Michaela Fuchs, Finnland. Das Kochbuch

Wohlfühlrezepte aus dem glücklichsten Land der Welt

Mit Fotos von Michaela Fuchs
Christian Verlag, München, 2025, 240 Seiten, [D] 30.90 Euro
ISBN 978-3-95961-951-6
Vorgekostet

Heute reisen wir nach FINNLAND.

Sofi Oksanen und Marjaana, Letztere ohne Nachnamen, sind Finninnen. Beide vereint ihre Verbundenheit, Zugehörigkeit zu diesem Nordland wie auch ihre Mentalität und Freude an finnischem Essen. Während Sofis Leben geprägt ist von ihrer Bulimarexi, also Essattacken und Kontrollverlust bei der Nahrungsaufnahme, was sie auch in ihrem Roman Anna ausführlichst beschreibt, ist die finnische Esskultur für Marjaana ein Stück Heimat in der Fremde. Letztere hat es nach Tirol verschlagen. Ihre Wohnung ist angefüllt mit Erinnerungstücken, vor allem Landschaftsbildern, die die Weite dieses seenreichen Landes hervorheben, ergänzt um alte Porträts, die Suomi ein Gesicht verleihen. Marjaana habe ich besucht, um ihr Finnland. Das Kochbuch zu zeigen und zu erfahren, was sie davon hält. Gleich vorweg, der Wiedererkennungswert der von Michaela Fuchs beschriebenen Gerichte war hoch und Marjanas Kommentare zu manchem Rezept äußerst aufschlussreich. Erstaunlicherweise fällt kein Wort über die Estonia, das Fährunglück vor der finnischen Insel Utö. Zu sehr taucht Marjaana in die Vergangenheit ab, durchforstet Kindheitserinnerungen, verweilt gedanklich bei frühen Lieblingsessen. Verzückt fast schweift sie zu den unbeschwerten Tagen des Beeren- und Pilzesammelns im Wald, wie sie nach der Schule für ihre Katze Fische fing oder Surappi (Sauerampfer) sammeln musste. Eine glückliche Kindheit war das und Michaela Fuchs bekräftigt das indirekt, attestiert, dass Finnland das glücklichste Land der Welt sei. Naheliegend, dem auf den Grund zu gehen und die Wohlfühlrezepte einer Nordnation dem wissbegierigen und hungrigen Publikum im Süden vorzulegen.
Finnland. Das Kochbuch orientiert sich an den Jahreszeiten, was auch der Kapiteleinteilung entspricht. Innerhalb dieser werden darüberhinaus Geschichten von Volksfesten, kulinarischen Spezialitäten wie auch volkskundlichen Gegebenheiten erzählt.
Einleitend klärt Fuchs auf, welche Einflusssphären über Jahrhunderte das Land soziokulturell und auch kulinarisch prägten. Im Mittelalter war es Teil des Königreichs Schweden bis 1809 hinauf, dem auch für Tirol schicksalshaften Jahr. Nur wurden damals die Finnen zu Leibeigenen des Zarenreichs und die Tiroler von den Franzosen besiegt. Ich wüsste aber nicht, welche kulinarischen Auswirkungen sich im Alpenland daraus ergeben hätten. Keine, vermute ich. Während in Finnland sowohl die Schweden mit ihren Garmethoden und dem Räuchern Einfluss nahmen, als auch der Osten seinen kulinarischen Tischabdruck hinterließ: Aus dem karelischen Raum und vom Baltikum herauf drängen Gerichte wie Borschtsch, Piroggen, Aufläufe und Pasteten, das heißt, sie veredeln die bis dahin schwedisch orientierte Kost der Finnen. Natürlich kommen auch regionale Entwicklungen dazu. So ist Lappland, der Norden Finnlands, nicht nur ein Land der Extreme, sondern auch der Samen, einer indigenen Volksgruppe, die Rentiere züchtet. Hier kommt das Rentierfleisch ins Spiel, geräuchert, geschmort oder verwurstet, während an Küsten und Seen Felchen und Lachse dominieren. Am Ende dieses kulinarischen Reigens steht die neue skandinavische Küche, die in Helsinki und anderen finnischen Großstädten wie Espoo oder Tampere innovativ gelebt wird. Das wichtigste aber ist die Frische der Zutaten, die erst dieses Gefühl von Wärme und Vertrautheit vermitteln, bekennt die Autorin, die ihre kulinarische Exkursion immer wieder zu den traditionellen Rezepten zurückführt. Also folgen wir ihrem Essenstrip! Der beginnt mit Rezepten für die Vorratskammer, denn wer lange Winter hat, lebt den Sommer intensiver. Preiselbeerkompott, Schwarzer Johannisbeersaft, Apfelkonfitüre, Finnischer Senf, Salzgurken und getrocknete Pilze sind ein kleiner Ausschnitt und stehen zur Disposition, wollen vorrätig angerichtet sein.
Schon stürzen wir uns ins Frühlingsgetümmel mit etwas Ungewöhnlichem, nämlich Rhabarbercreme, einem Frühstücksbrei. Ein Gemüse, das man in Finnland nicht unbedingt vermutet, dabei wächst es mittlerweile so gut wie in jedem finnischen Garten. Breie hingegen gehören seit urdenklichen Zeiten zum Frühstück, allerdings ungezuckert. Das Rhabarber-Porridge wäre zu sauer ohne Zucker, deshalb ausnahmsweise zuckern! Herzhaft dagegen sind die Hechtfrikadellen mit Eiersauce. Der Raubfisch kann das ganze Jahr über gefangen werden, mittlerweile braucht es dazu aber auch in Finnland eine Angelgenehmigung. Da Hechtfleisch relativ wenig Fettgehalt hat, somit recht trocken ist, werden die Klopse mit Sahne geschmeidig und fallen so nicht auseinander. Ein anderes Frühlingsgericht, das in unseren Breitengraden immer noch unterschätzt wird, ist die Brennnesselsuppe. Hier werden die Brennnesselblätter in einer Mehlschwitze und viel Milch aufgekocht. In anderen finnischen Rezepten werden die zarten Blätter eigens ganz langsam in Wasser gekocht, um sie dann mit einer Hühnerbrühe und weißer Sauce zusammenzuführen. Übriges Brennnesselwasser wird zum Verdünnen der Suppe aufbewahrt. Brennnesseln sind sehr intensiv im Aroma und daher nicht aller Liebling, aber sie sind sehr gesund.
Es folgen weitere Rezepte wie Dillfleisch, Lachs-Kartoffel-Auflauf, Sommerheringe, Löffelplätzchen und natürlich der legendäre Pfefferkuchen, der hier nicht fehlen darf. Der Schmäh natürlich, im Pfefferkuchen ist kein Pfeffer drin. Dafür Ingwer, der den Guineapfeffer ablöste, der bis Anfang des 19. Jahrhunderts im Kuchen vorkam. Zum Zucker gesellt sich noch dunkler Sirup, andernorts kommt Kardamom rein, hier wird er durch den Abrieb von Pomeranzenschalen vertreten. Unisono ist die kurze Backzeit, sonst würden sich die Pfefferkuchenmänner Hände und Füße verbrennen. Viele der Rezepte sind nordische Klassiker wie das Malzbrot, der hausgemachter Frischkäse oder der karelische Fleischtopf, wahrscheinlich auch die gerollte Brottorte mit Krabbenfüllung wie auch die Wildente mit Johannisbeersauce. Andere Rezepturen bekamen einen modernen Anstrich, bspw. der Rentier-Kebab im Fladenbrot. Ausführlich widmet sich die Autorin den Karelischen Piroggen mit Eibutter, denn das Falten des Teiges nach innen zu einem Schiffchen will gelernt sein und kann am besten mit einer Fotostrecke gezeigt werden. Für die Zimtschnecken dagegen genügen vier Fotos, um die markanten Arbeitsschritte nachzuzeichnen.
Eingestreut sind – wie schon erwähnt – Geschichten über Feiertage, Feste sowie Volkskundliches, aber auch über Finnlands Blüte-Monate. Darüberhinaus wird den kulinarischen Schätzen in Küchen und Markthallen breiten Raum gegeben. Alle zusammen zeichnen ein liebenswertes Land. Wussten Sie, dass am Ostersonntag Kinder als Hexen verkleidet von Tür zu Tür ziehen und virpen, d.h., glücksbringende Sprüche aufsagen. Sie bekommen dafür natürlich Süßigkeiten. Traditionell isst man am Karfreitag Mämmi mit Sirup, ein bei Alt und Jung beliebter Malzbrei. Am Ostermontag wird der Lammbraten aufgetischt und danach Quarkpudding. Michaela schlägt die Lammkeule Särä-Art vor, ein Braten mit viel Wurzelgemüse, der mit sehr reduzierter Ofentemperatur gebacken wird . Als Nachtisch folgt Pasha, eine Oster-Quarkspeise in Pyramidenform. Ich verwendete Puddingformen. Im Pasha sind Trockenfrüchte und vor allem Rosinen. Rosinen wie auch Dörrzwetschgen lieben die Finnen, kann man aus vielen Süßspeisen rausklauben. So auch im Milchreis der in einer Trockenobstsuppe serviert wird. Zu Weihnachten wurde bei Marjaana zu Hause im Milchreis eine Figur versenkt und ähnlich wie beim Dreikönigskuchen, durfte die Person, die in ihrem Teller die Figur fand, einen Tag lang König sein. Mich hingegen macht Lohikulibjaka glücklich. Diese Lachspastete ist der russischen Kulebjaka sehr ähnlich. Nur verwendet Michaela keinen Langkornreis, sondern Rundkornreis oder Graupen und anders als in Samarkand fehlen die Champignons gänzlich. Dennoch ist diese Kulebjaka für alle, die sie bei mir kennenlernten, ein besonderes, ein Wohlfühlessen.
Aki Kaurismäki, der finnische Filmemacher ist, solange Vögel fliegen, er einen Schmetterling sieht, glücklich. Ein gut geschriebener Satz in einer Geschichte, ein Bild von Guiseppe Velasco machen ihn glücklich. Finnland. Das Kochbuch ist gut geschrieben, ausgestattet mit heimelig anmutenden Rezepten und Foodfotos die Gusto machen, sie nachzukochen. Da spielt es keine Rolle, wenn sie immer Milchreis schreibt und Rundkornreis meint. Michaela Fuchs ist Deutsche, die glücklich ist, weil sie weiß, dass sie immer wieder nach Finnland fahren wird. Ihre Fotomotive spiegeln die Weite der Landschaften, zeigen kulinarische Schätze aus Wäldern und Seen, Blumenmeere und zufriedene Menschen – ein glückliches Finnland. Perfekt wird dieses Bild, wenn dann das finnische Essen dampfend auf dem Tisch steht. Dann dürfen wir auch glücklich sein und reinhauen …
Hyvää Ruokahalua! Guten Appetit!