Rebecca Seal, LISSABON

Rezepte aus dem Herzen Portugals

Fotos von Steven Joyce
Übersetzt von Susanne Keller
Dorling Kindersley Verlag, München, 2017, 256 Seiten, 25.70 Euro
ISBN 978-3-8310-3413-0
Vorgekostet

Heute reisen wir nach LISSABON.

Denk ich an Lissabon, fällt mir Fernando Pessoa ein. O Lissabon, du meine Heimstatt! bekennt er im Buch der Unruhe, macht sie so zu seiner Welt, die er sein ganzes Erwachsenen-Leben nie mehr verlassen wird. In den Gassen, den Cafés und oben auf den Aussichtstürmen fand er seine Poesie. Das Hieronymuskloster nahe am Hafen war für den Poeten das schönste Bauwerk der Stadt, dort ruht er neben Vasco de Gama. Dieser Entdeckungsreisende des 15. Jhdts., der bis nach Afrika, Amerika und Indien segelte, bescherte den Portugiesen die exotischsten, kostbaren Handelsgüter: Pfeffer, Zimt, Chai, Kaffee und mehr. Und der Handel, den sie damit aufzogen, sicherte ihnen großen Reichtum. Lissabon ist heute – ähnlich wie New York – ein Schmelztiegel der Kontinente; die Stadt hat ein multikulturelles Gesicht. Die Baixa, die Unterstadt Lissabons, ist schachbrettartig angelegt, ganz im Geiste der Aufklärung. Die Rua dos Douradores – das ist die Straße der Vergolder, die Bücher in wertvolle Kunstwerke verwandeln – ist für Pessoa die Lösung aller Rätsel und der Hauptweg zum Fluss Tejo, wie auch zum Herz der Stadt, dem Praca do Comercio, dem Platz des Handels. Der Hafen ist der Inbegriff von Sehnsucht und wehmütiger Erinnerung, ein Gemütszustand, den die Portugiesen mit Sodade umschreiben. Von diesem Hafen sind die Handelsschiffe in See gestochen. Dort mündet der Fluss in den Ozean. Der Tejo, heißt es im Buch der Unruhe weiter, ist ein blauer See, die Berge im Hintergrund am anderen Flussufer sind die einer abgeplatteten Schweiz.

Im Stadtteil Alfama, unterhalb der Maurenburg, aber schlägt das multikulturelle Herz Lissabons. Dort finden sich die Spuren von Muslimen, Juden, Christen, Portugiesen, Spaniern, Indern und Afrikanern. Die Suche nach der Küche Lissabons und ihren Ursprüngen, führte Rebecca Seal in unzählige kleine Restaurants mit Spezialitäten aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien, aber auch an die Herde in Privathäusern. Ihre Eindrücke und vor allem kulinarischen Erfahrungen sind zusammengefasst in dem schönen Kochbuch LISSABON, Rezepte aus dem Herzen Portugals, das im Dorsling Kindersley Verlag erschienen ist.

Mit Ausnahme des Petiscos-Abschnittes ist die Kapiteleinteilung klassisch aufgebaut. Seal spannt den Bogen von Beilagen & Suppen über Salate, Fisch & Meeresfrüchte, Fleisch, weiters zu Saucen und Eingemachtes, nicht ohne Süßes und Desserts dabei zu vergessen, um dann bei Getränke & Begleiter zu enden.

In ihrer Einleitung geht Seals auf die Bedeutung der Kolonialgeschichte Portugals ein, und vor allem darauf, wie sie sich in der Esskultur im Mutterland niedergeschlagen hat. Es scheint so, als würden die Portugiesen neben Essen nichts lieber tun, als über selbiges zu reden. Der bekannte Koch Kiko Martins drückte das so aus: „Beim Mittagessen reden wir über das Abendessen. Beim Abendessen reden wir darüber, was es morgen Mittag gibt.“ Nun, so schlimm wird es nicht sein. Aber wenn man das Lissabonkochbuch durchblättert, versteht man, dass es einiges zu bereden gibt. Und wenn Seal vom modernen Lissabon und seinem Wandel schreibt, so kann die Zunahme der Touristenzahlen nicht darüberhinweg täuschen, dass die Einwohnerzahl kontinuierlich zurückgeht. Und so trägt dieses Kochbuch im gewissen Sinne auch dazu bei, dass das kulinarische Erbe Lissabons erhalten bleibt.

Petiscos heißen jene unwiderstehlichen Kleinigkeiten Portugals, die den spanischen Tapas ähneln – wobei mir der Unterschied bis heute nicht klar ist. Sie automatisieren unsere Handbewegungen an geselligen Abenden zu jenen kleinen Schüsselchen, die angefüllt sind mit Bratpaprika und Gemüsechips mit Koriander und Mayonaise oder Oliven mit Orangenzeste. Vor allem die Gemüsechips auf der Grundlage von Roter Bete und Süßkartoffel finde ich mehr als eine hervorragende Alternative zu den salzigen Kartoffelchips.

Wenn auch die Petiscos – die die kulinarische Seele Portugals versinnbildlichen – viele Seiten umfassen, so steht an erster Stelle auf der Speisekarte Fische und Meeresfrüchte. Dabei wird das Siegerpodest nur von einem besetzt, dem Kabeljau. Man sagt, dass es in Portugal so viele Stockfischrezepte gibt wie Tage im Jahr. Wie gut, dass Rebecca nicht alle in ihrem Buch aufgenommen hat. Die Gerichte, die sich darin finden, wie den Stockfischauflauf, der wegen seiner gestiftelten Kartoffeln sich schon von den anderen abhebt, oder der Stockfisch-“Krümel“, eine Art Fischknödel, sind schon etwas Besonderes.

Überhaupt hat Rebecca Seal einen guten Mix von Altbewährtem und Neuem zusammengestellt. Nicht ohne dabei Basisrezepte miteinbeziehen. So zeigt die Autorin bspw., wie man Frischkäse zubereitet. Er bildet die Grundlage sowohl für herzhafte als auch für süße Speisen, wie Rote Bete mit Frischkäse oder Frischkäse mit Honig & Mandeln.

Aus dem umfangreichen Petiscos-Angebot musste ich unbedingt die Grünen Eier probieren, die es dann auf Anhieb in die Liste meiner Party-Snacks geschafft haben. Und auch die eher unscheinbaren Erbsen und Eier, die sowohl als Vorspeise eine wohlschmeckende Überraschung als auch für einen Alleinesser – und da versuchte ich es mit weniger Eiern -, ein sättigendes Mahl sind.

Die Samosas entführen uns dann auf den indischen Kontinent. Das Erbe Goas entfaltet hier die betörenden Düfte des Kreuzkümmels und anderer Gewürze. Rebecca Seal deutet im Vorspann die wechselvolle Geschichte zwischen Portugal und dem indischen Kontinent an. Sie macht den Ping Pong Effekt sichtbar, dass die Portugiesen Nahrungsmittel wie Schweinefleisch nach Goa mitnahmen, sie dort der kulinarischen Landesfärbung entsprechend ummodelten bzw. anpassten und wieder in neuem Gewand nach Portugal zurücktransferierten. Herausgekommen sind wunderbare Köstlichkeiten, die das Flair Indiens und Portugals beinhalten. Begeistert vom Ziegenkäse mit Honig und Rosmarin waren die Testesser sich einig: simpel und wahnsinnig gut.

Der Portugiesen liebste Beilagen sind entweder Kartoffel oder Reis, aber immer mit Knoblauch.

Ich glaube, es gibt keine portugiesische Beilage, in der nicht dieses spargelartige Gewürz vorkommt. Und schon blätterte ich das Kartoffel-Steckrüben-Püree mit Knoblauch auf, das mir irgendwie bekannt vorkam. Wahrscheinlich habe ich bei Nigel Slater, dem Meister der Pürees, ein ähnliches Rezept gelesen. Allerdings, Seals spielt mit den Mengenverhältnissen und das wirkt sich gravierend im Geschmack aus. Denn die Steckrübe hat die Eigenschaft, Aromen anzunehmen, und so lässt sich der Geschmack beliebig beeinflussen – mit Gewürzen oder anderem Gemüse wie Karotten, Sellerie oder Kohlrabi.

Im Salatkapitel stieß ich, wie bereits erwähnt, auf die Rote Bete mit Frischkäse. Nicht nur farblich sind die frisch zubereiteten Roten Bete ein Hit, auch ihr leichter Duft bestimmte das Gesprächsthema eines Kochabends mit Freunden. Hier bewahrheitete sich: In der Einfachheit liegt die Kunst guten Essens.

Mehr als 80 Rezepte sind im Lissabon Kochbuch versammelt. Das sind traditionelle portugiesische Gerichte auf der Basis landwirtschaftlicher Produkte, wie Kohl und anderes Grünzeug, sowie viel Huhn und Schwein, aber auch Meeresgetier in allen Formen. Die Rezepte sind gut nachvollziehbar und die Mengenangaben sehr genau. Manchmal ufern ihre Beschreibungen aus etwa beim Puddingtörtchen, die sich über drei Seiten hinziehen. Dabei ist mehr als Maßarbeit gefragt, was auch ihre Aufforderung zeigt, beim Befüllen mit Pudding eben 7,5 mm (!) Rand freizulassen.

Mit schönen, zum Teil doppelseitigen Fotos vermittelt uns dieses Kochbuch auch einiges vom Alltagsleben der Portugiesen. Ob sie nun promenieren, am Strand Fußball spielen, von einem Balkon eines verfliesten Hauses auf das Treiben in den Gassen schauen oder auf einer Dachterrasse tanzen, alles bringt sie uns näher. Pfiffig, fast beiläufig illustriert, sind auch die beschriebenen Gerichte. Aber es ist vor allem der Plauderton der Autorin, der nie aufdringlich und höchst informativ dieses Lissabon-Kochbuch zu einer wahren Lesefreude macht. Sie formulierte auch einen der schönsten Sätze, die ich je in einem Kochbuch gelesen habe: Wenn jedoch in Lissabon Eier auf Zucker treffen, dann geschieht etwas Magisches. Und den Beweis tritt sie im Kapitel Süßes & Dessert an. Wer diese Seiten aufschlägt, kommt der Versuchung nicht aus, sofort in die Küche zu stürmen und den Teig für Milchtörtchen oder Puddingtörtchen anzurühren oder es mit einer Karamelcreme zu versuchen. Also Vorsicht, Rebecca Seal und ihr Kochbuch LISSABON sind äußerst verführerisch.

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