Nargisse Benkabbou, Casablanca

Authentische Rezepte aus Marokko

Fotografie Matt Russell
Aus dem Englischen übersetzt von Lisa Heilig
Südwest Verlag, München, 2018, 224 Seiten, 25.70 Euro
ISBN 978-3-517-09733-6
Vorgekostet

Heute reisen wir nach CASABLANCA.

Die weiten, menschenleeren Strände der nordafrikanischen Atlantikküste werden selten durchbrochen von Städten. Dakar, Laayoune, Rabat in Marokko gehören dazu wie auch Casablanca. Früher lag dort ein kleiner Fischerhafen, den spanische Seeleute wegen eines weißen Hauses auf einem Hügel la Casa Blanca nannten. Viele Jahre später ist aus dem weißen Haus eine große Stadt geworden, die Wirtschaftshauptstadt Marokkos – Casablanca. Die Einheimischen schwärmen vom angenehmen Klima ihrer Stadt, die Sommer sind warm und die Winter kalt. Die City ist geprägt von französischer Kolonialarchitektur zwischen Jugendstil, Neoklassizismus und Art Deco. Die Häuser spiegeln eine Mischung europäischer und marokkanischer Stilelemente. Man wollte die Stadt auszeichnen und baute in die Höhe. Diese Gebäude gehören heute zum Kulturerbe Marokkos. Die weiße Stadt, die immer schon ein Labor der modernen Architektur war, besitzt nun eine der schönsten und größten Moscheen der Welt. Ein Koloss aus Marmor, Granit und Stuck, in dessen großem Gebetssaal 105.000 Menschen Platz haben. Die Hassan-II-Moschee am Rande von Casablanca scheint dem Meer entstiegen zu sein, ihr Minarett weist den Weg zu Allah.

Wegweiserin des irdischen Glücks ist Nagisse Benkabbou, eine in London lebende Belgierin mit marokkanischen Wurzeln. Dem Heimweh ihrer Mutter, wie Nagisse einmal in einem Interview bemerkte, verdankt sie die Liebe zum Land und zu maghrebinischem Essen. Auch, dass der Großvater in der Medina von Fes eine Metzgerei führte, mag vielleicht mit ein Grund sein, warum sie sich dem Essen so verpflichtet fühlt. Nach Lebensstationen in Brüssel und Paris begann sie eine Ausbildung an der Leiths School of Food and Wine und zu bloggen. Ihre marokkanischen Rezepte kamen an, und so ist es naheliegend, die geposteten Anleitungen zu einem Buch zu binden. Casablanca, so einfach, so effektvoll ist der Titel des Kochbuchs, das nun auf Deutsch im Südwest Verlag erschienen ist.

Das Mamakind hing am Rockzipfel, sah beim Zubereiten der überwiegend marokkanischen Speisen genau hin. War fasziniert von den Düften und Aromen Marokkos. Sie erkannte früh, dass die maghrebinische Küche ein sehr persönliches Erbe ihres Familienclans und es ihre Pflicht ist, diese möglichst vielen Menschen nahezubringen. Natürlich kann sie ihre europäische Herkunft nicht leugnen. Zwar bilden die Rezepte ihrer Mutter die Grundlage ihres Kochens, aber sie ließ es auch zu, dass diese marokkanischen Aromen in westliche Gerichte einflossen und umgekehrt. Deshalb ist der Untertitel Authentische Rezepte aus Marokko sehr weit ausgelegt, was wir mit einem Augenzwinkern akzeptieren.

Ausgangspunkt ist zunächst Nagisse‘ Vorstellung, dass marokkanisches Essen extrem verlockend und relativ leicht zu kochen ist. Die überwiegend einfachen Zutaten sind überall erhältlich. So einfach meist die Zubereitung ist, die Ergebnisse erstaunen mich immer wieder. Das Geheimnis scheint wohl in zwei, drei Grundrezpten zu liegen, die Basis vieler marokkanischer Rezepturen. Dazu gehören Ras el Hanout, eingelegte Zitronen und Harissa in vielerlei Formen. Ersteres und Letzteres sind Gewürzmischungen, die nach Region und Familie sehr unterschiedlich sein und fertig gekauft werden können. Aber Nagisse gibt uns die Anleitungen, diese selbst herzustellen, und das ist der Einstieg in die marokkanische Küche. Bis zu 60 Gewürze können für Ras el Hanoud verwendet werden, das übersetzt „Kopf des Landes“ bedeutet. Wie vielseitig Ras el Hanoud verwendbar ist, zeigt sich in zwei Beispielen. Es wird sowohl für das traditionelle Mrouzia, ein Lamm-Eintopf, verwendet wie auch bei Backwaren eingesetzt wie den Rüblikuchen. Wie genau die Autorin in den Mengenangaben ist, veranschaulicht ein Detail. Für ihr Ras el Hanout sind 12 Abriebe von der Muskatnuss notwendig, nicht mehr und nicht weniger. Vom Harissa, einer Paste aus Chili- und Paprikaschoten, liefert sie gleich drei Zubereitungen. Das Rosen-Harissa passt gut zu Braten und Fisch, während das Gewürz-Harissa ein Alleskönner ist und alles aufpeppt, das geschmacklich aufgewertet werden soll. Das einfache Harisse mit Mayonnaisse eingedickt macht Pommes zu einem unvergesslichen Erlebnis. Diese drei Gundzutaten können als Vorrat angelegt werden. Und keine Sorge, sie werden immer wieder gebraucht. Nun geht es erst richtig los. In sieben Kapiteln entdeckt die Bloggerin das marokkanische Essen für uns. Dabei behauptet Benkabbou, dass das Essen wie das Land selbst voller Gegensätze ist und vergleicht es mit Casablanca, einer Mischung aus Tradition und Moderne. Das zeigt sich m.E. sehr gut im Shakshuka mit Kefta & Linsen, ein Gericht mit jüdischem Hintergrund, das allerdings ganz anders zubereitet wird als das gleichnamige aus der Levante. Nargisse‘s Shakshuka ist viel gehaltvoller, enthält es doch auch Hackbällchen und die Tomatensauce ist würziger. Im traditionellen Shakshuka, wie es bspw. im Londoner Restaurant Palomar zubereitet wird, gibt es mehr Eier, dafür ist es reduziert auf wenige Zutaten. In Marokko kommen nebst Tomatensauce auch Linsen dazu, die für eine cremige Konsistenz sorgen. Jedenfalls waren wir nach diesem marokkanischen Einstiegsessen gewarnt vor der Fülle und mehr als satt.

In sieben Kapiteln präsentiert Benkabbou die Küche Marokkos. Dabei bleibt man nur allzuleicht schon im ersten Kapitel stecken, will alles ausprobieren, so verführerisch sind die Vorspeisen. Die Gemüsestreifen mit Orange, Oliven & Walnüssen waren ein Hit und unsere Gäste voll des Lobes. Das Besondere an diesem Salat war die Gurke, die, gehobelt nur bis zum Kernebereich, den Salat nicht verwässerte. Allerdings ist der Arbeitsaufwand nicht zu unterschätzen, da bis zu fünf Orangen filetiert werden müssen. Die weiteren Kapitel sind Gemüse, Fleisch, Geflügel, Fisch & Meeresfrüchte, Brot und Süßes, die sich seitenumfangmäßig die Waage halten. Aus der Gemüseabteilung probierte ich die Auberginen mit Käse-Chermoula-Füllung, ein Gericht, das verblüffte, weil es einfach und schnell zuzubereiten und äußerst cremig ist und uns satt und zufrieden zurück ließ. Der Rüblikuchen mit Ras el Hanout & Frischkäseglasur entpuppte sich als ein Konglomerat verschiedenster Kochkulturen. Den Rüblikuchen hätte ich der Schweiz zugeordnet, die Frischkäsehaube wäre Italien zumutbar und das Gewürz natürlich marokkanisch. Und wenn ich Ihnen sage, dass der einfach herzustellende Kuchen gefährlich gut schmeckt, so werden Sie es mir nicht glauben. Also ausprobieren!

Am Ende finden Sie auch ein sehr umfangreiches Register, das kaum ein Schlagwort auslässt.

Schön bebildert, ist diese kulinarische Reise in den Maghreb mehr als eine Aufforderung, das eine oder andere Gericht nachzukochen. Ein bezauberndes Kochbuch, mit vielen verführerischen Rezepten, die einen gewissen Hang zum Exotischen nicht verleugnen. Auch weil wir spätestens nach dem dritten Rezept erkennen, dass die marokkanische Küche viele Elemente aus anderen Kochkulturen enthält und diese Kombination wahnsinnig gut schmeckt. Casablanca ist kulinarische Völkerverständigung pur. Schau mir in die Kochtöpfe Marokkos, Kleines.