Heute besuchen wir NIEDERSACHSEN.
Das zweitgrößte von den 16 deutschen Ländern ist bei den meisten so unbekannt wie nur irgendwas. Hannover, die Landeshauptstadt, mag Spuren in unseren Köpfen hinterlassen haben, vielleicht ist es die Expo 2000 oder jemand erinnert sich an den Puwo, eine Kreuzung zwischen Pudel und Wolf, die an der ältesten veterinärmedizinischen Hochschule Deutschlands durchgeführt wurde. Aber was es in Braunschweig, Oldenburg, Salzgitter, Hildesheim oder Osnabrück an Interessantem gäbe – uns, nein, mir fällt nichts ein. Doch: In Osnabrück gibt es das sehenswerte Felix-Nussbaum-Haus; das erste Gebäude vom Architekten Daniel Libeskind. Sie wissen schon, der dann das jüdische Museum in Berlin gebaut hat. Aber das ist heute nicht unser Thema. Denn heute dreht sich alles um eine andere Konstruktion, um die Gemüsekiste, die in Niedersachsen auch Bauerntüte heißt. Was man mit dem Inhalt der Gemüsekisten machen kann, damit hat sich Stefanie Hiekmann auseinandergesetzt. Und die lebt in Wallenstein nahe bei Osnabrück.
Stefanie schreibt und fotografiert nicht nur zum Thema Essen, sondern sie entwickelt auch Rezepte und das sehr erfolgreich. Ihr neuestes Werk, Das Gemüsekisten Kochbuch ist gerade im Verlag Dorling Kindersley herausgekommen. Darin geht es um nicht weniger als 100 Rezepte, die das saisonale Kochen unterstützen und die auf 12 Monate und damit 12 Kapitel verteilt sind. Eine schöne Idee, versorgt uns doch die Autorin mit so vielen Rezeptideen, dass wir das ganze Jahr über Gemüsegerichte auf den Tisch bringen können. Es gibt keine Ausrede mehr, vom Frühling bis zum Winter werden hier alltagstaugliche Gemüserezepte angeboten. Zudem werden mehr als 300 Varianten aufgezeigt, also Tauschmöglichkeiten, die darlegen, welche Gemüse durch andere ersetzt oder variiert werden können. Stefanies Anspruch ist, mit der Gemüsekiste frischen Wind in die Küche zu bringen. Ausgangspunkt sind die Gemüse der Saison, also frisch geerntetes Grünzeug, das in den entsprechenden Monaten zum Kochen zur Verfügung steht. Um eine Vorstellung zu bekommen, schauen wir uns den Jänner, Juli und Oktober an. Lauch, Chicorée, Rotkohl, Schwarzer Rettich und Topinambur stehen für 01, während Blumenkohl, Erbsen, Gurken, Zucchini und Zuckerschoten in 07, dem Juli, hoch im Kurs stehen und für 10 die Gemüsekiste Hokkaidokürbis, Shiitakepilze, Wirsing, Petersilienwurzel und Zwiebel bereithält.
Aber jetzt kommt noch das Kleingedruckte ins Spiel, quasi die Fußnote mit dem Hinweis: TAUSCH MAL. Und da wären die Ideen, anstelle des Kürbis bspw. Süßkartoffeln, Karotten oder gemischtes Wurzelgemüse zu verwenden. Oder dem Lauch angemessene Tauschpartner wären Spargel, Stilmus, Spinat, Mangold, Kirschtomaten, Paprika, Pfifferlinge, Kräuterseitlinge oder Puntarelle. Ein wirkungsvolles wie einfaches Prinzip. Beliebig erweiterbar mit eigenen Ideen und Vorstellungen. Diese Tauschbörse katapultiert das Kochangebot so in den Rezeptehimmel. Das kann man durchaus als kleinen Geniestreich betrachten, wenn auch die Idee nicht sooo neu ist. Aber hier zählen Taten und Stefanie hat sich einiges überlegt und umgesetzt, was sie zum Teil bereits in anderen Kochbüchern schon praktiziert hat. Das Spiel mit den Gewürzen, die richtig ausgewählt und dosiert, viele Gerichte neudeutsch gesagt boosten, also stärken und erhöhen. ‚Mit von der Partie‘ sind Ras el Hanout, Kreuzkümmel, Curry, Baharat, um einige zu nennen, die besonders vielseitig im Einsatz von Gemüsegerichten sind. Hier erlebt man deftige Hausmannskost genauso wie die Sterneküche.
Bleiben wir beim ersten Gericht im Januar. Da gibt es einen italienischen Klassiker, die Carbonara mit Lauch. Ich hatte bisher keinen Gedanken daran verschwendet, die Carbonara mit Grünem aufzupeppen. Aber es funktioniert und zudem sehr schmackhaft. Überhaupt scheint dieses Arrangieren, das miteinander Kombinieren eine Stärke der Autorin zu sein. Jedenfalls wird es nie langweilig. Der Caesar Salad mit Chicorée und Mandarine lässt darüberhinaus noch mehr Variationsmöglichkeiten zu; einmal, um den Chicorée durch anderes zu ersetzen und zum anderen können die Mandarinen durch Birnen, Trauben Pfirsiche usw. ausgetauscht werden.
Zwischen den Rezepten eingestreut sind noch weitere grundsätzliche Informationen und Basisrezepte. Da erfährt man ein bisschen über den Grünkohl, wie er vergleichsweise in den USA, in Italien und in Norddeutschland in der Küche verwendet wird. Zusätzlich ist ein etwas gesünderes Chips-Rezept bereitgestellt, wenn wir schon vor dem Fernseher sitzen und die EM gucken, dann mit selbstgemachten Grünkohl-Chips. Und wenn wir nicht fernsehen, sondern grillen, dann wollen wir bitte gerösteten Blumenkohl mit Sommerfrüchten. Ein Salat der anderen Art, in dem sich Kirschen, Johannis- und Heidelbeeren, Zwiebel und Paprika mit dem Blumenkohl vereinen. Auch hier werden wieder unzählige Variablen aufgelistet: Pfirsiche oder Nektarinen anstelle der Heidelbeeren, Aprikosen statt Kirschen usw. Des Weiteren setzt sich Stefanie noch mit dem Vorurteil des langweiligen Blumenkohls auseinander wie auch mit der Frage: Wohin mit all den Zucchini?
Zu beiden gibt sie Vorschläge weiter, etwa den Karfiol fein hacken, dass er eine reisähnliche Konsistenz bekommt und in der Pfanne herausgebraten einen guter Reis-Ersatz darstellt. Auch die Zucchiniflut lässt sich eindämmen bspw., indem man ihn grillt mit Kräuteröl oder ins Ratatouille verpackt.
Ausgeschaut habe ich auch nach den Steckrüben. Dazu bietet Stefanie eine Steckrüben-Karotten-Suppe mit Mettenden an und für die, die wie ich nicht wissen, was Mettenden sind, kommt hier die Aufklärung; eine grobkörnige, geräucherte Kochwurst – typisch deutsch! Ich hätte natürlich darauf gewettet, dass zu dieser Raps-Unterart oder Runkel, wie man bei uns in Tirol sagt, ein typisch niedersächsisches Gericht kommt, eben der Steckrübeneintopf. Dass das nicht so ist, konnte ich schnell herausfinden über die hervorragenden Register. Der Inhalt des Gemüsekisten Kochbuchs erschließt sich nämlich fast lückenlos über ein ausführliches Stichwort- und über ein Rezeptregister.
Das Gemüsekisten Kochbuch von Stefanie Hiekmann ist mehr als eine Inspiration. Kurzweilig und phantasievoll manövriert sie mit ihren Rezeptvorschlägen durch das Jahr mit Gerichten, die sehr abwechslungsreich sind wie eben die Jahreszeiten. Hier findet jeder seine vegetarische Kochnische, könnte man salopp sagen. Wer hineinblättert wird nicht so schnell wieder herausfinden. Zu viel Entdeckenswertes an Kochideen lassen die Zeit wie im Fluge verstreichen, und dann ruft Das Gemüsekisten Kochbuch: Auf in die Küche!