Heute geht es nach APULIEN.
Fährt man die Landesgrenzen Apuliens mit einem Bleistift auf einem Pergamentpapier nach, stellt man erstaunt fest, dieses Land hat die Form eines Seepferdchens. Den Kopf in Richtung Griechenland ausgerichtet. Eng schmiegt es sich an das Südende der italienischen Halbinsel und bildet mit dem weit ins Meer hineinragenden Sporn den Absatz des Stiefels. Puglia nennen die Einheimischen ihr Land. Reich an Hartweizen ist Apulien auch die Kornkammer Italiens. Das Getreide ist eines der vier Säulen dieser Region und wird vor allem zu Pasta verarbeitet. Deutlich ist das Nord-Süd-Gefälle spürbar, das sich auch in der Küche ausdrückt. Als Cucina povera, Küche der Armen wird sie bezeichnet. Entlang der Küste fischlastig, im Landesinnern bäuerlich tradiert, wird sie oft mit rückschrittlich gleichgesetzt. Ein Missverständnis, denn sie ist mehr. Sie ist Ausdruck einer Vielfältigkeit, die aus unverfälschten Zutaten und Phantasie entsteht, umschrieb Carmen Lasorella einmal die Kochkultur ihrer Heimat. Apulien hat viele Eroberer kommen und gehen sehen, dementsprechend vielen kulinarischen Einflüssen war dieses Land auch ausgesetzt. Und so ist es nur recht, wenn jemand sich der Küche Süditaliens annimmt und darüber schreibt. Herausgekommen ist ein stattlicher Band: Apulien – Das Kochbuch von Tara Stevens, das im Edel Verlag erschienen ist. Es ist eine Reise durch die Provinz mit Stopps in den größten Städten Foggia, Barletta- Andria-Trani, Bari, Tarent, Brindisi und Lecce. Mit einem Abstecher – das wird im Titel unterschlagen – in die Region Basilikata. Nach Potenza und Materna führt uns da die Route. Es werden also zwei Regionen erkundet, die unter Italienreisenden eher wenig Beachtung finden. Dabei, und das zeigt sich sofort beim ersten Durchblättern, führt uns die Autorin durch eine umwerfend schöne und geschichtsträchtige Landschaft. In einigen Küstendörfern wird noch ein altgriechischer Dialekt gesprochen, Überbleibsel der Landnahme vor über 2500 Jahren. Jahrhunderte später kamen die Araber und brachten bspw. Auberginen, Mandeln und Gewürze mit. Im 12. Jahrhundert lebte der Staufer-Kaiser Friedrich II., ein Feinspitz, der die apulische Küche mit seinen Banketten nachhaltig beeinflusste. Gebratener Aal mit Essigsauce genoss er, dazu das lokale Altamura Brot und herrliche Käsesorten wie Provolone und sizilianischen Pekorino. Der extravagante Burrata, ein buttriger Frischkäse, kam erst in den 20er Jahren des 19. Jahrhundert in die apulische Küche. Dieses und mehr erfährt man aus der Einleitung, in der auch die wichtigsten Feste und Märkte übers Jahr verteilt, erläutert werden. Es sind überwiegend Erntefeste und daher verwundert es nicht, dass die meisten auf die Monate Juli und August entfallen. Da gibt es das Fischfest in Lecce, das Fleischklöschenfest in Tarent, das Octopusfest in Bari, das Bohnenfest in Potenza und viele andere.
Die Reise beginnt in Foggia der nördlichsten Stadt und Provinz Apuliens. Hier hatte Friedrich II. seine Winterresidenz. Umfassend beschreibt Tara Stevens die kulinarischen Eigen- und Besonderheiten dieser Provinz. So werden im Hinterland jährlich über 2 Millionen Tonnen Eiertomaten geerntet und in Dosen verpackt in die entlegensten Winkel Europas verfrachtet. Mattinata, ein mittelalterliches Dörfchen, ist das Ziel vieler Käsefreunde. Nur dort wird der Canstrato hergestellt, eine Mischung aus Ziegen- und Schafsmilch, der 60 Tage lang in handgeflochtenen Weidekörben reifen muss. Die mehrseitige Einleitung ist Prinzip und wird bei allen Städte- bzw. Provinzstationen – die gleichzeitig die Kapitel darstellen – angewendet. Dann folgen die Rezepte. Dazwischen, lose eingestreut, sind kurze Episoden, die ein Thema oder Stichwort ausführlich erläutern, etwa Auberginen, Lamm, Zichorie, Orecchiette die Ohrennudeln, Stängelkohl, Altamura Brot, Fenchel, Matera und einige mehr.
Nun zu den Rezepten: Von den 50 Rezepten sind einige bekannt aus Süditalienreisen, d.h. aber nicht, dass sie identisch sind. Bspw. gibt es hier auch den sizilianischen Timballo, ein Nudel-Fleisch-Auflauf, aber ganz anders zubereitet. Ohne Zitroneschalen und Rosinen und in Ringform. Oder die Tiella, ein Schmortopfgericht das in ganz Italien gekocht wird, nur mit anderen Zutaten. Die Tiella mit Reis und Muscheln verbindet die apulische Küste mit der Poebene. Phantasiereich und überraschend sind viele Gerichte. Ausprobiert habe ich auch die Fussili mit Bröseln, ein sehr würziges Gericht, das von vier gesalzenen Sardellen dominiert war. Hier wäre die Mengenangabe in Gramm für den Fisch wahrscheinlich hilfreicher gewesen. So waren die Fusilli im ersten Versuch etwas streng gesalzen. Aber Kochversuche ohne Fehlschläge gibt es nicht. Problemlos dagegen ließen sich die Tagliolini dell‘ Ascensione zubereiten. Diese schmalen Eier-Bandnudeln stammen ursprünglich aus dem Piemont; in Apulien werden sie mit Kuhmilch – in manchen Gegenden mit Schafsmilch – und Zucker angerichtet. Die Himmelfahrts-Tagliolini, wie sie übersetzt heißen, werden heute noch in einigen apulischen Dörfern an Christi Himmelfahrt gereicht. Zurückhaltend in der Menge, servierte ich die Tagliolini meinen ‚milchreisgierigen‘ Söhnen, die dieses einfache Gericht – an die Stelle des Reis treten die Bandnudeln – in die Liste der ‚wiederkehrenden‘ Süßspeisen aufnahmen.
Eine besondere Entdeckung ist das Bohnenpüree nach Art Friedrich II., das mit einer süßsauren Sauce garniert, eine neue Erfahrung für mich war. Das Rezept für das aromatische Bohnenpüree wurde eingeordnet. Und es gibt noch mehr zu entdecken in den Küchen der südöstlichsten Povinzen Italiens: Etwa die Auberginenröllchen oder die Gefüllten Auberginen mit Tomatensauce oder die Schokofeigen und und und.
Apulien – das Kochbuch ist ein wunderschönes, solide gemachtes Werk. Großartige Fotos mit einem leichten englischen Hauch und vielversprechende Rezepte machen Lust zum Nachkochen und überhaupt den Koffer zu packen.
Noch ein Hinweis: Im Buchhandel und Internet wird als Autorin Tara Russel angegeben.