Heute reisen wir nach WIEN.
Treffen dort einen Landsmann, Paul Ivić, ihm gilt unser Besuch. Ein Tiroler, der von Serfaus aufbrach, um in der Schnitzelstadt Karriere zu machen. Einen Himmel auf Erden schuf er sich, nichts anderes bedeutet TIAN im Chinesischen und weist auf das zu Erwartende, wenn man in seinem Restaurant in der Himmelpfortgasse reserviert hat. Vegetarisches in der gehobenen Preisklasse wird angeboten und serviert. Wir interessieren uns aber für Paul Ivićs neues Kochbuch VEGETARISCH, das im Dorling Kindersley Verlag erschienen ist.
Satte 400 Seiten erwarten uns, fast schon eine kleine Enzyklopädie an Rezepten und kein biss’chen Fleisch oder Wurst dabei.
Einleitend erklärt Paul Ivić sein Anliegen, einen Beitrag zu leisten, um unser Umfeld lebenswert zu erhalten, und meint damit: Nachhaltigkeit. D.h., alles von den Lebensmitteln wird verwertet, nichts verschwendet. Auch werden keine Convenience-Produkte eingesetzt – Wir brauchen sie nicht, der lapidare Verweis. Sehr wohl aber braucht es eine Gebrauchsanleitung zu diesem Buch. Die hält sich seitenmäßig in Grenzen. Da geht es um ein bis drei Blümchen, der Hinweis auf die Schwierigkeitsgrade der Rezepte, Kochtechnisches sowie einige Küchenbegriffe und Tipps zur Ausstattung und ganz wichtig, der Saisonkalender, in welchem die Hauptprodukte in ihrem Verfügungszeitraum grafisch dargestellt sind. Diese saisonale Orientierung der Gemüse ist außerdem noch in elf Gruppen unterteilt, die gleichzeitig die Kapitel dieses Kochbuchs definieren. Eine zwölfte Abteilung widmet sich den Basics.
Jedem Rezepte-Kapitel vorangestellt ist eine kurz gefasste Warenkunde.
Der Rezeptreigen beginnt mit Salate und Blattgemüse, dem Kohl und dann mediterrane Gemüse folgen. Bei Letzteren kommt Ivić wohl das Adria-Gen zugute, das ist familiär bedingt, der Vater stammt aus Kroatien. Allerdings ist Pauls Küchenstil eher italienisch- und spanischlastig. Neben Gerichten mit Fenchel, Paprika, Tomaten und Zucchini finden sich hier auch vier Artischockenrezepte. Interessanterweise entsorgt Ivić die Artischockenstiele, die aber sind reich an Eisen und lassen sich gut in einem Gemüsefond oder einer -brühe mit verwerten, wie auch die äußersten Blätter dieses Gemüses.
Im vierten Kapitel stehen vor allem die Winterkürbisse im Fokus. Neben Hokkaido, Muskat- und Butternusskürbis bekommen auch der Spaghetti- und der Eichelkürbis eine Bühne sowie die Gurke, die auch zu diesen Gewächsen zählt. Aufgefallen ist die Gurkencremesuppe, die durchaus als Referenz für Ivićs Vorstellung vom Essen gelten kann; wenig Zutaten und bester Geschmack. Aber Ivić wäre kein Starkoch, würde er nicht auch fürs Auge mitgestalten und den Beweis antreten. Gebratener Kürbis mit Fenchel wirkt, einfach so hingeworfen wie gefällte dicke Mikadostäbchen, gleichzeitig anregend zum Nachkochen. Die Kürbis-Quiche aus dreierlei Sorten, mit Zimt, Muskat und Piment verfeinert sowie fünf Eiern mächtig aufgemotzt, ließ meine Gäste verstummen und sich aufs Essen konzentrieren. Der Quiche-Teig mit leichtem Überhang zum Buttrigen und einer feinen Muskat-Note, lässt sich gut in Form bringen.
In der Abteilung Wurzel- und Knollengemüse stoßen wir auf ein michelinmännchenartiges Ding. Der Knollenziest ist ein Lippenblütler, verwandt mit dem Oregano und Basilikum und so eine kuriose Ausnahme, da das verdickte Rhizom essbar ist. In der Warenkunde hätte man anführen können, dass die Schale nicht geschält werden muss, nur gut gewaschen. Geschmacklich der Haselnuss und Schwarzwurzel ähnelnd, wird Gebratener Knollenziest von Paul entweder zu Karottenpüree, Kürbislasagne, Polenta oder Kräutercouscous serviert. Die geschälten und gehackten Haselnüsse habe ich weggelassen, das wäre doppelt gemoppelt und zu viel. Ansonsten finden sich in diesem Abschnitt noch einige interessante Pastinakenrezepte. Die Pastinake hatte schon bessere Zeiten erlebt. Sie wurde von der Kartoffel aus den heimischen Küchen verdrängt. Dabei ist sie so gesund, enthält wenig Nitrat. Ivić berichtet auch, dass sie nicht zu lange aufbewahrt werden sollte, da ein bitterer Geschmack entstehen kann.
In den weiteren Kapiteln geht es um Lauchgewächse, dann noch mehr Knollen, die wiederum von den Pilzen abgelöst werden. Hier treffen sich alle myzelartigen Gewächse, von den Champignons bis zu den Shitake- und Steinpilzen. Für cremige weiße Polenta mit Steinpilzen und grünen Bohnen ist jetzt die ideale Zeit, mehr will ich nicht verraten.
Die nächsten drei Kapitel gelten den Hülsenfrüchten, dem Reis und Getreide und letztlich den Wildpflanzen und Kräutern.
Mit den Basics – aufgeteilt auf Dressings, Marinaden, Pesto, Eingelegtes, warme Saucen und Teige – schließt sich der Kreis vegetarischer Ernährung.
Allein das Durchblättern ist bereits eine zeitaufwändige Beschäftigung, ließ mich immer wieder innehalten und Rezepte notieren, die ich mir genauer anschauen muss. Eingemerkt sind bspw. die Orchiette mit Pesto vom Karottengrün und bunten Karotten wie auch die Kartoffelbuchteln oder das Kartoffelgratin oder die Bohnenbällchen mit Ratatouille oder die Linsencreme mit Mangold. Vielleicht lenkten mich die Fotos von Ingo Pertramer ab, die sind nämlich herausragend im wahrsten Sinne. Auf den Rote-Bete-Risotto aufmerksam wurde ich vor allem wegen der leuchtenden Farbe. Das Gericht hielt, was die Abbildung versprach, ein tiefes Rot, das die Essenden ‚anspringt‘.
Bei einem derart aufwändigen Werk wie diesem gibt es natürlich auch die eine oder andere Ungereimtheit. So stehen die abgebildeten Kartoffelbuchteln in einem krautartigen Gemüsebeet, ob Zwiebel oder Pilze ist nicht erkennbar. Das wird im Rezept nicht erwähnt. Auch wird bei einigen Gerichten darauf hingewiesen, wo sie dazu passen, was sich aber nicht immer durchzieht. So gibt es einen Hinweis bei Geschmorte Pastinake mit cremigen Linsen, dass die Kartoffelbuchteln gut dazu passen, umgedreht fehlt der Hinweis. Im Wurzelgemüse-Kapitel werden Glasierte weiße Navetten mit Estragon-Senf-Sauce serviert, ohne Erklärung, was Navetten sind. Nämlich Mairüben, und die findet man auch nicht im warenkundlichen Vorspann. Eine Schwachstelle ist leider das Register. Hier begnügt sich der Autor mit der alphabetischen Auflistung der Rezepte. Da wäre eine stichwortartige Erfassung, ob auf Zutaten (Apfel, Reis etc.) und/oder Kategorien (bspw. Nudeln oder Tarte) bezogen, sehr hilfreich. Was mir auch fehlt, sind Zeitangaben. Aber, wie schon erwähnt: VEGETARISCH ist ein sehr voluminöses und anspruchsvolles Kochbuch, ein Manifest für erntefrisches, saisonales Gemüse in der Alltagsküche. Seine Rezepturen sind durchwegs einfach gehalten, überschaubar wie auch kaum überladen an Zutaten. Paul Ivićs Gerichte beschränken sich auf das Wesentliche, um des puren, unverfälschten Geschmacks wegen. Und jedes Mal, wenn ich das Buch in die Hand nehme, fallen mir neue Gerichte auf, die ich unbedingt ausprobieren will.