, würzig und frisch, fest, aber luftig. Und auf die Frage, warum Maria ihr Rezept mit ihm geteilt habe, antwortet sie: „Damit die ‚Ndunderi‘ nicht in Vergessenheit geraten.“

Spätestens jetzt sollten wir erkennen: Die Reise dauert! Denn Marco und Daniels Reisegeschwindigkeit beträgt maximal 110 kmh. Mit 16 PS unterwegs und jede erdenkliche Gelegenheit wird wahrgenommen, sich zu wildfremden Menschen an den Tisch zu setzen, um sich zu laben an den regionalen Köstlichkeiten, die aufgetischt werden. Zum Beispiel Oriettas Focaccia, Lucias Artischocken auf jüdische Art, Dinas Safranrisotto, Umbertos Tiramisud usw.. Am Ende haben wir uns durch Italiens kulinarische Einzigartigkeiten gekostet und jeder, da bin ich mir sicher, hat ein Lieblingsgericht für sich entdeckt. Für mich ist es Trofie al pesto, ein Nudelgericht mit Kartoffeln und grünen Bohnen. Ein Wermutstropfen ist allerdings Melissas Ricotta-Orangen-Schokoladen-Kuchen. Die Anleitung, eine Springform zu fetten, bemehlen und mit Backpapier auszulegen, ist Humbug. Auch die weiteren Zubereitungsanweisungen sind etwas wirr und vermutlich schlecht übersetzt, und so schwer nachvollziehbar. Dabei hätte der Autor auf dasselbe Rezept zurückgreifen können, das bereits veröffentlicht wurde in Melissa Fortis Backbuch, das im selben Verlag erschienen ist. Sie finden den Ricotta-Orangen-Schokolade-Kuchen im Rezept-Ordner.

Nun, die Reise geht weiter und wir vergessen diesen Orangenkuchen einfach; lassen uns von Stranderlebnissen und wunderbaren Begegnungen berichten. Es sind vielfach Geschichten von Mamas und Nonnas, wie sie ihre Familien mit ihren Kochkünsten verwöhnen. Und es ist eine Liebeserklärung an Giardiniera, ein Auto, das viele Italienerinnen und Italiener beglückte. Diese Reise ist aber auch eine sehr persönliche Annäherung zwischen zwei Kulturkreisen – der deutschen und der italienischen. Da werden Marcos Erinnerungen an seine bayerische Großmutter lebendig, die auch eine gute Italienerin hätte sein können mit ihrem Familiensinn. Meine italienische Reise von Marco Maurer spürt den Sehnsüchten nach, dem einfachen Leben und dem dolce vita gleichermaßen. Der Autor beschreibt die Begegnungen so plastisch und amüsant, dass das Gefühl aufkommt, dabei zu sein. Es ist ein Buch der Sehnsüchte nach Italien und notabene italienischem Essen. Und übrigens, das Rezept der Granita al limone, der Muntermacher von Maurizio, dem Eismacher aus Sizilien, ist natürlich auch abgedruckt.