Marinella Sammarco, Natascha Ziltz, Echt sizilianisch kochen

Ich zeige euch wie!

Fotos von Valerie Hammacher
Becker Joest Volk Verlag, Hilden, 2021, 224 Seiten, zum Preis von 29,95 Euro (D) | 30.80 Euro (A)
ISBN 978­-3-­95453-­203-­2
Vorgekostet

Heute reisen wir nach SIZILIEN.

Überwältigend schön, gewalttätig, Schmelztiegel, das alles ist Sizilien. Eine Insel voller Vielfalt und Widersprüche. Auf ihr haben über die Jahrhunderte verschiedenste Volksgruppen gelebt, Griechen, Araber, Juden, Spanier … Diese multikulturellen Spuren sind heute noch zu sehen, vor allem auf Palermos großen Märkten. Der Mercato Ballero ist für die palermitanische Schriftstellerin Alli Traina wie eine Landkarte, jede Straße führt in ein anderes Land. In der einen geht es nach Afrika, in der anderen nach Indien. Ein Spaziergang führt die Besucher auf alle Plätze und damit auch in alle Küchen der Welt.

Sizilien wurde vielleicht auch deshalb als die Heimat der Gastronomie betrachtet. Vom Griechen Athenaios – der um 300 vor Christus lebte – wissen wir von einem eleganten sizilianischen Thunfischrezept. Der Fisch wird in Feigenblättern mit wenig Majoran, ohne Käse und Fett gebeizt und auf Kohlen gegrillt. Die Athener benutzten und schätzten sizilianische Kochbücher, weil diese Küche ohne Übermaß an Zutaten und überflüßigen Substanzen und ohne Massen von Fett auskommt. Diese Einstellung ist heute wieder modern und eine glühende Verfechterin davon ist die sizilianische Köchin Marinella Sammarco. In ihrem im Becker Joest Volk Verlag erschienenen Kochbuch Echt sizilianisch kochen zeigt sie uns, wie das geht.

Marinella ist Autodidaktin. Wie Kochen funktioniert hat sie von ihrer Großmutter Maria und ihrem Mann Angelo gelernt. Und im gewissen Sinne auch von den Deutschen, denn die lieben italienische Küche mit viel Sahne. Ein No Go für Marinella, die Nonnas sizilianische Landküche als Kind wie Muttermilch aufgesogen hat. Deshalb können wir fast sicher sein, dass in diesem Kochbuch kein Gericht mit Sahne verfeinert wird.

Inhaltlich geht die Autorin zweigleisig vor. Da ist zum Einen der Erzähl-Strang, der primär das soziale Sizilien beleuchtet. In kurzen Berichten – die gleichzeitig die Kapitel thematisch einleiten – beschreibt die Autorin ihr Leben, das von ihrer Familie und ihrem Verhältnis zur Insel sowie ihre Einstellung zum Kochen und den dazugehörigen Ingredienzien – also von den Kräutern, der Pasta, dem Wein, Marmelade und Pistazien. Dem gegenüber stehen die Rezepte. Geordnet nach der typischen italienischen Menüeinteilung: von Antipasti, Primi und Secondi Piatti bis Dolci. Aber, und das ist eine Geste der Wertschätzung sizilianischer Küche, die Autorin unterscheidet zwischen traditionellen und innovativen eigenen Rezepten. Einem Motto gleich, lautet dabei Ihre eiserne Grundregel: wenige Zutaten verwenden, dafür aber die richtigen. Und dass Kochen Spaß machen soll, also keine komplizierten Rezepte, was ihr mehr ist als nur ein Anliegen. Das ist doch eine klare Ansage, oder? Im Grunde genommen genügen Marinella drei Zutaten, die immer vorrätig sein sollen: Hartweizennudeln, Olivenöl und Tomatensauce. Und das ist bereits die halbe Miete für Pasta alla Norma, das wohl berühmteste sizilianische Nudelgericht. Ein Koch im 19. Jahrhundert war von Bellinis Oper Norma so begeistert, dass er ihr dieses Gericht widmete. Nicht ohne Nationalstolz wie gemunkelt wird, was die Farben der Zutaten bezeugen sollten. Auberginen symbolisieren die Lava des Ätna, und der Ricotta den Schnee auf den Hängen des Vulkans. Naja, wenn man vor dem Teller sitzt und der Dampf der Pasta aufsteigt, dann denkt man nicht mehr an Siziliens heißen Berg, sondern schlägt einfach zu und genießt. Die Pasta wie das Brot dürfen im Leben eines Sizilianers nicht fehlen. Die Nudeln kamen mit den Arabern ins Land. Trabia, eine kleine Stadt zwischen Palermo und Cefalu, ist die Wiege der Pasta, von dort aus eroberte sie Italien und Europa. Ytria hießen die Fadennudeln aus Hartweizengrieß, die zum Exportschlager wurden. Im Laufe der Jahre erarbeitete jede Region ihre eigene Nudelform. Marinella serviert uns mehrere Pastagerichte, die überraschen. Pasta mit Blumenkohl  ist ein traditionelles Gericht sizilianischer Bauern, die anstelle des teuren Käse Semmelbrösel über die Pasta streuten. Mein Enkel Jakob begeisterte sich für die Pasta ´ncasciata, ein Nudelauflauf mit Auberginen, Erbsen und Faschiertem. Was haben wir beim Essen gelacht, weil er immer wieder versuchte, Pasta ´ncasciata auszusprechen, was ihm wie auch den Erwachsenen nicht wirklich gelang.

Die Araber brachten neben Reis und Zucker auch Couscous nach Sizilien. Das Gericht Couscous mit Orangen-Garnelen und Pistazienpesto  könnte man genauso mit Nudeln machen, aber mit den Weizenkügelchen schmeckt es unvergleichlich besser. Und auch die Arancini  gäbe es vermutlich ohne die Muselmanen nicht. Marinella füllt die Reisbällchen mit Hackfleisch, Erbsen und Käse. Es gibt unzählige Variationen, die in fast jeder Bar zum fixen Inventar gehören wie die Cornetto con Crema.

Die sizilianische Küche ist kosmopolitisch und sehr gemüsefreundlich. Der Auberginenauflauf  ist eines von mehreren Gerichten, in der die Eierfrucht der Hauptdarsteller ist. Und wenn Marinella kein Timballo-Rezept zur Verfügung stellt, so ist das nicht so schlimm. Denn die süßsauren Auberginen, besser bekannt als Caponata, lassen alles vergessen und können als Vorspeise oder Hauptgang genossen werden. Hier rentiert es sich, mehr zuzubereiten, die Caponata hält sich im Kühlschrank gut 2, 3 Tage. Dann schmeckt sie sogar noch besser.

Bei den Kräutern angelangt, erfährt man, dass diese für Marinella das ABC in der Küche sind. Sizilien schüttet im Sommer das Füllhorn aus, Wildkräuteraromen hängen über der Macchia, wenn sie nicht gerade vom Gestank des Mülls, der an den Straßenrändern herumliegt, übertüncht werden. Der Autorin Lieblings-Pasta enthält Wilden Fenchel, und wenn der nicht zur Hand ist, dann Estragon, die Diva unter den Kräutern. Letzterer ist bei uns fast in Vergessenheit geraten, dabei passt sein süßes und zugleich würziges Aroma gut zu Fisch und Huhn. Fenchel, aber kein wilder, ist die Hauptzutat für Insalata siciliana con gamberi e capesante, also einen Fenchelsalat mit Meeresfrüchten und einer Orangen-Balsamico-Essig-Reduktion. Wer gerne Salat isst, dem werden Marinellas Dressings große Freude machen. Im Angebot sind ein Granatapfel-Orangen-Dressing eine Weinreduktion mit Himbeeren und Ingwer  und eine Apfel-Kurkuma-Emulsion, für die sie einen Süßwein aus Pantelleria verwendet. Bei mir kam ein friulanischer Wein zum Einsatz. Überrascht war ich, wie gut diese leicht karamellige Emulsion zu Blattsalaten passt. Auch, wie viel Liter an Tomatensauce die Autorin Jahr für Jahr produziert. 60 Flaschen à 750 ml, und das nur, damit an kalten Wintertagen der Geschmack sonnengereifter Tomaten in das Essen kommt. Das heißt, so gut wie in jede Pasta. Nur für die Pasta fredda con tonno  werden Kirschtomaten halbiert, mit Kapern und klein gewürfeltem Thunfisch kalt serviert. Empfehlenswert: An heißen Tagen kann dieses schnelle Gericht bereits am Vortag zubereitet werden, damit das Ganze besser ziehen kann.

Die Schwertfisch-Rouladen  sind ein traditionelles Secondi piatti-Gericht. Ich habe sie in der Nähe von Cefalù gegessen und war begeistert, auch wie sie angerichtet waren. Auf einem Karottencremebett, dazu hauchdünne, gegrillte Zucchinistreifen mit Tupfern von Granita. Was war ich froh, das Rezept der Involtini di pesce Spada  in diesem Kochbuch zu finden.

Was wäre Sizilien ohne Dolci? Nichts! In jeder Bar warten zig Cornetti, wie die Croissants in Italien heißen, gefüllt oder vuoto, darauf, zum Espresso verzehrt zu werden. Die Sizilianer sind Naschkatzen. Aber auch ich komme an den Canolli, eine Art Schaumröllchen, die mit zart-schmelzendem Ricotta gefüllt sind, nie vorbei. Die Canollo a modo mio  sind eine Neuinterpretation besagter Canolli. Ein Türmchen aus Schichten; Teigplatten und Füllung wechseln sich ab, sodass man den Turm bequem aufbauen wie auch Stockwerk für Stockwerk essend demontieren kann. Ein wahrlich genussreiches Vergnügen. Mehr als eine Versuchung wert waren die Mandelkekse  (Pasta di mandorle). Man glaubt es kaum, dass hinter diesem fluffigen Eiweißgebäck so ein einfaches Rezept steckt.

Sizilien ist berühmt für seine Weine und Trauben, seine Pistazien, Pfirsiche und Zitrusfrüchte. Die Orangencreme, hier als Teil des „Herbst in Sizilien“-Desserts, kann auch solo genossen werden oder als Fruchtaufstrich auf sizilianischem Sesambrot. Das Brot aus Weizengrieß und -mehl war so krachend gut, dass es innerhalb kürzester Zeit aufgegessen war.

Mit der Marmelade kommen bei Marinella Kindheitserinnerungen, wie sie beim Einkochen den Erzählungen von Oma Maria lauschte. Die Autorin gesteht, dass sie Marmelade am liebsten zusammen mit Käse genießt. Ich auch. Die Feigenkonfitüre (Confettura di fichi) ist nicht allzu süß, wie man vielleicht erwartet, und schmeckte allen. Warum die Feigen geschält werden sollen, erschließt sich mir nicht wirklich. Kleingeschnitten bewahren sie etwas Biss. Schade, dass die Autorin kein Rezept mit der auf der Insel allgegenwärtigen Kaktusfeige vorlegt. Darüber hätte ich mich sehr gefreut. Dafür entschädigt gewissermaßen der Buccellato, ein Winterkuchen mit getrockneten Feigen und Mandeln. 

Echt sizilianisch kochen von Marinella Sammarco und Natascha Ziltz ist ein Leckerbissen unter den Kochbüchern der mediterranen Küche. Einmal, weil die Rezepte einfach und eine ausgewogene Mischung traditioneller und moderner Alltagsküche repräsentieren. Zum anderen vermittelt uns dieses Kochbuch mit seinen Erzählungen und prächtigen Fotos von Valerie Hammacher ein Sizilienbild, das Sehnsüchte weckt. Reisewünsche, die wir Corona- und entfernungsbedingt nicht so leicht erfüllen können. Aber wir können uns den Aromen Siziliens kochend und genießend annähern; deshalb muss ich nun Schluss machen. Eine Rotbarbe wartet heiß darauf, mit Orangenreduktion, Büffelmozzarella und gerösteten Mandeln  in den Ofen geschoben zu werden.