Heute geht’s in den RÄUBERWALD.
Irgendwo im Spessart, im Villgratental oder im Bermesbacher Wald hinter dem Ziegelwaldsee, wo der große Räuberpfad anfängt. Ein Viertel Mond hängt noch im Himmel wie von der Nacht vergessen. Leichter Wind weht und lässt die Baumwipfel sanft hin und her wiegen, als wären sie zu einem Tänzchen aufgelegt. Verborgen unter dem grünen Blätterdach, die Buchfinken, Eichelhäher und Kleiber, die munter ihre Lieder trällern zwischen den Trommelwirbeln eines einsamen Buntspechts, der seine Höhle aus dem Baumstamm klopft. Hier werden Geschichten erzählt, die noch nicht geschrieben sind. Vom Räuber Hotzenplotz, vom Zauberer Petrosilius Zwackelmann, von der Fee Amaryllis, vom Wachtmeister Dimpfelmoser, von der Großmutter und von Kasperl und Seppel. Erzählt sind die Geschichten vom Zauberer Zwackelmann, der mit Leichtigkeit einen Menschen in jedes beliebige Tier verwandeln konnte, aber Kartoffeln die Schale herunterzuzaubern, war ihm trotz aller Mühe nie gelungen. Dabei liebte er Kartoffelbrei sowie Kartoffelklöße in Zwiebeltunke. Auch, dass der Räuber Hotzenplotz ein Feinschmecker ist, wissen wir, der sich vom Seppel die fette Gans braten ließ. „Mahlzeit“ rief er und aß den leckeren Vogel ratzeputz auf und Seppel ging leer aus.
Ein Geheimnis war bis vor kurzem noch, was unter Topfdeckeln verborgen in Großmutters Küche vor sich hinbruzzelte. Welchen Räuberschmaus der Plotzenhotz, äh Hotzenplotz am liebsten zubereitete. Was sich für ein Picknick im Räuberwald eignet. Und was auf keiner echten Räuberfeier fehlen darf.
Pia Deges hat sich aufgemacht, ist der Sandspur gefolgt, die der Räuber Hotzenplotz mit der gestohlenen Goldkiste zu seiner Räuberhöhle legte. Sie war nicht so dumm, sich vom Räuber fangen zu lassen, und schaute in seine Töpfe und schrieb auf, was dort vor sich hinköchelte. Auch bei Großmutter schaute sie vorbei, um von ihr die Rezepte der Kuchen und Torten zu erfahren, die Kasperl und Seppel so gerne mögen. Nur vom Zauberer Petrosillius Zwackelmann konnte sie nichts mehr erfahren, der ist tot, wie wir wissen. Aber vielleicht gab ihr die Fee Amaryllis Auskunft über ihre und Zwackelmanns kulinarische Vorlieben. Jedenfalls konnte Pia Deges viele Rezepte zusammenklauen und so Das große Räuber Hotzenplotz Koch- und Backbuch verfassen, das im Thienemann-Esslinger Verlag erschienen ist. Selbst vom Wachtmeister Dimpflmoser sind welche dabei. Nach seinem Rezept für die süßen Sonntagsbrötchen sucht er bestimmt immer noch, hö, hö, hö!
In vier Kapiteln werden die räuberischen Lieblingsgerichte von allen Protagonisten, die im und um den Räuberwald leben vorgestellt. Aber vorher werden wir noch über das 1×1 der Räuberküche aufgeklärt. Das ist gut so, denn dieses Räuber-Kochbuch wendet sich an Kinder, die hinter Hotzenplotzs Küchengeheimnisse sowie seine Kochkünste kommen wollen. Da geht es um Regeln und hygienische Maßnahmen, um allerlei Wissenswertes, das, was Kinder noch nicht wissen können und beim Kochen und Backen zu beachten ist: Hände waschen, eine Schürze anlegen, frische Zutaten verwenden, übrig gebliebenes Essen nicht wegwerfen usw.. Auch, dass nicht alles nach Vorschrift zu machen ist, dass man ein wenig experimentieren darf und dass die wichtigste Zutat beim Kochen der Spaß ist, den man daran hat. Eine äußerst kurze Einführung in die Räuber-Backschule wird zuguterletzt von zwei Rezepten – einem herzhaften und einem süßen Hefeteig für alle Fälle – abgelöst. Dann geht’s aber los! Das erste Schmankerl die Vorsicht-Gold-Suppe, eine Kürbissuppe mit Orangensaft als geheime Zutat, was wir hier verraten dürfen. „Ist das Räuberglück dir hold, findest du ‚ne Kiste Gold!“ wird sich Hotzenplotz bei dieser Suppe denken. Seppels Spezial-Bolo sind Spaghetti mit Ragu, ein Essen mit einer süßen Geheimzutat, die wir nicht verraten. Nur so viel ist zu berichten, dass mein Enkel Jakob beim Abschmecken des Ragus alles schon aufessen wollte. Der Räuberschmaus könnte die Erfindung eines schwäbischen Räubers sein, da darin Schupfnudeln vorkommen, die mit Gemüse und Frischkäse ein schmackhaftes Mahl abgeben. Nicht fehlen darf „zum Schluss noch ein ordentlicher Schuss aus der Pfefferpistole“. Des Zwackelmanns Zauberklöße können süß und pikant zubereitet werden. Das Geheimnis lüftet sich, wenn man hineinbeißt. Schade, dass für die Klöße ein Fertigteig aus dem Kühlregal verwendet wird. Ein Kartoffelteig für Knödel in vielen Varianten ist nicht schwer zuzubereiten. Das gilt auch für die Schupfnudeln, deren klebrige Teigmasse eine Herausforderung für Kinder darstellt, und, nachdem der Teig gebändigt ist, ein zufriedenes Lächeln auf ihre Gesichter zaubert.
Der gefesselte Fisch dürfte ein Gericht vom Wachtmeister Dimpfelmoser sein. Nein, keine Handschellen werden verwendet, sondern der Fisch in ein Backpapier gewickelt und verschnürt. „Halunken wie den Hotzenplotz muss man gut verschnüren. Da muss jeder Knoten sitzen“, ist die Devise Alois Dimpfelmosers. Der Kasperlschmarrn mit roter Zipfelmützengrütze schmeckt Jung und Alt. Und die Knallpilz-Muffins schauen dem giftigen Fliegenpilz zwar zum Verwechseln ähnlich, schmecken aber toll mit ihrer roten Schokohaube samt weißen Zuckertupfern. Und auf der Party werden die besten Gauner-Getränke in plopp-Flaschen serviert. Man kann wählen zwischen Blaubeer-Smoothie, Kräuterlimonade und Himbeer-Minze-Eistee. Da fällt einem die Wahl schwer, sich zu entscheiden, also klaue ich alle drei und proste Räuber Hotzenplotz zu, der auf einem Liegestuhl vor seiner Räuberhöhle sich einen hinter die Binde gießt.
Das große Räuber Hotzenplotz Koch- und Backbuch ist ein wunderbar illustriertes und fotografiertes Rezeptbuch. Thorsten Saleina trifft mit seinen Zeichnungen den Witz und Charme des Räubers punktgenau und begeistert so alle Junggebliebenen. Auch die Auswahl, das Repertoire an Rezepten ist ein breitgestreuter Mix kindgerechter Esskultur. Die Anleitungen sind prägnant, gut verständlich und übersichtlich, somit auch ein ausgezeichneter Einstieg für die jüngsten Köche. Zudem wortgewandt und -gewitzt. Pia Deges ist nicht nur für die Rezepte zuständig, sondern auch für das Anrichten und Aussehen der Köstlichkeiten. Ob das nun die wilden Kerle, Schurken und Halunken sind, die mit Rosinenaugen, Mohnbartstoppeln und Hefeteighaarmähne so lustig dreinschauen, oder die üppig gefüllte Schatzkiste aus Zucker, Nüssen und Kuvertüre, wobei meine Enkel nicht so genau wissen, ob sie versteckt oder gegessen werden sollte. Im Zweifelsfall aber entschieden sie sich für Letzteres und wollten mehr Geschichten vom Räuber Hotzenplotz hören.
Geständnis
Ich habe einen Satz geklaut. Ein Viertel Mond hängt noch im Himmel wie von der Nacht vergessen, stammt aus dem Roman Zur See von Dörte Hansen.