Heute reisen wir in die einstige Enklaven und Kolonien Frankreichs.
Frankreich, das einmal die zweitgrößte Kolonialmacht der Welt war, hatte nach dem Zweiten Weltkrieg fast alle seine Überseebesitzungen verloren. Einige aber, wie die Inseln La Réunion bei Madagaskar oder Guadeloupe in der Karibik, sind noch immer französisches Staatsgebiet und die Bewohner somit Europäer, die auch bei den jüngsten EU-Wahlen ihre Stimmen abgaben. Keine Réunionistin, aber Europäerin ist Tessa Kiros, eine erfolgreiche Kochbuchautorin. Tessa, die in Italien lebt – ihre familiären Wurzeln sind in England, Finnland und Griechenland, also noch europäischer geht’s nicht mehr -, ist wiederum begeistert von Frankreich und seiner kolonialen Vergangenheit. Besonders hingezogen fühlt sich Tessa zur Provence. Vielleicht spürt sie instinktiv ihre griechischen Vorfahren, die vor viertausend Jahren an der Mittelmeerküste anlandeten, um Handel zu betreiben, und Spuren z. Bsp. bestimmte Gerichte hinterließen. Aber das allein ist es nicht, es sind auch die regionalen Stoffe, Farben und Muster der Provence, die sie faszinieren und an Indien erinnern.
Und schon beginnt eine Assoziationskette, die an die Geschichten französischer Entdecker und Eroberer anknüpft. Die Idee zu einer Reise an Orte und in Länder, die exotisch und gleichzeitig europäisch sind, ward geboren. Tessa Kiros ist eine Reisende in Sachen Kultur des Essens. Sie hat mittlerweile zehn Kochbücher darüber veröffentlicht. Ihr jüngstes Kochbuch folgt den Spuren französischer Abenteurer, an Orte, zu denen sie sich instinktiv hingezogen fühlt. Um fremde Speisen und Aromen kennen zu lernen und so mehr von den Würzen des Lebens zu erfahren.
Von der Provence bis nach Pondicherry ist der Titel ihres Reisekochbuchs, das im Gerstenberg Verlag erschienen ist.
Die Reise beginnt in der Provence. Sie führt uns zuerst über den Atlantik auf Guadeloupe, dem Inselparadies, das mit den französischen Aromen verschmilzt. Weiter reisen wir – so meine Vorstellung – mit dem Schiff, neuzeitlicher durch den Panamakanal, queren den pazifischen Ozean und gehen erst wieder in Vietnam an Land. Nachdem wir uns in Hanoi von den hübschen Vietnamesinnen in den traditionellen Seidengewändern verabschiedet haben, geht es weiter nach Pondicherry, einer 900-tausend Einwohner zählenden Stadt im Südosten Indiens. Der strenge Grundriss der Hafenstadt und die palmengesäumten Boulevards gehen zurück auf den Einfluss der französischen Ostindien-Kompanie. Mit einer herrlich duftenden Mango in der Tasche reisen wir ab; unser nächstes Ziel wird La Réunion werden. Auch hier entdecken wir exotische Früchte und Gewürze, die wir mitnehmen auf unserer weiteren Fahrt, die uns nun zurückbringt ins französische Mutterland. In Le Havre oder Dieppe gehen wir von Bord. Beide Hafenstädte liegen in der Normandie, und von beiden Häfen stachen französische Schiffe im 17. Jahrhundert auf zu ihren neuen Kolonien. Hier schließt sich der Kreis der Weltumsegelung. Die Stationen sind gleichzeitig die Kapitel dieses außergewöhnlichen Kochbuchs. Sie werden mit Schlagworten eingeleitet; im Hintergrund immer eine Karte dieser Region, mehr Andeutung und an alte Seekarten erinnernd, was eine geographische Orientierung zulässt. Unter Provence fallen Stichworte wie Boulle spielen, Marseille, Mittelmeer, Oliven, Lavendel, Paprika, Mandeln, Honig, schwarze Trüffel, also Alltägliches und lokale Produkte, die uns dann auch in den Rezepten wieder begegnen. Einfühlsam und sehr persönlich nähert sie sich dem vorzustellenden Landstrich, fast schon poetisch. „Ich fahre weiter, durch endlose Kilometer voller Leere und Schönheit. … Ich hatte viel über die typisch provenzalischen Impressionen gelesen – über die geschlossenen Fensterläden, die Sonne, die durch die Blätter der Platanen dringt, die ihrerseits ihre Schatten auf die Erde und Mauern werfen, das Zirpen der Zikaden und das Klirren der Pastisgläser aus den Bars. Das Leben fließt von einem ruhigen Tag zum nächsten … jeden Tag ein anderer Markt. Anchovis, Kräuter, Feigen und Trödel – Farben und Einrichtungsgegenstände, die ich mit nach Hause nehmen möchte.“ Es sind vor allem aber Rezepte, 165 Essensvorschläge, um genau zu sein, und Fotoerinnerungen, die Tessa mitgenommen hat und uns mit diesem Kochbuch vorstellt.
Zur Einstimmung vorab ein Amuse Gueule, das kinderleicht und schnell zubereitet ist: 2 Esslöffel Ziegenweichkäse mit Kräutern der Provence bestreuen, darauf 1 gehäuften Teelöffel Lavendelhonig und reichlich Pfeffer geben – bon appétit! Neben Klassikern wie Pissaladière, Bouillabaisse, Aioli und anderen, finden sich auch weniger bekannte Gerichte. Das Mangoldgratin als Beilage zu Fisch und Fleisch ist mal was anderes. Auch das Kaninchen mit Thymian und Knoblauch, d.h. mit frischem wilden Thymian angerichtet, und einen Makkaroniauflauf als Beilage ist ein Essen der Sonderklasse. Hier kommt der Duft der Provence mit den Kräutern zur vollen Entfaltung und als Zugabe Korsika mit seinen Makkaroni. Ein feiner Auflauf ist das Gemüsetian mit einem Mix von Aubergine und Zucchini. Besonders begeistert bin ich von der Zitronen-Tarte, wie sie in einem Hotel in Mougins gemacht wird. Und damit bin ich nicht allein. Auch Picasso war ihr sehr zugetan. Tessa erhielt das Rezept von Luigi, einem Freund, der diese Tarte seit unzähligen Jahren bereits kreiert. 3-4 Zitronen tragen hier zum Erfolgsgeheimnis bei.
Schwer kann man sich von Provence losreißen, aber es muss sein. Gibt es doch noch vieles zu entdecken.
In Guadeloupe umgarnen uns Aromen, die nicht immer eindeutig zuzuordnen sind. Guaven, Mangos, Papayas und Lychees sind dort heimisch wie auch Kokosnüsse, Kochbananen, Brotbaumfrüchte. Dazu kommt der betörende Duft von roten und grünen Piment wie auch Zimt oder Stockfisch. Hier wird einem warm ums Herz, vereinen sich doch in den Gerichten die Kochstile unterschiedlichster Kulturkreise. Auf Creolisches trifft Indisches, trifft Französisches, trifft Afrikanisches. Die rostrote, würzige Fischsuppe von Madame Clothilde ist ein Schlager der dortigen Alltagsküche wie auch das Hähnchen-Colombo, das Nationalgericht Guadeloupes. Und schon wird man wieder auf den Boden der Realität geholt, mit einfachen aber köstlichen Gerichten verwöhnt. Dazu zählt für mich Reis und Bohnen, oder Joelles Gemüsesuppe, die zum Schluss mit einer Handvoll Zuckerschoten verfeinert wird. Auch das kreolische Ratatouille, das sich nicht gerade großartig von der provenzalischen Schwester unterscheidet, ist eine Versuchung wert. Statt Zucchini werden Kürbis und Gurke beigemengt sowie Chayote, eine tropische birnenförmige Kürbisfrucht. Sie ist eine Mischung aus Papaya und Kohlrabi. Wenn Chayote vorgeben werden, ersetze ich sie durch Kohlrabi. Gelegentlich tauchen in den Rezepten exotische Zutaten auf, von denen die allermeisten im Asiashop erhältlich sind. Am erstaunlichsten fand ich, dass Tessa nach Vietnam fahren musste, um uns ein französisches Baguette zu präsentieren. Das wohl französischste Baguette außerhalb Frankreichs. Und damit sich die Reise nach Vietnam auch bezahlt macht, fügt Tessa ihrem Weißbrot noch etwas Reismehl hinzu und verleiht ihm so den Hauch Südostasiens.
Die Liste an spannenden Rezepten ließe sich endlos fortsetzen wie auch die Entdeckungen reichhaltiger Aromen und Genüsse. Das alles einzufangen und sprachlich zu verweben gelingt Tessa wunderbar. Und in uns weckt es Sehnsüchte nach französischer Fremde. Von der Provence bis nach Pondicherry enthält Rezepte von Gerichten, die sich unter dem Einfluss verschiedener Traditionen und neuer Länder miteinander vermischt haben. Die dichten Aussagen der Fotos vermitteln uns vielfach Alltägliches, erzählen uns aber auch von Menschen und Kulturen, die uns fremd sind und doch irgendwie vertraut. Eine weitere Besonderheit sind die pastellfarbenen Rezeptseiten, die dem Kochbuch eine eigene Noblesse verleihen. Der Buchdeckel in antiquiert gehaltenem grauem Hardcover erinnert an frühe Reisebeschreibungen.
Die Rezepte aus Frankreich und weiter Ferne, wie es so schön im Untertitel heißt, bedienen Sehnsüchte und Entdeckerfreuden gleichermaßen. Wer sich auf diese Fahrt Von der Provence bis nach Pondicherry einlässt, wird die kulinarische Weltreise nicht bereuen.