Heute reisen wir nach PORTUGAL.
Wir besuchen Lissabon, die Stadt des Lichts und des Fado. Fahren mit der 28er, der legendären gelben Tram, die fast nur von Touristen besetzt ist. Wir queren ratternd die City, starren staunend durch die große Scheibe auf die vorbei huschenden geschichtsträchtigen Bauwerke. In der Oberstadt steigen wir aus, eilen zum alten Aufzug Santa Justa, der den oberen mit dem unteren Stadtteil verbindet. Dann weiter durch verwinkelte Gassen zum Padrao dos Descombrimentos, dem Entdeckerdenkmal. Am Platz vor dem Monument zeigt ein Marmormosaik die Weltkarte, in das die Handelsrouten und portugiesischen Kolonien eingemeißelt sind. Von hier sind Vasco da Gama, Heinrich der Seefahrer und andere Eroberer aufgebrochen, neue Seewege zu erschließen und schrieben damit Weltgeschichte. Zurückgekommen sind sie mit Edelmetallen, Pelzen, seltenen Hölzern und Gewürzen. Viele sind in der fernen, neuen Heimat geblieben. Noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind tausende Portugiesen in die Welt ausgezogen, um der Armut zu entkommen. Hauptziele waren Brasilien, USA, Kanada, England, ehemalige portugiesische Kolonien und Südafrika. 1955 bricht Senhor Jardim nach Johannesburg auf. Von Heimweh geplagt und aus Sehnsucht nach seiner Familie, die in einem Dorf in der Algarve lebt, schreibt er Briefe nach Hause. Darin erzählt er vom Alltag, seinem Leben und häufig auch von einer ungewöhnlichen Mahlzeit, bestehend aus „zwei Scheiben Brot mit Blattsalat und Tomate in der Mitte“. Noch ahnt die Tochter Mimi nicht, dass das Sandwich nur eines von zahllosen neuen Gerichten und Aromen ist, die ihr in der Fremde mit der Zeit ans Herz wachsen würden. 1957 bricht die 14jährige mit ihrer Mutter und Schwester nach Südafrika auf. Vielleicht fühlte sie am Ufer des Tejo, als sie das Schiff bestieg, das was die Seefahrer gefühlt hatten: das Meer in sich und die einsamen Sterne. Weg von zuhause, unendlich weit. In ihrer neuen Heimat beginnt sie eine Hauswirtschaftslehre, lernt Kochen, das ist der Beginn einer Laufbahn als Lehrerin. Sie ist 23 Jahre alt, als sie Augusto heiratet, mit dem sie nun über 50 Jahre zusammenlebt und vier Kinder hat. Und immer war da ihre Begeisterung für die gute portugiesische Küche. Das hat sie wohl von Großmutter Avózinha, die ihre Enkelinnen überzeugte, immer frische, perfekt gereifte Zutaten zu verwenden. Kochen und essen wurde zur Leidenschaft. War für Fernando Pesoa die portugiesische Sprache Heimat, so ist es für Mimi Jardim die portugiesische Küche. Das Jahr 1992 bringt Mimi einen Einschnitt in ihrem Leben als Kochlehrerin. Der südafrikanische Meisterkoch Robbie Brozin engagiert sie als Köchin, sie soll seinen Gästen die portugiesisch, jüdische Küche nahe bringen. Sie wird berühmt, kocht seit einem Vierteljahrhundert immer noch mit Begeisterung ihre Heimatküche. Mit zunehmendem Alter ist ihr Leben zwar ruhiger geworden, aber bei allem, was mit Essen zu tun hat ist sie immer noch sehr leidenschaftlich dabei. Jetzt lässt Mimi Jardim uns an ihren kulinarischen Kreationen teilhaben und veröffentlicht die Rezepte ihres Herzens. Ihr Kochbuch Mein portugiesisches Fest ist im Sieveking Verlag erschienen.
In neun Kapiteln nähert sich die Autorin den typischen Aromen und besonderen Geschmacksrichtungen der portugiesischen Küche. Eng miteinander verwoben sind Essen, Familie, Freunde und Feste, wie die Kapitelüberschriften zeigen. Die heißen: Typisch Mimi, A Familia, Volle Energie, Freude, Schnell & einfach, Zeit haben, Gemeinsam feiern, Eindruck machen. Das letze ist Entdecken, worin sie jene Rezepte versammelt, die inspiriert wurden von ihren kulinarischen Entdeckerreisen rund um die Welt. Mimi ist Kosmopolitin, die gerne über den sprichwörtlichen Tellerrand schaut.
Gehen wir es an: Klassisch und gleichzeitig persönlich sind die Rezepte, die die Köchin häufig zubereitet also Typisch für sie sind. So steigen wir ein mit Baisers, ein Willkommensgruß, den Mimi Jardim ihren Gästen bei sich zu Hause immer anbietet. Die leichten Windgebäcke erinnern mich an spitze Berge mit Tiefschneehängen und Wedelspuren darin. Ein luftiges Schaumgebäck, das keine Chance hat, alt zu werden. Mehr Mehl und somit Masse enthalten die Zuckerplätzchen, diese werden idealerweise zum Chai-Tee serviert. Wir trinken heute ausnahmsweise Annas Eistee, einen Longdrink aus gesüßtem Schwarztee, der mit Apfelsaft und Eiswürfel aufgepeppt, aber nicht ohne aromatisierendes Beiwerk aus Orange und Pfefferminze angeboten wird. Die Plätzchen, macaronähnliche Verführer, schmecken vorzüglich, auch dann noch, wenn man etwas weniger Zucker verwendet als angegeben. In diesem Typisch-Mimi Kapitel sind jene Rezepte versammelt, die immer mit der Köchin in Verbindung gebracht werden. Da wären noch Mimis Hähnchen, ein Pfannengericht, das schwer begeistert und zum Wiederholungsfall wird. Aber auch der Stockfisch in Sahnesauce zählt ob seiner wunderbaren goldbraunen Kruste, nachdem er im Ofen gebacken wurde, zu den top Favoriten. Ein Gericht mit Symbolcharakter für das üppige Portugal, mehr geht fast nicht. Oder doch? Der Königskronenkuchen bspw., ein Überläufer aus Frankreich. Farbenfrohe Trockenfrüchte zieren sein Haupt. Jardim ist über die Grenzen Johannesburgs hinaus bekannt für ihre Hochzeitstorten und Früchtekuchen. Hunderte verließen ihre Backstube. Elf Rezepte vom Butterkekskuchen über die Maracuja-Mango-Schnitten bis zum Coca-Cola-Schokoladekuchen geben Zeugnis ihrer Experimentier- und Backfreude.
Dass Mimi ein ganzes Kapitel mit Familienrezepten füllt, ist Ausdruck für viele erlebnisreiche Momente mit schönen Erinnerungen in familiärer Gemeinschaft in ihrem Leben, die mit Essen in Verbindung stehen. Schweineragout mit Fenchel & Quitten vermählt ihr Heimatland Portugal mit dem ihres Mannes Augusto. Er stammt aus Madeira, wo Fenchel früher in Hülle und Fülle wuchs, sodass die Hauptstadt danach benannt wurde. Als Beilage gibt es Algarve-Toast, der dem French-Toast ähnelt, nur werden in der portugiesischen Version die Eier mit Orangensaft verquirl. Das i-Tüpfelchen sind jedoch die Quitten, die dem Ragout eine besonders feine Note geben. Rosies Monkey-Gland-Steak ist eine südafrikanische Spezialität – nicht mit Affen- sondern feinstem Rindfleisch. Der Affe bezieht sich auf die Affendrüsensauce (Monkey-Gland-Sauce), in welcher das Rumpsteak mariniert wird. Aber keine Angst, auch die Sauce kommt ohne Affen-Zutat aus. Allerdings verwendet Mimi für den Saucen-Mix eine Tamarindensauce. Diese HP-Sauce findet sich in England selbst im kleinsten Kramerladen, aber bei uns ist sie wenn, dann am ehesten in Asia-Shops oder in der Grillabteilung größerer Lebensmittelgeschäfte zu finden. Aufgefallen ist auch, dass für die Piri-Piri-Chilischote einmal die portugiesische und dann mit Peri-Peri die englische Schreibweise verwendet wird, was leicht irritiert. Das ist dann sofort vergessen, sobald man von der Peri-Peri-Sauce kostet. Denn die ist sehr scharf und wird traditionell zu Ricotta, Feta oder Frischkäse serviert. Scharf ist auch Die kleine Französin, wenn zu viel gehackte Piri-Piri-Chilischoten in die Sauce kommen. Die kleine Französin ist ein Mega-Sandwich, in die, schreibt Mimi, kommt im Grunde genommen alles rein, bis auf die Spüle … Wir erinnern uns, der Vater schrieb in seinen Briefen an die Familie von einen Riesen-Sandwich aus Brot, Salat und Tomate. Dieser Doppeldecker-Happen wurde weiterentwickelt. Ein Portugiese, der viele Jahre in Frankreich lebte, erfand Die kleine Französin nach seiner Rückkehr in sein Heimatland. In ihm versammelt sich keine Spüle, aber die halbe Welt: Wiener Würstchen, die spanische Paprikawurst Chorizo, britischer Cheddar, Schinkenscheiben, Spiegelei. Das ist ein Toast für eine sehr hungrige Person oder zwei Verliebte.
Und noch eine Sandwich-Version präsentiert uns die Autorin. Ein einfaches Sandwich, das sich als idealer Proviant für längere Reisen entpuppte. Das Pregos ist das portugiesische Steak-Sandwich, ein Wohlfühlessen oder besser noch ‚Muntermacher‘. Selbst nach einigen Tagen, nachdem man angekommen ist, schmeckt es immer noch. Pregos fällt in die Sparte Volle Energie, wie auch Augustos Thunfischsuppe oder Arroz Doce, Milchreis mit einem Hauch Zimt. Spätestens hier fühle ich mich mit Mimi essens-seelenverwandt. Ist doch Milchreis das Lieblingsessen ihres Sohnes wie auch ihres Enkels und auch der meinen.
Viele Gerichte verdienten mehr als nur eine Erwähnung. Bspw. das sonnengelbe Maisbrot, das so hervorragend zu gegrillten Sardinen passt. Der Bohneneintopf mit Meeresfrüchten, der die Rettung ist, wenn unerwartet Gäste zu Besuch kommen. Allerdings sollten Sie dafür einiges vorrätig haben, wie Tomaten und Bohnen in Dosen, einen Mix tiefgekühlter Meersfrüchte sowie Chorizo und Speck. Unheimlich reichhaltig ist der Spinatsalat mit gerösteten Süßkartoffeln, von dem man leicht süchtig werden könnte. Im Kapitel Entdecken stoße ich auf Clam Chowder, eine Muschelsuppe mit geräuchertem Schellfisch, die mich an Herman Melvilles Käpt’n Ahab aus Moby Dick erinnert: Deep, deep and still deep and deeper must we go, if we would find out the heart of a man. Mimi war fasziniert von den großen Miesmuscheln, die sie auf Cape Cod fand, und verlieh dieser Spezialität aus Neuengland mit ihrer Version einen Hauch von Portugal oder Südafrika.
Mein portugiesisches Fest von Mimi Jardim ist auf den ersten Blick gespickt mit bodenständigen Gerichten, die sich in der Anwendung mitunter als sehr exotisch erweisen. Das hängt damit zusammen, dass die portugiesische Küche eine von Bauern und Fischern geprägte ist, die im Laufe der Jahrhunderte von ihren Kolonien beeinflusst wurde. Als Hausmannskost mit exterritorialen Zutaten könnte man sie beschreiben. Und Mimi beherrscht das Fusionieren verschiedener Kochstile. Sie ist vielseitig und in vielen Ländern zuhause. Die Autorin, die die portugiesische Familienküche fördert, ist soweit aufgeschlossen, sich dem Fremden, Exotischen nicht zu verschließen, um auf diese Weise ihren südwesteuropäischen Kochstil zu verfeinern. Ihre Erfahrungen und besten Rezepte sind in Mein portugiesisches Fest versammelt. Die Food-Fotos vor typisch portugiesischen Hintergründen, d. h. Motiven, die auf Keramiken, vor allem blau-weißen Kacheln, immer wieder auftauchen, sind ansprechend und verführen zum genauen Hinschauen, wenn nicht sogar sofort zum Nachkochen. Wie wäre es bspw. mit einer Orangen-Biskuitrolle? Die gäbe es nicht, wenn nicht portugiesische Seefahrer die Orangen nach Europa gebracht hätten. Und dieses Kochbuch gäbe es nicht, wäre Mimi nicht nach Südafrika ausgewandert und hätte sie nicht zugelassen, ihr früheres Zuhause mit dem neuen zu verknüpfen. Jetzt liegt es an Ihnen, diese wunderbare portugiesische mit ihrer ureigenen Heimat- und Weltküche zu kombinieren.