Heute reisen wir in die SCHWEIZ.
In die vegane Schweiz mit lokalen, also heimischen Gemüse- und Getreidesorten. Diese sind für die gelernte Köchin und Veganerin Samira Schuler das Grundgerüst ihres Projektes. Ein Kochbuch, das gleich mehrere Ziele verfolgt. Zunächst aufklärend, nämlich, dass die vegan Kochenden keiner verschwörerischen Ernährungs-Sekte angehören. Aber auch, dass für vegane Ernährung nicht unbedingt spezielle Zutaten aus dem Reformhaus benötigt werden, ergo vegan kochen ganz einfach sein kann. Und nicht zuletzt will sie mit ihren Rezepten lokale Produzenten, also die Bauern, unterstützen. In ihrem kurzen Vorwort führt sie einige Gründe und Motivationen für vegane Ernährung an. Sie ist ihre Lebenseinstellung. Für Schuler war es der gesundheitliche Aspekt, der sie zur Veganerin machte. In diesem Zusammenhang setzte sie sich intensiver mit den Lebensmitteln und dem dazugehörigen Umfeld auseinander. Dabei stellten sich bei ihr zwei Erkenntnisse ein. Zum einen, dass industriell gefertigte Nahrungsmittel vielfach miserabel sind, und zum anderen, eine Umstellung auf vegane Ernährung nicht unbedingt Verzicht bedeuten muss. Und so hat sie angefangen, die Rezepte aus ihrer Lehrzeit umzuschreiben, sie zu veganisieren. Dabei ist ein Kochbuch entstanden. Zweimal d’Halfti, so der Titel, ist im Verlag der Schweizer Literaturgesellschaft herausgekommen. Was es genau mit dem Titel auf sich hat, hat sich mir vorerst nicht erschlossen. Aber ich hatte eine Vermutung. Vielleicht, dachte ich, bezieht sich das auf regionale und saisonale Angebote von Gemüse und Obst. Am Ende erfahren Sie, was es mit den zwei Hälften auf sich hat.
Am Anfang stehen aber eine einfache doppelseitige Grafik und sehr schöne Saisonübersicht, die uns auf einen Blick erfassen lässt, welches Gemüse und Obst zu welcher Jahreszeit marktfrisch ist. Bspw. ist zwischen März und Mai Chinakohl, Kohlrabi, Rüebli, Spinat, Wirz, Apfel, Erdbeere und Kiwi beim Obst- und Gemüsehändler beziehungsweise Bauern immer als Frischware erhältlich. Natürlich nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Süddeutschland und Österreich. Aber würde ich meinen Gemüsehändler nach Wirz, Federkohl oder Nüsslisalat fragen, dann würde er wahrscheinlich die Schultern zucken. Diese urschweizerischen Begriffe halten sich in Grenzen, hätten aber auch im zweiseitigen Glossar der Fachbegriffe noch gut reingepasst und erklärt werden können. So wie die angeführten Rüebli mit Wurzelgemüse, Hochdeutsch also Karotte und Kabis als Weißkohl definiert werden. Zur Aufklärung: Wirz ist Wirsing, Federkohl ist Grünkohl und, wer einen Nüsslisalat bestellt, bekommt Feldsalat. Überhaupt versteht es die Autorin im Einleitungsteil sehr gut, Begrifflichkeiten in gebotener und verständlicher Kürze darzustellen. So werden neun Garmethoden beschrieben von Sieden über Köcheln bis Backen und in der Rubrik Kleine Helfer finden sich etwa einfachste Umrechnungstabellen für Ei- oder Butter-Ersatz. Darüberhinaus werden einige Gelier-, Verdickungs- sowie Bindemittel der veganen Küche aufgezählt. Das Inhaltsverzeichnis ist zweigeteilt, gliedert die Rezepte nach Jahreszeiten und nach Themen. Da wären Getreide- und Hülsenfrüchte, Kartoffeln, aber auch Teige, Dressings und Saucen, Cremes, Kleingebäck, Kuchen und quasi als Bonus 3 Zusatzrezepte. Dieser Zugang ist etwas dürftig, wenn auch alle 80 Rezepte hier aufgelistet sind. Nützlich wäre ein detaillierterer Index, einer, der den BenutzerInnen auch die Rezepte über die Zutaten erschließt, bspw. mit Seitenverweisen. Zur Verdeutlichung: Im Auberginenmus-Salat ist auch das Rüebli, das aber als solches nicht indexiert ist. Nun gut, die Autorin ist sichtbar bemüht, das ganze Werk sehr schlank zu halten. Das macht sich in der Beschreibung der Rezepte wohltuend positiv bemerkbar, die Zutaten gleiten fließend in den Kochprozess – workflow pur.
Zum Auftakt des Frühlings kredenzt uns Schuler Chinakohlpäckchen, ein Gericht, das nach 30 Minuten Arbeitszeit und 30 Minuten Garzeit auf dem Tisch stehen sollte. Die Pastinaken-Apfelsuppe sah bei mir ganz anders aus, aber auch nur, weil ich das vorliegende Rezept noch mit anderen Zutaten ergänzte, die gerade vorrätig waren. Sowas wünscht sich die Autorin auch ausdrücklich, versteht sie doch ihre Rezeptsammlung auch als Impulsgeber. Was mit vielen Rezepturen sehr gut funktioniert. Sehr überrascht war ich vom Blumenkohlsalat. Ein wunderbar mundendes Gericht, dessen Zubereitung schnell von der Hand ging. Mich verblüfft immer wieder die Verwandlungskunst dieses Kohls. Karfiol sagen die Österreicher zu diesem blumigen Gemüse. Das Fenchel-Carpaccia ein Ofengemüse, das mit Orangensaft verfeinert, wegen seiner Aromen überzeugte. Die Brotknödel mit Brotwürfeln, Reismilch und Gewürzen sind pure Reduktion in Kugelform. Das Reduzieren findet sich bei vielen Rezepten wieder und bedeutet Verdichtung von Geschmack, was die Sinne herausfordert.
In den Kapiteln Getreide-, Hülsenfrüchte und Kartoffeln finden wir alte Bekannte wie Falafel, Gnocchi oder Kartoffelstock, das mit Reismilch und Margarine pürierte Gericht ist doch etwas gewöhnungsbedürftig. Verbuchen wir das unter neue Geschmackserfahrungen – Milch ist eben nicht immer Milch.
Erstaunt hat mich die Vielzahl an Cremes, Kleingebäck und Kuchen. Und hier bewahrheitet sich Samiras einleitende Anmerkung, dass man auf nichts verzichten muss. Ja, man könnte sie sogar als Aufforderung verstehen, doch mal einen veganen Zitronencake oder eine vegane Zimtsterne zu backen. Und wenn dann das Griesamisu dem bekannten Tiramisu in seiner Wirkung bei den Testessern ebenbürtig ist, dann ist die Koch- und Backwelt wieder in Ordnung.
Zweimal d’Hälfti von Samira Schuler ist ein kleines feines Kochbuch, gut handhabbar im Kochprozess, und vielseitig an Rezepten für die saisonale Alltagsküche. Die meisten Rezepte sind hinsichtlich Arbeitszeit, Zutaten- und Kochaufwand sehr anwenderfreundlich. Man muss aber nicht Veganer sein, um mit diesem Rezeptbuch die Jahreszeiten mit ihren Gemüse- und Obstangeboten auf neue Art – eben vegan zubereitet – zu entdecken. Wer sich darauf einlässt, wird nicht enttäuscht werden. Wer dennoch vor dem einen oder anderen Gericht zurückschreckt, hat immer noch die Option der individuellen Anpassung. Die über 80 Rezepte zelebrieren die etwas andere Art Alltagsküche mit Frischegarantie.
Zuguterletzt erfahren Sie noch, was es mit dem Titel auf sich hat. In Schulers Kochausbildung bekam sie auf die Fragen “Wie lange muss man das kochen?” und “Wie viel braucht es davon?” immer als Antwort: Zweimal d’Hälfti.