Heute fahren wir nach BERLIN.
Dort begegnen wir einem knappen Dutzend gastrosexueller Männer. Sie haben richtig gehört: gastrosexuell – ja hallo, was ist das? Sex in der Küche? Oder Sex mit Küchengeräten? Diese Fragen werden im Epilog, also in der Nachrede, die eigentlich ein Vorwort ist, gestellt. Und zwar in einem kleinen, handlichen Kochbuch, in welchem elf Männer, die in Berlin leben, vorgestellt werden. Gemeinsam ist ihnen, sie brennen fürs Kochen. Die Brandherde unter Kontrolle gebracht hat die Designerin Svenja Jelen. Sie besuchte die gastrosexuellen Zündler in ihrem heiligsten Refugium – der Küche -, notierte ihre Highlights an kreativer Küchenarbeit sowie ihre Gedanken über Kochen und Essen und publizierte sie. Gastrosexuell, so der knappe aber eindeutige Titel, ist im Delius Klasing Verlag erschienen. Und wenn man dann das Kochbuch einfach so durchblättert, wird schnell klar, dass es mit Sex in der Küche nichts zu tun hat, dafür aber mit Leidenschaft umso mehr. Und weil dieser Epilog die eingangs gestellten Fragen so schön beantwortet, wird ausnahmsweise mehr davon übernommen. Da heißt es dann:
„Gastrosexuelle Männer sind Männer, die privat auf Gastroniveau kochen. Die schon die Auswahl der Produkte beim Einkauf zelebrieren. Und die gerne ihre Familie und ihre Freunde mit den neuesten geschmacklichen Kreationen verwöhnen. Dabei reicht die Spannweite vom Gastrosophen, der seltener kocht, dafür aber umso mehr gutes Essen zu schätzen weiß, bis hin zum Vollblut-Gastrosexuellen mit einer nahezu perfekt ausgestatteten Küche mit imposanten Geräten und dem Wissen über sämtliche Schnitttechniken und Garmethoden.
Selbstverständlich gibt es auch viele Frauen, die sich auf mindestens ebenbürtigem Niveau in der Küche auskennen. Doch ist dies von je her das klassische Feld der Frau. Umso spannender ist es deshalb zu beobachten, wie sich Männer mit der Emanzipation der Frauen entwickelt haben.
Das Konzept: Männer in ihren Küchen besuchen, sie interviewen und fotografisch dokumentieren. Erfahren, was sie antreibt. Wissen, woher ihre Leidenschaft für gute Küche kommt. Wo sie die besten Produkte bekommen. Was in ihrer Küche nicht fehlen darf. Und selbstverständlich den natürlichen Lebensraum des gastrosexuellen Mannes – die Küche – hautnah erleben. Es geht dabei nicht nur um Fleisch und die größten und teuersten Küchengeräte. Sondern um Menschen mit einem ästhetischen Sinn und dem Gespür für den ultimativen Geschmack.“
Aber ehe wir zum Eigentlichen, den Rezepten, kommen, werden praktische Küchenhelfer vorgestellt. Nice to have überschriftet Gerätschaften, die in vernünftig ausgestatteten Küche vorhanden sein sollten. Das beginnt mit Backmatte, -pinsel, Dampfgarer und endet beim Vakuumiergerät. Letzteres findet sich in meiner Küche nicht, wiewohl ich manchmal gerne eines besäße. Auch einen Sousvide-Garer, eine Espuma-Flasche, eine Foodzange sowie Induktionsherd besitze ich nicht und bin bis jetzt ganz gut klar gekommen. Aber vielleicht gehöre ich auch nicht zur Sozietät der Gastrosexuellen, wiewohl ich sehr gerne meine Experimente in der Küche mache. Aber dann habe ich es doch kapiert: Es geht nicht um must have, sondern es sind die Arbeitswerkzeuge, mit welchen die vorgestellten gastrosexuellen Köche in ihrer Küche hantieren. Was für manchen die Märklineisenbahn ist, ist für Küchenfetischisten der Flambierbrenner oder der Kartoffelstampfer oder der Teigschaber.
Und damit stoßen wir unweigerlich zum Kern der Sache des Kochbuchs vor. Elf Männer, zwischen 20 und 60 Jahre alt, in unterschiedlichen Berufsfeldern tätig, die aber doch irgendwie mit Kochen und Küche zu tun haben, stellen sich ihrer Leidenschaft. Keine Hausmannskost! Es sind persönliche Kreationen mit dem Hauch des Exclusiven. Jeder hat ein eigenes Kapitel, das zu Beginn den Koch mit einem großformatigen Schwarzweißporträt und seinem Menü vorstellt. Da ist Felix, der eine Bouillabaisse mit Baguette und Sauce Rouille sowie einen Bananenkuchen serviert. Johannes und Henning, die Temperaturfühler und Marmorierungsfanatiker, kreieren als Vorspeise eine heiß geräucherte Entenbrust mit wildem Spargel und als Hauptgericht ein Sousvide gegartes Steak (Txogitxu) mit Kartoffelpüree und süßen Möhrchen. Und jetzt wollen Sie wissen, was ein Sousvide-Garer ist. Mit diesem Gerät können in einem Plastikbeutel eingeschweißte Nahrungsmittel schonend in einem Wasserbad bei konstanter Temperatur langsam gegart werden. Anders läufts bei Christoph. Er geht mit Chili hart zur Sache und zerbröselt ihn für eine Süßkartoffelsuppe mit Chili in seinem Steinmörser. Unkompliziert und sehr gut ist diese Suppe. Von Jörg, einem Foodfotografen, habe ich mir die Kürbis-Möhrensuppe und den Herbst-Risotto abgeschaut. Wohlwollend wurden beide Gerichte von den Mitstreiterinnen meiner Literaturrunde bis aufs letzte Reiskorn aufgegessen. Dazu kam mir Jörgs Devise, „Rezepte, die einfach sind, an denen man nicht 3 Stunden einkaufen und rumfummeln muss“, sehr entgegen. Es gäbe noch einige Rezepte und Gastrosex-Köche, die hier vorgestellt werden sollten. Ihre Kreationen, ob einfach oder kompliziert, sind kulinarischer Hochgenuss pur. Schön auch, dass diese elf Männer uns einen Blick in ihre private Küche gönnen und ihre Vorstellungen vom Kochen mitteilen. Damit wird der gastrosexuelle Ansatz zu einem gastrosophischen, hervorragend umgesetzt in der Aufmachung des Buches. Inhaltlich klar strukturiert, den unterschiedlichen Koch- und Küchenkonzepten – hinsichtlich Text und Fotografien – gerecht werdend, mit einem ausführlichen Anhang von Bezugsadressen (deutschlandweit) und übersichtlichem Index, ist dieses Werk fast zu schön für die Küche. Hervorstechend in Aufmachung und Format. Senfgelber Kopf-, Fuß- und Vorderschnitt inklusive Lesebändchen veredeln es zusätzlich. Es gibt aber auch einen QR-Code, mit dem man alle Rezepte herunterladen kann, so dass das Buch von Kochkleksen verschont bleibt.
Aber am Ende lassen wir den Literaturkritiker Denis Scheck zu Wort kommen, der im Vorwort schreibt: „Immer mehr (Männer) machen sich Gedanken darüber, was auf den Tisch kommt. Immer unabweisbarer die Ahnung, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Achtsamkeit, die ich dem Essen schenke, und anderen Bereichen gesteigerter Achtsamkeit wie Kunst, Literatur oder Musik. Und immer geringer ihre Lust auf verdummende Uniformität.“ Also: Schwören wir den Fertiggerichten ab und stellen uns in die Küche, mit dem Kochbuch in der Hand und kochen uns einen Erbsenrisotto mit Parmesan und Radieschengrün nach einem Rezept von Florian.