Heute reisen wir zur SONNE.
Nein, wir fahren nicht in den sonnigen Süden auf Urlaub, begeben uns nicht mit einem Liegestuhl bepackt ins städtische Schwimmbad auf die Liegewiese zu den Sonnenanbetern. Schlagen auch nicht den Science Fiction Roman Drei Sonnen auf, um die Kunst der Dehydrierung zu erler- nen, die die außerirdischen Trisolarier anwenden, wenn es zu heiß wird auf ihrem Planeten. Heiß soll es werden diesen Sommer – ja! ja! Klimaveränderung. Die Sonne wird scheinen, aber nicht nur zum Nachteil. Gartenfreunde lieben die Kraft des Feuerballs, hegen, pflegen und gießen ihre Babies. Dieses Jahr soll ein gutes Erntejahr werden. Alle freuen sich. Auch die Bäume tragen so viel wie schon lange nicht mehr. Aber irgendwann im August, so in etwa, kommt der große Jammer. Man weiß es eh, aber das Kurzzeitgedächtnis blendet das Wissen darum einfach aus. Spätestens wenn die Ernteerträge derart übermächtig zu werden drohen, dass selbst das Verschenken der Gartenfrüchte an Freunde und Bekannte die Produktionsberge von Zucchini, Salaten, Wurzelgemüse etc. nicht wirklich kleiner werden lässt, erinnern wir uns an die immer wieder kehrende Frage: Was tun mit dem Überschuss? Dann ist der Punkt erreicht, wo guter Rat teuer ist. Einkochen und -frieren lautet eine Formel und funktioniert so lange, bis die Tiefkühltruhen rappelvoll sind. Minestrone, gefüllte Zucchinischiffchen und dergleichen hängen uns zum Hals heraus. Derweil scheint weiterhin mächtig die Sonne auf unser Haupt, droht mit Dehydration. Und wie ein Neuronenblitz schlägt der Sonnenstrahlen Kraft, nein, die Erinnerung an dieses Potenzial, das dem Überleben der Menschen seit Urgedenken dienlich ist, in unserer Birne ein: Trocknen! Dörren! Zwei Schlagworte, die uns aus der Misere des Zuviel an gesammeltem und produziertem Gemüse, Obst, Gewürzen, Kräutern, Pilzen, Fleisch und Geflügel helfen können. Trocknen & Dörren ist auch der Titel eines Handbuchs für Einsteiger, die sich mehr mit dieser Thematik auseinandersetzen wollen. Teresa Marrone, die Autorin, beschäftigt sich seit ihren College-Tagen mit Essensfragen und der Haltbarmachung von Lebensmitteln. Sie schrieb darüber Kochbücher und auch Guides für Sammler von Pilzen und anderen Waldfrüchten. Ihren Lebensmittelpunkt hat sie in Minnesota, im Nordosten der USA, nahe der großen Wälder und Seen aufgeschlagen, wo sie auch fleißig Früchte und dergleichen sammelt und konserviert. Teresa kann also auf einige praktische Erfahrungen zurückgreifen, das leiten wir von ihrem Interesse an den Früchten des Waldes, der Seen und des Gartens ab. Trocknen & Dörren wäre aber nicht zu diesem umfangreichen, aufklärenden Anfänger-Handbuch der Trockenkonservierung geworden, ohne ihre Mentorin Phyllis Hobsons. Deren Buch Making & Using Dried Foods, waren für Marrone die wichtigste Quelle an Informationen und Inspirationen, das betont sie ausdrücklich in ihrer Dankeswidmung.
Trocknen & Dörren ist in drei Hauptkapitel unterteilt, gleich einem logischen Stufenplan, von der Vorbereitung über das richtige Trocknen bis zum optimalen Punkt, wenn es darum geht, aus dem Dörrgerät das Beste herauszuholen, inklusive Rezeptesammlung. Das erste Kapitel führt ein, ist gleichermaßen der Theorieteil über Trocknen und Dörren ohne abzugleiten in naturwissenschaftliche Erklärungen oder Formeln. Hier wird erläutert, was es bringt Lebensmittel zu trocknen. Und weil das für viele von uns schon so weit weg ist, kaum archaisches Wissen zur Vorratshaltung vorhanden ist, sollen einige Stichworte uns auf die Sprünge helfen. Trocknen ist eine natürliche Methode, die Geld spart und Spaß macht. Große Ernten werden so platzsparend haltbar gemacht, lassen sich Nahrungsmittel zweckdienlich kategorisieren, bspw. als Notproviant, als Babynahrung, als Reiseproviant, als Geschenke oder für spezielle Ernährungsformen. In den weiteren Ausführungen geht es dann um die Grundlagen. Dieser Abschnitt soll/muss gelesen werden, denn hier werden die Basics, der rote Faden des Haltbarmachens thematisiert. Da geht es um die richtigen Temperaturen, die Auswahl und Bearbeitung des Trockenguts, den Reifegrad, Methoden, Bestimmen des Trockenheitsgrades und ums Lagern. In der Vorbehandlung, also vor dem Trocknen, wird zwischen zwei Methoden unterschieden, nämlich Blanchieren und Säuern. Beides hat Vor- und Nachteile gleichermaßen, wie auch bspw. Wurzelgemüse generell blanchiert werden sollte vor der Dehydrierung. In einem sehr alten Ratgeber über Die Kunst des Trocknens und Verpackens aller Arten von Gemüse und Wurzelgemüse heißt es, die russischen Bauern säuerten Pflanzen und Blattgemüse, um sie dann zu trocknen. Als Säuerungsmittel diente Essig oder es wurde die Milchsäuregärung in Gang gesetzt. Blätter von Steckrüben, Rüben und Rettichen, junge Triebe von Hopfen und Disteln, Haferwurzeln und viele andere Pflanzen, wurden einzeln oder gemischt eingesäuert. Oft wurden auch Zwiebeln oder Schnittlauch beigegeben. Nach dem Trocknen wurde alles leicht gesalzen und gepfeffert und in Behältern verpackt. Diese Mischungen wurden nach dem Einweichen für Suppen verwendet. Oder, sie wurden in die Roggen- und Gerstenteige fürs Zwieback gemischt. ‚Kohlzwieback‘ war ein beliebter Reiseproviant.
Dem richtigen Trocknen widmet sich das zweite gleichzeitig umfangreichste Kapitel. Dabei unterscheidet die Autorin zwischen Früchte und Gemüse, Kräuter und Gewürze, sowie Fleisch und Geflügel. Warum sie dabei den Fisch generell auslässt, ist nicht nachvollziehbar.
Den Hauptanteil bilden hier die mehr als 30 Gemüse- und Obstsorten, die lexikalisch geordnet sind. Äpfel, Aprikosen usw. Für jedes Trockengut wird, anhand eines immer gleichbleibenden Rasters, die entsprechende Verarbeitung aufgeschlüsselt. Das beginnt bei der Beschreibung des Rohprodukts und führt über vorbereitende Maßnahmen, der Frage, wann das Dörrgut fertig ist, sowie des Ertrages bis zu seiner Verwendung. Separat wird noch unterschieden, wie es sich bei unterschiedlichen Trocknungsmethoden verhält. Diese Anleitungen sind fotografisch sehr detailgenau dokumentiert. Was ungemein hilfreich für die Anwendung ist, da die Abbildungen mit einem Blick erfassen lassen, wie das Dörrgut vor und nach dem Trocknen/Dörren aussieht hinsichtlich Form und Farbe. Überhaupt sind die Fotos exzellent, sie stammen überwiegend von Adam deTour.
Sehr nützlich war für mich die kurze Abhandlung über Gewürze und Kräuter. Auch, weil ich nach der Lektüre meine Fehler erkannte und korrigieren konnte. Ich werde also in Zukunft Liebstöckl an der Luft trocknen. Darüberhinaus findet sich darin noch eine Reihe von Anregungen, was und wie, z. B. Ingwer, Wacholderbeeren, Hagebutten usw., zu dehydrieren sind.
Fleisch und Geflügel zu dörren war bis dato kein Thema. Aber Marrones Ausführungen, wie rotes und weißes Fleisch gedörrt werden kann, machen neugierig. Bisher beschränkte sich mein Trockenfleisch-Konsum auf Speck und Schinken. Nun kommen noch die gedörrten Versionen von Hackfleisch und Jerkey – Trockenfleisch – dazu. Vor allem weil sie für Berg- und Campingausflüge, überhaupt für Reisen wegen des geringen Gewichts und Volumens bestens geeignet sind; ein idealer Proviant mit hohem Proteingehalt. Fleischliebhaber bekommen in diesem Kapitel noch einige interessante Marinaden mitgegeben.
In Teil 3 geht es dann um das Beste. Gemeint ist einmal die Herstellung von Frucht- und Gemüseleder, kandierten Früchten wie auch deren Verwendung in diversen Rezepten und zum anderen, welche Gerichte mit getrockneten Lebensmitteln gekocht bzw. zusammengestellt in Gläsern für den Vorratsraum produziert werden können. Eine Minestrone-Suppenmischung im Glas aus ca. 14 Teilen sieht nicht nur gut aus, sie ist auch ein tolles Mitbringsel. Marrone bietet ein breites Spektrum an Gerichten für alle erdenklichen Gelegenheiten an. Ob fürs Campieren oder fürs Wandern, ob für den Hunger zwischendurch und überhaupt oder als Kraftspender. Die Palette reicht vom Apfelbrot aus der Pfanne über den Trockenobstriegel bis zum Jerkey-Schmorgericht.
Am Ende haben die Tüftler unter den Dörr- und Trocknen-Fans das Wort. Da findet sich nämlich eine sehr präzise Bauanleitung für ein Dörrgerät. Ultimative, letzte Worte sind aber dem umfangreichen Index geschuldet.
Schade finde ich, dass es keine listenmäßigen Zusammenfassungen gibt. Übersichten bspw. über unterschiedliche Dörrzeiten sowie Verwendungszwecke. Was ich zusätzlich vermisse, ist die Frage nach den Schädlingen, denn auch diese schätzen getrocknete Produkte.
Trocknen & Dörren von Teresa Marrone ist ein schön strukturiertes und wohldurchdachtes Arbeitshandbuch für all jene, die sich stärker mit dieser Art der Haltbarmachung von Lebensmitteln beschäftigen wollen. Man merkt der Autorin ihre langjährige Erfahrung wie auch ihre Begeisterung für Trocknen und Dörren an. Dieses Buch ist aber auch als Denkanstoß zu verstehen, denn es lässt uns über die Anwendung hinaus dem Trocknen von Apfel- oder Birnenspalten u.a., ein Stück weit unser Verhältnis zur Natur erkennen. Man muss sich nicht der Rousseau’schen Aufforderung, Zurück zur Natur, absolut hingeben. Es genügt, sich über das Trocknen von Tomaten, dem Herstellen von Apfelleder und anderem der natürlichen Lebensmittel in unserem eigenen Umfeld wieder bewusster zu werden. Der Gewinn ist ein doppelter: Zum einen ist es eine sinnliche Erfahrung, die Herstellung von dehydrierten Lebensmitteln und deren Konsum in Form köstlichen Knabberzeugs, aromatisch duftender Suppen, Eintöpfe, Kuchen und Kekse. Zum anderen schärfen wir unser Bewusstsein fürs Kochen, überhaupt für die Lebensmittel aus der Natur – für die Qualität von Naturprodukten. Man muss es ausprobieren und man darf staunen, was sich alles trocknen und dörren lässt.