Heute reisen wir nach KORSIKA.
Näher zum italienischen Festland, mit Sardinien als Nachbarn, gehört diese Insel zu Frankreich. Zweihundert Kilometer trennt sie von der französischen Küste und das ist vielleicht auch der Grund, warum die Korsen so auf ihre Unabhängigkeit pochen. Wir halten die Ausländer nicht von uns fern, ist ein stehender Satz unter den Inselbewohnern, wobei mit Ausländer Franzosen gemeint sind. Zweisprachige Dorfschilder – der französische Name zerschossen, Wandschmierereien gegen das Mutterland, tausende Anschläge der FLNC auf staatliche Einrichtungen. Und der Ausverkauf von Grund und Boden an reiche Franzosen ist eine weitere traurige Seite Korsikas. In Paghjellas – das sind traditonelle Gesänge mit drei Stimmen – besingen Korsen brisante politische Themen, aber auch vergangene Zeiten, die Liebe, die Jungfrau Maria und natürlich die Natur. In Korsika riecht die Natur so intensiv wie auf keiner anderen Mittelmeerinsel. Napoleon, der in Ajaccio geboren wurde, behauptete, er könne seine Heimat an ihrem Duft erkennen. Diese Aussage könnte auch auf Nicolas Stromboni zutreffen, der Korsika – Das Kochbuch geschrieben hat, das im Christian Verlag erschienen ist.
Strombonis zentrale Frage lautet: Wie schmeckt Korsika? Und seine Antwort ist über 300 Seiten stark, mit 80 Rezepten und Portraits von Fischern, Metzgern, Oliven-, Safran-, Wein- und Zitrus- bauern, also Menschen, die ihr Korsika leben. Sie alle hüten einen einzigartigen, unvergleichlichen Schatz, das reiche kulinarische Erbe, das außerhalb der Insel wenig bekannt ist. Korsika – Das Kochbuch ist deshalb mehr als eine bloße Anhäufung von Rezepten. Es will Schlüssel zum Verständnis einer Inselkultur und seiner BewohnerInnen sein und die Neugier zum Erkunden vor Ort wecken.
In acht Kapiteln wird vor allem das kulinarische Wesen, mit Blick auf landwirtschaftliche Produkte, eingefangen. Am Anfang steht das korsische Schwein. Das lässt den Schluss zu, dass Fleisch, Wurst, Speck und Schinken an erster Stelle der korsischen Esskultur steht. Das stimmt nur zum Teil. So war die Fleischküche der Fischküche Korsikas immer überlegen, auch historisch. Aber ob nicht die Edelkastanie, das Brot der armen Leute, zumindest in früheren Zeiten das Alltagsessen dominierte, wage ich entgegenzuhalten. Wie dem auch sei, heute sind bestimmte Nahrungsmittel wie bspw. die Figatellu identitatsstiftend, die in zahlreichen Gerichten ihre Verwendung findet. Schön beschreibt dabei der Autor den Geschmack dieser aus Innereien hergestellte geräucherte Leber-Salami. Und in einer Bildersequenz zeigt Felix Torre, ein Züchter, der sich dem Erhalt des korsischen Schweines verschrieben hat, die einzelnen Etappen zur Herstellung von Figatellu. Hier sei erwähnt, dass mit Bildgeschichten immer wieder Produkte und ihre Verarbeitung genauer erklärt werden. So wird in sechs Bildern gezeigt, wie der Käser Jean-André Mameli den Frischkäse Brocciu macht, wie der Fischer Jean-Louis Guaitella einen Aal filetiert oder wie aus Myrtenbeeren ein Likör hergestellt wird. Das bereichert das Kochbuch um Hintergrunddetails zu ausgewählten Nahrungsmitteln und bringt uns RezepientInnen näher an Land und Leute. Die Anwendung folgt dann auf den nächsten Seiten. Etwa die Linsen mit Figatelli. Leider wird keine Alternative für manch so absolut korsisches Produkt wie eben Figatellu angeboten, bzw. fehlt auch eine Bezugsadresse. Den Brocchiu können wir durch Ricotta ersetzen.
In den weiteren Kapiteln werden Kalb, Lamm, Wild, dann korsischer Käse sowie Produkte aus dem Meer, natürlich Obst und Gemüse und auch Desserts vorgestellt. Dem folgen Kleine Nebensachen, womit Honig, Tomatenmark, eine korsische Barbecuesauce und der korsische Esel gemeint sind, und endet mit einem ausführlichen Abschnitt über korsische Weine. Was die Weine anbelangt, da merkt man, dass Nicolas Stromboni als Betreiber einer Weinbar aus dem Vollen schöpft und keine Fragen offen lässt. Am Ende findet sich nicht nur das Inhaltsverzeichnis, sondern auch ein ausführliches Register.
Die Eier mit Speck in Tomatensauce waren nicht nur deftig, sondern auch originell mit der delikat gewürzten Sauce. Leider konnte ich keinen arba barona auftreiben, den korsischen Thymian, der den Duft der Insel enthält. Jedenfalls wurden Freunde die in Korsika urlauben bereits beauftragt mir diesen mitzubringen, wie auch den Myrtenhonig und Figatellu.
Mit dem Kalbsbraten und Kartoffelpüree als Beilage ergründete ich zwei Details. Einmal, wird in diesem Rezept der Braten vor dem Garen gesalzen – und der Kniff ist, dass das Salz angefeuchtet und dadurch dem Fleisch kein Wasser entzogen wird. Zum zweiten faszinierte mich, dass die Kartoffel mit Zitronen gekocht werden, also eine ganz neue Geschmacksnote dazu kommt. Kurz gesagt – beides schmeckte hervorragend.
Ausgelassen habe ich die Amseln im Brotteig, ein Rezept, das ich, wenn überhaupt, in Korsika probieren werde. In Österreich ist das Jagen von Amseln verboten. Ich finde es trotzdem gut, dass so ein Gericht in einem Kochbuch aufscheint, das den Anspruch von Authentizität und Vollständigkeit erhebt. Die Amseln kann man durch kleine Hühnerschenkel oder Tauben ersetzen.
Die Cannelloni mit Brocciu bzw. Ricotta kennen Sardinienreisende vielleicht. Ich habe es dort ohne Mangold kennengelernt. Nachdem beide Inseln nur 25 km auseinanderliegen, darf die gegenseitige Beeinflussung in der Küche nicht verwundern. Jedenfalls mundeten uns die Cannelloni a la Ricotta sehr.
Sehr angetan war ich von den gefüllten Teigtaschen, den Ciaccie mit Brocciu. Das Erdnussöl beeinflusste diese crepeartige Dolci auf angenehme Weise.
Die Forellen vom heißen Stein rückte als Gericht Korsika nahe an meine Alpenküche. Die Idee, eine Steinplatte mit Holzkohle aufzuheizen, fand ich ebenso wunderbar wie dieses einfache Fischgericht.
Die Zucchini aus Sartène halfen mir, meine Zucchiniflut einzudämmen. Ich habe bei der Zubereitung den Tipp des Autors beherzigt und die Zucchini in einer leicht eingeölten Pfanne knusprig gebraten und mit Zucker kandiert. Die gefüllten Zucchinischiffe dann im Rohr herausgebacken, erfüllte nicht nur die Luft mit feinen Duftnoten, sondern auch die Testesser mit Begeisterung für dieses – ja – Alltagsessen.
Korsika – Das Kochbuch ist toll gestaltet. Allein das Titelblatt, ein gezeichnetes Bergdorf in den Umrissen der Insel umrahmt vom tiefen Blau des Meeres, ist großartig. Dieses Bild dient auch als Landkarte, um bspw. im Fischkapitel die Fischgründe aufzuzeigen und, in abgewandelter Form, den Weinanbau bzw. die Olivensorten und Anbaugebiete topographisch darzustellen. Exzellent fotografiert von Sandra Mahut sind die Menschen, Natur und die Gerichte. Hervorzuheben sind auch die genauen Beschreibungen von Aromen und Textur typisch korsischer Produkte, sie vermitteln eine gute Vorstellung der originalen Zutaten. Das wiederum hilft, auf heimische Ressourcen zurückzugreifen um schwer erhältliche korsische Produkte zu ersetzen. Fast zu allen Rezepten gibt es einen passenden Wein-Tipp, steuert der Autor kulturelle und kulinarische Ergänzungen bei. Sehr locker geschrieben und informativ, versteht es dieses Kochbuch, große Lust auf typisch korsisches Essen zu machen. Damit löst er einen an sich selbst gestellten Anspruch ein, die Korsen und ihre Esskultur näher kennen zu lernen.