Oz Ben David, Jalil Dabit, KANAANDas Kochbuch

Gerichte und Geschichten aus Israel und Palästina

Fotografie von Elissavet Patrikiou
Südwest Verlag, München, 2023, 192 Seiten,  € 30.- [D] | € 30.90 [A]
ISBN 978-3-517-10223-8
Vorgekostet

Heute reisen wir nach BERLIN.

Am Penzlauer Berg betreiben Oz aus Israel und Jalil aus Palästina das Restaurant Kanaan – gemeinsam. Das heißt, mitten in Berlin existiert ein Ort friedlicher Koexistenz, eine sozialpolitische Realität, die man sich für Israel und Palästina auch wünschen würde. Zur Zeit aber, seit dem 7. Oktober 2023, als die Hamas aus dem Gazastreifen im Südbezirk einfiel und ein Massaker anrichtete und selbst Babies tötete, seit diesem Ereignis scheint ein friedliches Nebeneinander weiter denn je entfernt. Nur in Berlin nicht, an diesem Ort namens Kanaan. Der Name lässt verschiedene Deutungen zu, die von die Gedemütigten, die Verstoßenen, die Unterworfenen bis zu die Zurückgezogenen reicht. Auslegungen, die für Oz und Jalil sekundär sind. Für sie ist Kanaan ein Symbol für Hoffnung und Einheit.

Ihre Freundschaft begann mit einem Teller Hummus. Daraus wurde der weltbeste Hummus, den sie mit der Lokalgründung dann gemeinsam kreierten. Darin stecken Familiengeschichte und Esstradition ihrer beider Herkunft, behaupten sie.

Ihr Hummus Kanaan besteht aus Kichererbsen, Natron, eiskaltem Wasser, Salz, Tahini, Zitronensaft und Zucker. Ein sehr schlanker Hummus ohne Extras. Das Natron schließt die hartfaserigen Pflanzenteile schneller auf. Man kann darauf verzichten, wenn man Kichererbsen aus der Dose verwendet. Vergleicht man den Kanaan-Hummus mit anderen, so unterscheiden sie sich nur bei einzelnen Zutaten. Geben die einen eine Knoblauchzehe dazu, peppen die anderen ihn mit edelsüßem Paprikapulver und Zatar auf. Das entscheidende aber ist, gemeinsam mit anderen Menschen an einem Tisch zu sitzen, darauf eine Schale voller Hummus, in die jeder sein Brot tunkt. Ein Lebens- und Glücksgefühl steckt in dieser Geste, oder anders ausgedrückt: »Make Hummus, not war!«
Während ihrer Zusammenarbeit in der Küche sind viele neue vegetarische und vegane Rezepte entstanden, die alle geprägt sind von den Düften und Geschmäckern der Kindheit. Daraus und aus vielen Reisen nach Israel, wo die beiden Köche gemeinsam mit ihren Familien alte Familienrezepte nachgekocht haben, ist KANAAN Das Kochbuch entstanden, das im Südwest Verlag erschienen ist.

In fünf Kapiteln nähern sich Oz und Jalil ihren Kochtraditionen an, vermischen und entwickeln, um Altbewährtes und neu Inspiriertes auf den Tisch zu bringen. Im ersten Kapitel dreht sich alles um Hummus. Neben dem Hummus Kanaan servieren sie Sabich, einen Hummus, den der irakische Jude Sabich Tsvi Halabi in den 1960er Jahren erfand und dem palästinensischen Hummus Masabacha, der mit Tatbila einen Dip im Dip enthält. Tatbila besteht aus verschiedenen Paprikaschoten zusammen mit einer Chilischote, Knoblauch und Zitrone. Die Autoren merken an, dass es heute unzählige Hummus-Varianten gibt. Manche Menschen mögen ihn mit sehr viel Tahini, andere präferieren einen kraftvollen Zitronengeschmack, Knoblauchliebhaber schätzen einen scharfen und würzigen Geschmack, andere mögen es lieber feiner und dezenter. Und wie salzig darf ein Hummus sein? Auch hier gibt es zahllose Abstufungen. … Die Schönheit liegt in der Vielseitigkeit, die es jedem Menschen erlaubt, seine ganz eigenen Geschmackserfahrungen mit Hummus zu machen, bis man für sich die perfekte Mischung gefunden hat. Aber: Wie vielfältig die Geschmacksrichtungen von Hummus auch sein mögen, einige Grundzutaten bleiben immer gleich und bilden die Basis für den unverkennbaren Grundgeschmack und die cremige Textur. Rohes Tahini sorgt für die nussigen Noten, während eine Prise Salz die Geschmacksnoten verstärkt. Ein Spritzer frischer Zitronensaft bringt die ganze Mischung zum Strahlen. 

Das zweite Kapitel ist ihren Familien und damit deren kulinarischen Vermächtnis gewidmet. Essen wird in den Zusammenhang mit Kindheitserinnerungen gebracht. Dazu zählt die Rote-Bete-Suppe (35), die Oz an seine Großmutter Dalia erinnert. Die Suppe selbst ist sehr einfach, bekommt aber durch die gefüllten Grießklösschen eine besondere Note. Eine klassische Vorspeise ist der pikante marokkanische Karottensalat, ein Rezept, das Veganer-Herzen höher schlagen lässt. Zusammen mit Couscous wird es eine vollwertige Mahlzeit. Begeistert aber war ich vom Blumenkohlsalat. Es ist für einen Salat recht aufwändig, denn die Blumenkohlröschen werden mit einem Teig aus Kichererbsenmehl herausgebacken. In das Dressing kommt mit frischem Granatapfelsaft, den man übrigens leicht selbst herstellen kann, eine Brise Levante rein. Überhaupt finden sich in diesem Kochbuch gleich vier Rezepte mit Karfiol. Das eingelegte Gemüse aus Karfiol, Weißkohl, Karotten, Paprika, Gurke und Zucchini besticht vor allem durch die Aromen der Lake. Neben Kurkuma ist es Amba, eine würzige Mangosauce, für die Oz und Jalil leider kein Rezept beisteuern. Mit Amba wird auch Oz’ Sabich verfeinert. Karfiol ist auch ein Bestandteil des traditionellen palästinensischen Reisgerichtes Maqluba. Das bedeutet auf den Kopf gestellt und ist eine zeitaufwändige Kunstform. Sollten Sie dieses Gericht ausprobieren, dann ist Ihnen der Beifall der Gäste sicher. Für Jalil ist Maqluba mehr als nur ein Gericht. Es ist ein Symbol seiner Kultur und steht für Gastfreundschaft, Großzügigkeit und Liebe zu gutem Essen. Nachgebaut wurde auch die Blumenkohlsuppe. Im ersten Versuch war es mehr ein Brei und nicht überzeugend, auch mit zu viel Granatapfelkernen versetzt. Eindeutig mein Fehler. Der Rest, in einem zweiten Anlauf in einem flüssigeren Zustand versetzt und nachgewürzt, war dann ein derart grandioses Erlebnis, dass ich diese Suppe sofort meiner Familie servierte, und die ließ nichts übrig.

Kapitel drei gilt dem Freitag. Dieser Tag war immer ein besonderer, bei beiden Autoren. Vor allem, wurde an diesem Tag bei beiden Familien immer etwas Besonderes gekocht. Bei den Juden, eh klar, werden die Speisen für den Sabbat vorgekocht. Und im Islam ist der Tag des Freitagsgebets heilig. Hier hätte ich mehr Traditionelles wie den Challah shabbat, den Hefezopf, erwartet. Nein, es tauchen Gerichte auf, die zunächst gewöhnlich erscheinen. Der israelische Couscous überrascht alle am Tisch Versammelten – evoziert Ahs und Ohs ob der Farbexplosion, kaum dass die Pfanne abgestellt ist. Mit Mafroum, den gefüllten Kartoffeln, entdeckte ich ein köstliches Auflaufgericht und das Kanaan-Sandwich war der Hit bei meinen Enkeln. Zu dritt bewältigten sie kaum das Big-Sandwich, das mengenmäßig auf drei herunter gerechnet war.

Kapitel vier rückt den Markt in den Mittelpunkt allen Essens. Pures Glück für alle Sinne heißt es da. Hier kommen nun Blattspinat, Spargel, Wassermelonen, Okra, Mango und vieles mehr zum Zuge. Fenchel mit Joghurt war eine Entdeckung, denn so hatte ich dieses Kraut noch nie gegessen. Und die Joghurtkäsebällchen lassen das Ziegenjoghurt hoch leben. 

In Kapitel fünf werden Feste gefeiert, wie sie fallen. Ob Hochzeit oder Großmutters Geburtstag, it’s Partytime und die Abende vor dem Fest verwandeln die Küchen zu Werkstätten, in welchen über Stunden Pasteten, süße Kekse, Taboulehs mit und ohne Früchten sowie Mezze-Gerichte aller Art zubereitet werden. Die Teignester mit Auberginenfüllung demnächst auszuprobieren, habe ich mir vorgenommen. Auch um mir zu beweisen, dass die Bandbreite an Rezepten mit Auberginen fast unendlich ist. Am Ende dieser Lektion aber serviert uns das Autorenduo vier Cocktails und es fällt verdammt schwer, sich für einen zu entscheiden. Was wählen Sie? Grapefruitsorbet-Cocktail oder Arabischer Kaffee-Cocktail oder Rote-Bete-Rose-Drink oder Israelischer Mojito?

Ganz am Ende aber verhilft ein ausführliches Zutatenregister, jene Gerichte auszuwählen, für die man die passenden Zutaten im Hause hat.

KANAAN Das Kochbuch von Oz Ben David und Jalil Dabit vermittelt auf erfrischend quirlige Weise, ideenreiche Rezepte der Levante-Küche. Manche Gerichte werden aus zwei Blickwinkeln nicht nur betrachtet sondern auch erkocht. Wunderbar fotografiert von Elissavet Patrikiou, die es versteht neben den Speisen auch die beiden sympathischen Bartträger Oz und Jalil ins rechte Licht zu rücken. KANAAN Das Kochbuch ist aber auch ein Symbol für das schier Unmöglliche, nämlich Freundschaft und Frieden zwischen Israeli und Palästinenser. Wie das geht? Der Wahlspruch von Oz und Jalil lautet: »Hummus überschreitet Grenzen und gehört allen Menschen, wo immer sie leben mögen oder woher sie kommen.« Das leben sie und das trifft meines Erachtens auf all ihre Gerichte zu.