Heute reisen wir nach ROM.
Rom war die erste Stadt auf Erden, schrieb Guiseppe Prezzolini im bissigen Stil in Das Leben Nicolo Machiavellis und entwirft darin ein treffendes Portrait der ewigen Stadt und der Sitten jener Zeit. Rom war „Caput Mundi“, die Abortgrube der ganzen Welt, das Muttergeschwür des überall verbreiteten Aussatzes. Eine Stätte ewigen Zankes, mit stolzen Ruinen, vielen Sümpfen, chronischer Malaria und allgemeiner Unzucht. Ein Ort, wo Völlerei und bittere Not dicht nebeneinander hausten. Dort wurden Hexen verbrannt, und der Vatikan war voller Sterndeuter und Kurtisanen. Dort tat man Luther in den Bann und verriet Christus im kleinen. Dort trafen sich alle Schurken, Feinschmecker, Kuppler und Heiligen der Welt. Und den anständigeren Zeitgenossen erschien es wie eine Mischung aus Sodom, Gomorrha und Babylon.
Der Papst hatte Liebchen, Kinder und Konkubinen. Er pflegte die Kardinäle zunächst zu mästen, um sie später umzubringen, wenn sie sich tüchtig mit Geld und Reichtum vollgesogen hatten. Auch die Kardinäle hatten Söhne und Neffen. […] Manche Päpste waren mehr für gut Essen und Trinken als fürs Schwert. Noch heute gibt es den timballo di Bonifacio VIII, eine Pastete, die nach dem Papst Bonifacio benannt worden war, der von 1294 bis 1303 amtierte und der das erste Heilige Jahr ausrief, der Pilgern, die nach Rom kamen, einen vollständigen Ablass ihrer Sünden gewährte. Bonifacios Timballo wird umhüllt von Mürbeteig, darunter verstecken sich Makkaroni, Fleischbällchen, Hühnermägen und ganze Trüffelscheiben. Sein Nachfolger Bonifatius IX. liebte Leberklößchen, genannt tomaselli. Sie sehen, man könnte ein ganzes Buch über die Ess- und Fressgewohnheiten der Päpste schreiben. Als Maria Pasquale begann, Roms Geheimnisse zu enträtseln und aufzudecken, offenbarte die Stadt sich ihr als modernes Wunder. Ihr widmet sie ihr Buch La città eterna – Das Rom-Kochbuch, das Spurensuche und Reiseführer zugleich ist mit verlockenden kulinarischen Einblicken. Darin versammelt sie kleine Ausschnitte römischen Alltags in Geschichten und Rezepten, die sich nicht nach Speisenabfolgen orientieren, sondern an soziogeographischen Räumen wie die Trattoria oder den Markt. Insgesamt acht Kapitel sind es, in welchen sich nach Pasquale der lukullische Kosmos der Römer zusammenfassen lässt. Sie beginnt mit La Trattoria, weil, anders als in einem Restaurant, man dorthin geht, um einfach mit der Familie, mit Kollegen oder Freunden zwanglos gemeinsam zu essen. Dort gibt es keine überkandidelte Speisen und formvollendeten Service. Die Tischtücher sind aus Papier, die Weingläser meist normale Haushaltsgläser und statt einer Speisekarte rattert die Bedienung die Tagesgerichte runter. Im zweiten Kapitel finden wir uns im Laden für Frittiertes ein, wie La Friggitoria übersetzt werden könnte. Zwar ist Neapel die Heimat des Frittierens, aber Friggitorien gibt es im ganzen Land und Rombesucher genießen nicht nur den Duft von frisch Frittierten Reisbällchen (Suppli). Der Name dieser römischen Spezialität hat nichts mit Suppe zu tun, sondern geht auf das französische Wort für ‚Überraschung‘ zurück, weil in den Reisbällchen sich ein zerlaufender Mozarella versteckt. Aber die Suppli halten noch mehr Überraschungen parat, die es gilt rauszuschmecken, wie Rinderhack, Staudensellerie, und Kenner der römischen Küche tippen: Hühnchenleber.
Wir gehen weiter zu Il Forno, und darin vereint ist jede Menge an Ofengerichten. Da wären zunächst Pizza bianca und Pizza rossa. Beide werden mit einem Focaccia-Teig gemacht, haben so mehr Brotcharakter die die römische Pizza innen luftig-weich und außen krustig im Biss erleben lassen. In Rom in einer Pizzeria essen gehen bedeutet aber nicht genießen, nein, denn dort geht es zu wie in einem Bienenkorb. Man setzt sich, bestellt, isst, geht wieder. Das Ganze vollzieht sich rasant und schmeckt auch gut, aber es ist reines Konsumieren. Dagegen liegt der Fokus in einem Pizza-Restaurant auf den allerbesten Zutaten, lässt uns Maria wissen. Die römischen Pizzaioli erschaffen eine Art Reise mit ihren Pizzen, neben klassischen Belegungen finden sich darauf auch verrückte Zutaten wie Kakaopulver oder Lakritz. In einem Einschub über Die Neuen Römer erfährt man aktuell, wie es um Dining-Konzepte und Trends der Stadt bestellt ist. Ob das Panino, die belegten Brötchen, sind oder die römische Barszene, Gourmet-Gelato oder eben wie Pizza essen gehen. Die Autorin lässt uns teilhaben an Moden und kulinarischen Entwicklungen dieser pulsierenden Stadt, stellt Persönlichkeiten samt ihren Etablissments vor. Es sind Ergänzungen zwischen den Rezeptblöcken, die noch einen zusätzlichen Blickwinkel eröffnen auf eine Stadt, die mit neuen Reizen nicht geizt.
Auf dem italienischen Markt ist das wahre kulturelle Erlebnis verbunden mit der italienischen Lebensart. Die Händler, Obst- und Fischverkäufer wissen, was ihre Römer wollen, scherzen mit ihnen und schwatzen ihnen alles Erdenkliche an Nahrungsmitteln auf, sodass sie mit prall gefüllten Tüten nach Hause gehen. Die Farben der Märkte verändern sich je nach Jahreszeit. Überwiegen sommers Rot-, Gelb- und Rosatöne, so sind im Herbst die warmen Braun- und Orangetöne vorherrschend. Und wenn dann der Puntarelle auf den Markttischen dominiert, dann weiß man, jetzt kommt der Winter. Diese besondere Chicoréesorte (im Deutschen oft Vulkanspargel oder Spargelchicorée genannt) hat einen angenehm bitteren Geschmack und wird als köstlich knackiger Salat mit einem Dressing aus Olivenöl, Knoblauch, Essig und Sardellen zubereitet. Ich habe anstelle von Puntarelle jungen Blattspinat verwendet; die Sardellen-Vinaigrette passt auch zu zartem Mangold.
Der Markt ist das Herzstück der italienischen Küche. Die Rezepte in Il Mercato sind vielfältig wie das Marktgeschehen und bedienen alle Geschmacksrichtungen. Der Romanesco ist Grundlage des beliebten Pastagerichts Romanesco-Brokkoli (Broccolo Romanesco). Der Romanesco-Kopf sieht einer vorzeitlichen Echse nicht unähnlich, im Geschmack tendiert er zum Karfiol.
Jemand behauptete, dass nirgendwo auf der Welt soviel Artischocken gegessen werden wie in Rom. Diese Distelart gehört also zum wichtigsten Gemüse Roms. Von den Juden küchentauglich gemacht, sicherte ihnen diese Pflanze das Überleben. Bei uns ist dieser Korbblütler immer noch verkannt, wird wenig verwendet, dabei entfalten die Blätter und der fleischige Boden ein feines Aroma. Maria stellt zwei Rezepte vor: Einmal Gebratene Artischocken nach jüdischer Art (Carciofi alla Giudia) und dann, Artischocken auf römische Art (Carciofi alla Romana) zubereitet.
Es ist eine gemütliche Tour die uns von Viertel zu Viertel führt, von Kapitel zu Kapitel, in die Pizzeria oder in das Fünfte Viertel – Quinto quarto – wie die römische Küche auch genannt wird. Damit tauchen wir tief in die kulinarische Geschichte Roms ein, die mitunter geprägt ist von Ausgrenzung und Armut. Gerichte wie Kutteln in üppiger Tomatensauce (Trippa alla Romana) oder die berühmte Coda, ja der Ochsenschwanzeintopf auf römische Art (Coda alla Vaccinara) findet man hier ebenso wie Lamminnereien mit Zwiebeln (Coratella), ein Gericht das nur mehr in den ur-römischsten Trattorien aufgetischt wird. Coratella ist Herz, Lunge, Milz und Leber vom Lamm, das mit Zwiebeln gebraten ein Frühlingsgericht und in manch römischer Familie zu Ostern als opulentes Frühstück auf dem Speiseplan steht. Die hier aufgezählten Gerichte sind Teil der historischen Cucina romana und es muss der Autorin hoch angerechnet werden, dass sie diese im Verschwinden begriffene Küchentradition des Quinto quarto , dem fünften Viertel, vor dem Vergessen bewahrt. Denn die Carbonara oder Amatriciana oder Cacio e Pepe oder frittierte Artischocken sind junge, moderne Gerichte im Vergleich mit den sogenannten Schlachthaus-Gerichten, die zumindest in Rom eine Renaissance erleben.
Das letzte Kapitel ist der Pasticceria gewidmet. Jedenfalls ist die Konditorei für mich ein Ort des Nicht-entscheiden-könnens, zu viele Cremas warten darauf, probiert zu werden. Aber bei den Frittierten Teigbällchen (Castagnole) mache ich eine Ausnahme, denn die zuckrigen Versuchungen sind schnell zubereitet.
Mit La città eterna – Das Rom-Kochbuch von Maria Pasquale spazieren wir durch die verschiedensten Quartiere der Stadt, saugen dabei unbekannte verführerische Düfte ein, machen Rom zu einem kulinarischen Erlebnis. Dabei lernen wir Köche und Köchinnen kennen, die die Esskultur Roms pflegen aber auch weiterentwickeln. Etwa Cristina Bowerman, die einzige Sterneköchin Roms, die nach langen Jahren in den USA zurückgekommen ist, weil sie überzeugt ist, dass Traditionen geschützt werden müssen. Man muss sie aber auch wie etwas behandeln, das man pflegen kann, womit man spielen kann. Wenn sie sich nicht mit uns weiterentwickeln, sterben sie. Cristina steuerte einige Rezepte dem Buch bei. Viele Fotos verschiedenster Fotografen beleben das Kochbuch, zeigen uns Orte Roms, die wir sofort aufsuchen möchten, auch weil wir wissen, dass immer ein gutes Lokal, eine Trattoria in der Nähe ist. Eine Karte, auf welcher die wichtigsten Märkte, mit Feinkost- und Lebensmittelgeschäfte sowie diverse Restaurants, Trattorias, Street Food, Pasticcerien, Bars und Eisdielen verzeichnet sind samt Adressen, erleichtern die Orientierung in der ewigen Stadt, auf dass wir nicht verhungern müssen. Und wenn Sie schon nicht in Rom sind und Ihnen gelüstet nach Carciofi alla Giudia oder Amatriciana oder Saltimbocca alla Romana oder Filetti di Baccalà alla Romana oder Olive all’ Ascolana oder Torta di Patate e Broccoli Romani oder Cassola, so haben Sie mit La città eterna – Das Rom-Kochbuch die besten Chancen, diese Gerichte nachzukochen. Maria Pasquale hat viel über römisches Essen recherchiert, was ihr Kochbuch auch zu einem vergnüglichen Lesebuch macht. Von diesem Wissen profitieren meine Essensfreunde, wenn ich sie bspw. frage: Wie setzt sich das römische Quartett zusammen? Carbonara, Cacio e Pepe, Amatriciana und La Gricia. Und was ist La Gricia? Na, die weiße Amatriciana … und die La Gricia, die muss ich vom Herd nehmen, jetzt. Also, Bon appetit!