Paola Gavin, Hasana

Vegetarisch kochen nach traditionellen jüdischen Rezepten

Fotos von Mowie Kay, Illustrationen von Liz Catchpole
Aus dem Englischen übersetzt von Ronit Jariv
DuMont Buchverlag, Köln, 2018, 256 Seiten, 29.90 Euro
ISBN 978-3-8321-9945-6
Vorgekostet

Heute besuchen wir Juden in der DIASPORA.

Jede Küchentradition erzählt eine Geschichte, war die Grundüberlegung Claudia Rodens, als sie sich aufmachte, die kulinarische Seite ihres Volkes zu erforschen. Wie eine Entdeckerin tauchte sie hinab in die Geschichte eines entwurzelten, wandernden Volkes und seiner verschwundenen Welten.

Augen, Mund und Ohren gerichtet auf all die jüdischen Speisen, die in den Gedanken der Menschen fortleben, sie lebendig halten für das, was sie repräsentieren. Damit schuf sie wahrscheinlich das umfangreichste Buch der jüdischen Küche. Ihrem Beispiel sind viele gefolgt, unzählige jüdische Kochbücher seither erschienen. Auch Paola Gavin trat in Rodens Fußstapfen und reiste um die halbe Welt, der Geschichte und dem kulinarischen Erbe ihrer jüdischen Familie nachzuspüren. Dass sie dabei über den familiären Tellerrand schaute und Küchentraditionen anderer Familien miteinbezog, ist ein Glück für uns. Denn so entstand eine einzigartige Sammlung jüdischer Gerichte. Hier geht es um Speisen, die angepasst sind an regionale Küchen in Ost und West, Nord und Süd im Kontext ihres 2000-jährigen Exils. Mehr als 140 von Generation zu Generation weitergegebener Rezepte präsentiert Gavin in ihrem vegetarischen Kochbuch Hasana, das im DuMont Verlag erschienen ist.

Der hebräische Titel bedeutet schlicht Ernährung.

Leitmotivisch geht Paola Gavin vom Talmud aus. In der wichtigsten Schrift des Judentums heißt es: Wer einem Fremden zu essen gab, bewirtete vielleicht einen Engel. Und so kochen alle immer ein „batzele“ mehr, denn wer will einem Engel das Essen vorenthalten. Das führt aber auch zur Schlussfolgerung, dass mit jedem jüdischen Essen religiöse Gebote und Verbote eingehalten werden müssen. Hier sind die Vegetarier eindeutig im Vorteil, denn Fleisch – das nach jüdischer Vorstellung die tierische Natur im Menschen verstärkt – fehlt auf ihrem Speiseplan. Weil aber im Judentum alles mit dem Glauben verknüpft ist, so sind fast alle Mahlzeiten Bestandteil religiöser Rituale. Jede Speise hat eine symbolische Bedeutung und das führt zum Umkehrschluss, dass jedes Gericht einem jüdischen Fest- oder Feiertag zugeordnet ist. Und weil religiöse Juden rituelle Speisevorschriften einhalten, glauben sie, dadurch die Harmonie zwischen Körper und Seele zu erlangen. Aber keine Angst, die Autorin fordert von uns nicht das Einhalten der Kaschrut- Gesetze, wie die religiösen Speisevorschriften genannt werden, sondern sie beschränkt sich auf das Aufzählen und Erklären der jüdischen Feste und Feiertage und dazugehöriger Speisen. Sie beginnt mit dem Ruhetag, dem Schabbat. Erklärt, wie Rosch haschana, Jom Kippur, Chanukka, Pessach und einige andere dieser jüdischen Feste gefeiert werden und vor allem, was an diesen besonderen Tagen gegessen wird. Diese Ausführungen lassen ahnen, wie sehr die jüdische Kochtradition manch Zwängen unterlegen ist. So darf am Schabbat, der von Freitag knapp vor bis Samstag knapp nach Sonnenuntergang andauert und unserem Sonntag entspricht, kein Feuer, kein elektrisches Licht gemacht werden, darf man nicht telefonieren, nicht selbst Autofahren, letztendlich auch nicht kochen. So wurden Speisen erfunden, die langsam und lange vor sich hin köcheln, wie der Tscholent, ein Eintopfgericht, das quasi über Nacht gart. In der Parodie Prinzessin Sabbat besingt Heinrich Heine den Tscholent, der „allein sie noch in ihrem alten Bunde eint“, und meinte die assimilierten Juden, die an ihren Traditionen festhielten. Aber es gibt kein Tscholentgericht ohne Fleisch, daher gibt es auch kein Rezept in diesem Buch. Aber dafür Borschtsch, jene kalte rote Rübensuppe, die von Polen bis Russland beliebt war und heute aus der jüdischen Gastronomie nicht mehr wegzudenken ist. Diese kalte aschkenasische Rote-Bete-Suppe ist sehr wandlungsfähig, denn sie kann beliebig erweitert werden und sich so den saisonalen Gegebenheiten anpassen: ob mit Sauerrahm oder mit geriebenen Äpfeln oder Zwiebeln. Wenn sie mit Eigelb eingedickt wird, so ist sie – heiß serviert – ein feines Süppchen an kalten Tagen. Aber ehe wir uns ganz in die Rezepte vertiefen, werfen wir noch einen Blick auf den Aufbau des Buches.

In einer kurzen Einleitung stellt Gavin klar, dass sie jüdische Gerichte aus der ganzen Welt vorstellt, die sich leicht und schnell zubereiten lassen und auch noch gesund sind. Dann beschreibt sie die wichtigsten jüdischen Feste und Feiertage, kurz und prägnant. Fast beiläufig lässt sie einfließen, welche Mahlzeiten an diesen Tagen traditionell gekocht bzw. gegessen werden. Zu Rosch Haschana wird Lekach genossen. Bevorzugt werden weiße Lebensmittel, als Zeichen der Reinheit, für das Wochenfest Schawuot zu gefüllten Pfannkuchen, Käseteigtaschen oder Ravioli verarbeitet. Zum Lichterfest, das heuer vom 2. bis 12. Dezember stattfindet, werden sehr gerne frittierte Speisen wie Kartoffelpuffer oder herzhafte Krapfen serviert. Dem Feste und Feiertage- Kapitel folgt ein kurzer Abriss der jüdischen Geschichte und Kultur, alphabetisch nach Ländern geordnet, mit Ägypten beginnend, in Ungarn endend. Ausgespart bleiben China bzw. Hongkong aber auch die USA. Es geht Gavin vorwiegend um die Länder der Alten Welt inklusive der slawischen, des Nahen Ostens und des Maghreb. Hier verknüpft sie nationale Geschichte mit jüdischer Küche. Mehr noch – die angeführten Rezepte zeigen, dass die jüdische Küche großen Einfluss auf die Esskultur dieser Länder hatte und heute noch hat. So erfährt man bspw., dass in Tschechien und der Slowakei warme Gemüsesuppen vor allem aus Rote Bete und Kartoffeln gemacht und in Ungarn Teiglach, das sind in Honig gekochte Teigblätter, mit Ingwer und Muskatnuss gewürzt werden.

Nach diesen Einführungen folgt der Rezeptteil, der sich in acht Kapitel aufteilt: Vorspeisen und Salate, Suppen, Nudeln und Knödel, Getreide, Hauptgerichte, Eier, Gemüse und Desserts. Ein ausführliches Register, das separat noch einmal nach Fest- und Feiertagsgerichten geordnet ist, findet sich am Ende des Werkes. Schön wäre noch ein Register mit den jüdischen Bezeichnungen, aber das fehlt.

Von den vorgestellten Gerichten habe ich zunächst den Borschtsch aus dem Suppenkapitel ausprobiert. Beheimatet in Polen, Litauen und Russland, ist diese Rote Bete Suppe vor allem eins, sehr gesund. Zudem ist sie ein Hingucker, wenn sich diese kleinen tiefroten Seen vom weißen Tellerrand abheben. Botwinka nennen die Polen sie auch und geben, wenn die Rote Bete im Juni oder Juli frisch geerntet ist, auch die jungen Stiele und Blätter mit in die Suppe. Das sollte noch ergänzend erwähnt werden. An die Variante mit Sauerrahm an einem noch heißen Tag des ausklingenden Herbstes erinnere ich mich noch gerne.

Weil die jüdischen Speisevorschriften den gleichzeitigen Genuss von Milchprodukten und Fleisch verbieten, gibt es eine Vielzahl vegetarischer Hauptgerichte in der jüdischen Esskultur. Die venezianischen Juden erfanden etwa die Artischocken-Tarte, in der ein Korbblütler die Hauptrolle spielt und umgarnt wird von zweierlei Käse. Dass Kohl zu einem leichten Mittagessen geraten kann, beweisen die Ungarn mit ihrem Kohl-Walnuss-Strudel. Schnell und einfach zuzubereiten mit Filoteigblättern. Wohlbekannt und Kindheitserinnerungen weckend sind die Kartoffel-Apfel-Puffer, wenngleich sie in unseren alpinen Breitengraden ohne Apfelkomponente auf den Tisch kommen. Lustig finde ich, dass Gavin als jiddische Bezeichnung kartoffel latkes anführt, eine kleine tautologische Irrung, wie mir scheint, denn in latkes steckt Kartoffelpuffer. Jedenfalls bin ich um die Verfeinerung mit Äpfeln dankbar, denn damit werde ich demnächst meine Enkel überraschen.

Die gefüllten Auberginen aus griechischen Landen servierte ich einer kleinen Runde kritischer Gourmets. Sie waren schwer begeistert, nicht nur wegen der dünnwandigen Schiffchen, sondern vor allem wegen des griechischen Hartkäses, der in das gut gewürzte Gemüseverhackte hineinverarbeitet wurde. Der Kefalotyri mit seinem leicht salzig-süßen Geschmack gab diesem einfachen Gericht, zusammen mit der Bechamelsoße, eine besondere Note. An diesem Abend wurde bei viel Retsina und noch mehr über melitzanes papoutsakia, die gefüllten Auberginen, gelacht und gewitzelt, als die Gäste erfuhren, was sie eben gegessen hatten; Auberginenpantoffeln. Wie sie zuzubereiten sind, erfahren Sie aus dem beigesellten Rezept.

Aus Österreich probierte ich den Birnenstrudel, der sicher nicht zum Letzten Mal auf unseren Esstisch kam. Mit dem fertigem Filoteig ist dieser Strudel schnell gemacht und mit Birnen doch so anders im Geschmack als sein weltberühmter Vetter, der Apfelstrudel. Aber genauso verführerisch!

Paola Gavins Kochbuch Hasana ist eine wunderbare Sammlung tradierter und neuerer jüdischer Speisen. Manches mag bekannt vorkommen, manches wartet im Detail mit einer Überraschung auf, wie die Kartoffelpuffer, die mit Äpfeln den zarten Hauch süßer Säure abbekommen. Hasana ist nicht nur ein Revival traditioneller jüdischer Rezepte, das wäre viel zu kurz gegriffen. Dieses Kochbuch ist ein Vermittler zwischen Juden und Nichtjuden und dessen, was uns allen gemeinsam ist: die Liebe zum Essen und Kochen. Am wichtigsten aber, dass es alltagstaugliche Gerichte ohne viel Brimborium beinhaltet, Speisen also, die leicht und schnell zuzubereiten sind und gerne an unsere nächste Generation weitergegeben werden.

Leave A Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert