Conny Pipal, Zu Gast in Kitzbühel

Sehnsuchtsorte, Originalrezepte und Geheimtipps

Mit Fotos von Jan Hetfleisch
Callwey Verlag, München, 2021, 208 Seiten, 45.-- Euro
ISBN 978-3-7667-2525-7
Vorgekostet

Heute reisen wir nach KITZBÜHEL.

In die Gamsstadt, die sehr früh ihr touristisches Potenzial erkannte und sich von einem verschlafenen Bergdorf zu einem angesehenen Wintersportort vor allem des Geldadels mauserte. Persönlichkeiten wie Uschi Glas, Franz Beckenbauer und andere sind von der Schönheit der Landschaft und der Stadt Kitzbühels so angetan, dass sie sogar ihren Wohnsitz hierher verlegten. Die Kitzbühler Alpenralley und sportliche Großereignisse wie das Generali Open Tennis oder das geschichtsträchtige Hahnenkammrennen verleihen der Stadt darüberhinaus ein Image des Sports und Lifestyle, locken so viele Touristen, Jetsetter und Adabeis in die Region. Gäste, viele Gäste, müssen untergebracht und verköstigt werden. Dass in Kitzbühel der Begriff Gastfreundschaft nicht als Worthülse verstanden, sondern als Symbiose von Gast und Freundschaft gelebt wird, ist sich dessen Bürgermeister Klaus Winkler sicher und schiebt eine Zahl hinterher: 900.000 Nächtigungen pro Jahr. Na gut, da muss niemand auf der Straße nächtigen, aber wie schaut es mit Essen aus? Conny Pipal, die Chefredakteurin des Magazins „Die Kitzbühelerin“ hat sich diese Fragen auch gestellt, recherchiert und ihre Antworten in einem Buch über Sehnsuchtsorte, Originalrezepte und Geheimtipps zusammengetragen. Zu Gast in Kitzbühel ist im Callwey Verlag erschienen.

Auf zwei Ebenen führt die Autorin ihre Alpenstadt vor. Das sind zunächst verschiedenste Ortsbeschreibungen, Zentren des sozialen Lebens und der Einkehr. Der Bezirk Kitzbühel kann mit 15 Haubenlokalen aufwarten. Den zweiten Zugang bilden dann die Gerichte die auf Almhütten, in den Bergstationenrestaurants, in umgebauten Stadeln, noblen Gourmettempeln, einfachen Speiselokalen und urigen Wirtshäusern angeboten werden. Da ist das Spektrum breit gefächert: vom einfachen Spinatknödel bis zur Sternenküche eines Jürgen Kleinhappl, der im Restaurant Neuwirt Im Heu geräuchertes lauwarmes Bio-Eigelb mit Kartoffelpüree und Sellerie-Zwiebel-Butter auftischt. Die Bandbreite der vorgestellten Gerichte entspricht den kulinarischen Angeboten Kitzbüheler Küchen. Vom einfachen Moosbeerschmarrn bis zum anspruchsvollen Hirschrücken mit lila Blumenkohlpüree und Kräuterseitlingen, alles ist vertreten. 

Der Einstieg beginnt am Kitzbüheler Horn, wo sich das gleichnamige Alpenhaus sanft an den Hang schmiegt. In vierter Generation wird dort auf 1670 Meter Seehöhe aufgekocht, darunter, der schon erwähnte Spinatknödel. Interessanterweise wird hierbei Blattspinat mit Rahmspinat zu gleichen Teilen in die Knödel hineingearbeitet. Ebenfalls auf dem Berg, diesmal aber auf dem Hahnenkamm, ist das Berghaus Tirol. Alfons Waldes letztes architektonische Projekt. Der Maler, der seine Liebe zu seinem Lebensraum in unzähligen Bildern festhielt, wäre wohl überrascht, wie sehr sich das Konzept des einfachen Berghauses mit dem Kulinarischen verbündet. Hier verzaubert ein würzig-rauchiger Duft die Forellen aus dem Gebirgsbach zu besonderen Geschmackserlebnissen. Buchenholzspäne machen es möglich.

Conny Pipal beschränkt sich nicht nur auf die Präsentation renommierter Lokale samt kulinarischer Highlights, sondern stellt auch jene vor, die erst Gemeinschaft ausmachen. Dazu zählen bspw. die Biobäuerin, der Immobilienmakler oder die Bücherklause, der Hofladen in Maurach wie auch diverse Geheimtipps, vom Markttag über das Sommertheater bis zur Einsiedelei mit der Wallfahrtskapelle. Nicht fehlen dürfen auch Originale wie die Lisi Schipflinger vom Hahnenkammstüberl. Sie erzählt von Arnold Schwarzeneggers Besuch und Begehr nach einem Stück Apfelstrudel. Nicht verrät sie uns, wie die Geschichte ausging, dafür aber, wie sie den Kaiserschmarrn zubereitet. Ob Lisi mit Rosi Schipflinger von den Sonnbergstuben verwandt ist, erfahren wir auch nicht. Aber aus der Boulevardpresse und durch dieses Alpenstadt-Kochbuch schlussfolgern wir, dass Rosi weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist als jodelnde Wirtin. Ihre Gäste verwöhnt sie gerne mit einem Ständchen: „So trage ich die Lebenslust und die Weisen der Kitzbühler Alpen hinaus in die Welt.“ Und während die Chefin ihre Stimmbänder zum Schwingen bringt, servieren die Kellnerinnen derweilen Rosis Bauernente mit Semmelknödel.

Raffiniert, fast schon reduktionistisch, ist die Österreichische Kalbsbacke mit Sellerie, Eierschwammerln und Wiesenkräutern. Im Hotel Grand Tirolia wird dieses Gericht von einem Küchenmeister namens Koch serviert. Hier wird selbst Gesammeltes, alles was in Wald und Wiese wächst, zu kulinarisch Spitzfindigem verarbeitet. Ein Import dagegen ist Signore Rossis Nudelgericht nach Großmutters Rezept. In ihrer Zusammensetzung eine Lasagne con Ragù alla Bolognese und bestes Mittel gegen Heimweh für die italienischen Gäste. Ein Gericht, das aber auch den Einheimischen hervorragend mundet. 

Die Daumnidei mit Sauerkraut und Apfelkompott sind echte österreichische Wirtshausküche und werden im Gasthaus Mocking zubereitet. Nein, hier mokiert sich niemand über die Landhausküche, im Gegenteil. Der Jungwirt Martin Huber will Gerichte nicht neu auslegen, aber in die Tiefe gehen. Zurück zum Ursprung, so wie früher gekocht wurde. Auf dem Speiseplan steht Unverfälschtes und Hausgemachtes, Rostbraten neben Buchteln und Kürbisknödel. Die Daumnidei ähneln den italienischen Gnocchi bzw. Kartoffelpaunzen. 

Zu Gast in Kitzbühel ist Kochbuch und Restaurantführer in einem. 40 Häuser der guten Küche werden vorgestellt, inklusive Lieblingsrezepte der Küchenchefs. Ein Wohlfühlbuch ohne kritischen Unterton, mit vielen tollen stimmungsvollen Fotos von Jan Hetfleisch. Mit diesem Buch durchwandern wir die sonnige Kitzbüheler Innenstadt bis hinauf in die gebirgigen Regionen und erfahren dabei fast nebenbei, was an lokalen Genüssen auf den Tisch kommt. Hier bestätigt sich das Sprichwort: Das Universum trifft sich in Kitzbühel.