Sascha Stemberg, Stemberg. Das Kochbuch.

Tradition trifft Moderne

Texte von Sarah Mia Zmija-Maurice

Mit Fotografien von Mario Stockhausen

DK | Dorling Kindersley Verlag, München, 2025, 240 Seiten, 29.95 Euro

ISBN 978-3-8310-5039-0
Vorgekostet

Heute reisen wir ins NIEDERBERGISCHE LAND.

Nach Nordrhein-Westfalen, zu einem Ort, der ca. 20 km nordöstlich von Düsseldorf liegt. Velbert, eine Kleinstadt, über die es nichts Auffallendes zu berichten gibt. Höchstens von diesem etwas abseits gelegenen Gasthaus, das neben der bergischen gehobene internationale Küche anbietet. Das wäre an und für sich noch nichts Außergewöhnliches, wäre da nicht der Haubenkoch Sascha Stemberg zu Gange. Er ist der Herr über die ‚Zwei Küchen von einem Herd‘ und verantwortlich dafür, dass regionale Hausmannskost in harmonischer Eintracht zu seiner Gourmetküche koexistiert. Wie diese Küchen-Affäre im Detail aussieht, ist nachzuschlagen in dem soeben im DK Verlag erschienenen Kochbuch: Stemberg. Das Kochbuch. Und weil im Haus Stemberg noch mehrere Generationen das Kochgeschehen beeinflussen, ist vieles möglich, wenn Tradition auf Moderne trifft.
Aufgebaut ist das Stembergsche Kochbuch klassisch. Auf der Speisekarte stehen hier zuallererst Vorspeisen, die von Suppen & Eintöpfe abgelöst werden. Dann muss man sich entscheiden, ob man Vegetarisches, Fisch & Meer bevorzugt oder doch lieber Fleisch & Geflügel. Hat man sich entschieden, taucht meist unverhofft die nächste schwierige Frage auf: Dessert, ja oder nein. Hier, natürlich ja, und das wäre in der Regel auch die letzte Rubrik auf der Speisekarte. Aber nicht im Kochbuch, da gibt es noch einen Schlenkerer zu den Basics & Beilagen, wird Grundwissen vermittelt, das man allerdings immer gebrauchen kann. Dieser inhaltliche Verlauf ist gleichzeitig die Kapitelfolge; dazwischen eingestreut sind noch einige Geschichten, ohne die das Haus Stemberg nicht das wäre, was es heute ist. Ein Familiengasthof, der mehr ist als die Summe seiner Rezepte. Ein eigener Kosmos, der durch die einzelnen Charaktere bewegt und belebt wird, wie Sascha einleitend anmerkt.
Das Bild von frischen Feigen, die ‚leicht anzüglich‘ in kräftigem Lila auf braunem Backpapier gebettet sich präsentieren, lässt Vorfreude darauf aufkommen, was uns im Vorspeisenkapitel noch erwartet. Hier beginnt die Magie eines jeden Menüs, heißt es treffend. Bretonische Sardinen mit Knoblauch und Sauerteigbrot wie auch das Sylter Krabbenbrot mit Kräutersalat und Senfcreme sind eine Entlehnung aus der apulischen Küche. Dicke Sauerteigbrotscheiben, vorzugsweise auf einem Holzkohlengrill geröstet, bilden die Böden, die mit Köstlichkeiten der Nordsee belegt werden. In dieser Abteilung bedient sich der Koch lokaler Spezialitäten wie eben der Urtomaten aus der Eifel oder der Königsmatjes oder der Kalbskopfmaske als Grundlage für den lauwarmen Kalbskopf mit Sauce Tartare, was dann schon sehr speziell ist. Jedenfalls wartet Stemberg mit einigen Überraschungen auf, frei nach dem Motto: Manchmal braucht es nur Mut und Kreativität, um etwas Neues zu schaffen, das am Ende alle lieben. Mein persönlicher Renner wurde das Schwarzbrot mit Räucheraal und Schnittlauchrührei. Apropos Schwarzbrot: Nördlich von Frankfurt am Main ist Schwarzbrot gleich Vollkornbrot.
Dem Kapitel Suppen & Eintöpfe könnte man verfallen, wenn man nicht wüßte, dass in weiterer Folge noch jede Menge weiterer Rezepte darauf warten, entdeckt zu werden. Interessanterweise sind es bis auf den kleinen Bohneneintopf mit Chorizo und Tomaten alles Suppen, die hier vorgestellt werden. Mehr oder weniger exklusive Brühen, die in erlesenen Suppenschalen serviert werden, präsentieren sich wie auf dem Laufsteg in feinster Keramik. Stemmis Graupensuppe mit gebratener Mettwurst erinnert mich an die Zuppa Toscana mit Salsiccia, lässt Anleihen aus dem Süden erkennen. Dem Koch Sascha Stemberg scheint es ein Anliegen, gehobene Küche mit der lokalen, einfachen zu verknüpfen. Bedingung sind mördermäßig gute Produkt-Qualität und sich seiner Linie treu zu bleiben wie auch dem Gast, in diesem Falle Kochbuch-Anwender, alle Freiheiten zu lassen, sich zwischen Graupensalat oder Kaisergranat bzw. Blutwurst oder Kaviar zu entscheiden. Und wenn ich aus der Abteilung Vegetarisches, Fisch & Meer den Zander mit Blutwurst auf gerahmtem Rieslingkraut baue oder das Gericht vegetable ummodle und statt Blutwurst gebratenen Räuchertofu oben drauf setze, so ist das meine Sache. Herausragend gut geschmeckt hat mir etwas anderes, nämlich der Steinbutt mit Senfsauce und Spinat. Der Butt sieht zwar aus wie ein Faustkeil, ist aber ein großes Stück purer Fisch, quasi ein Trockenschwimmer, denn er wird nur leicht umspült von der Senfsauce. Was eine interessante Geschmackskombination mit dem Spinat ergibt.
Ein Kapitel später fällt das Cordon bleu vom Maishuhn mit Rahmerbsen und Karotten auf. Fast schon genial ist der Einfall, das Hühnchen als natürliche Fleischtasche zu nützen. Mit Schinken und Käse gefüllt, bekommen die Hähnchen ein fabelhaftes Äußeres wie aus Hyronimus Boschs ‚Garten der Lüste‘ entsprungen. Die Königsberger Klopse mit Kapern-Velouté lockten bei meiner Liebsten nur ein müdes Lächeln hervor. Nichts geht über ihre Klopse behauptet sie, was eine Wette nach sich zog mit einer unabhängigen Jury. Ihre werden gegen meine, d.h., Saschas Klopse, antreten, in absehbarer Zukunft. Und so hatte ich Zeit, den Rehrücken mit Selleriepüree und Sanddorn auszuprobieren. War mein Selleriepüree, nach Andrea Karrer zubereitet, bisher ein simples, tadellos und relativ schnell gestricktes Püree, so ist die Sascha-Variante schon eine zeitintensivere Angelegenheit, müssen doch Butter, Wein, Sahne und Gemüsebrühe zunächst auf die Hälfte eingedampft werden. Alles in allem war das Wildfleisch ein exquisites Essen, was mir mein Sohn Benjamin sofort bestätigte. Eine Besonderheit die leicht säuerlichen Beeren, die dem Essen förmlich Kraft verliehen, so mein Eindruck. Von hier zum süßen Schlussakkord, wie die Texterin Sarah treffend das Dessert-Kapitel einleitet, ist es wahrlich nur ein Katzensprung. Ein Foto eines einzelnen Apfels auf einer Handfläche, fast die ganze Seite einnehmend, leitet über zum Süßen, dem krönenden Abschluss eines jeden Dinners. Auch ohne Hinweis auf die Apfelsorte, läuft mir, dem Betrachter, im Vorfeld des zu Erwartenden buchstäblich das Wasser im Munde zusammen. Wäre ich ein Schokofan, würde ich mich sofort auf Omas Schokopudding mit Kakaosand und Vanilleeis stürzen. Aber da dem nicht so ist, überraschte ich meine Lieben mit einer etwas eigenwilligen Interpretation der Buchteln mit Vanillesauce und war selbst über die Flaumigkeit der süßen Hefeknödel überrascht. Warten dagegen muss der Birnen-Nuss-Crumble, diesen habe ich mir aufgehoben für die nächste Geburtstagsfeier.
Die ultimativ letzten Rezepturen sind in den Basics & Beilagen zusammengefasst. Da trifft man auf alte Bekannte der Alltagsküche, die man immer wieder benötigt, ob helle oder dunkle Saucen oder Salate oder Knödel. Auch auf das schon erwähnte Selleriepüree oder den Fregola-Risotto usw..
Stemberg. Das Kochbuch von Sascha Stemberg ist geerdet und abgehoben zugleich. Im Angebot sind Wohlfühlrezepte genauso wie Bodenständiges und global Raffiniertes aus der Land- oder Fusionsküche. Einige Ingredienzien gehören offensichtlich zu Saschas Lieblingen, tauchen häufiger auf wie Blutwurst, Pilze und Spargel. Gelegentlich schiebt sich auch Exotisches oder weniger Bekanntes ins Rezeptfeld, so die Jahrgangssardinen oder der Pommerysenf oder der Tomatenessig … da wäre ein aufklärendes Glossar hilfreich. Hervorragend ausgestattet ist das Rezept- und Zutatenregister, sodass kaum eine Frage unbeantwortet bleibt. Darüberhinaus können 10 Rezepte als Video abgerufen werden. Praktisch dem Cheffe beim Kochen zuschauen. Der vertritt natürlich einen hohen Qualitätsstandard. Dieser Perfektionismus auf allen Ebenen ist auch im Kochbuch spürbar. Erstrangig die Aufnahmen von Mario Stockhausen, die die Freude am Essen vermitteln wie auch den Respekt zum Land und den darin vorkommenden Protagonisten spiegeln. Ob das Produzenten sind, das Küchenpersonal oder die Familie und Freunde. Die Texte sind blitzgescheit und von großartiger Leichtigkeit, sodass man sich wünschte, Sarah Mia Zmija-Maurice hätte mehr verfasst. Mit diesem Kochbuch wird man geerdet und fühlt sich gleichzeitig im siebten Sternenhimmel.