Tigrane Seydoux, Victor Lugger, BIG MAMMA

Italienische Küche con molto amore

Fotografie Renaud Cambuzat, Illustrationen Olimpia Zagnoli
Aus dem Französischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer
Knesebeck Verlag, München, 2018, 480 Seiten, 36.-- Euro
ISBN 978-3-95728-108-1
Vorgekostet

Heute reisen wir nach ITALIEN.

Mama mia, schon wieder Italien, stöhnen jene, die glauben, Italien wie ihre Westentasche zu kennen. Und die anderen, die Neugierigen, die Italophilen unter uns, die jede Gelegenheit nützen, italienischen Boden zu betreten, stellen konsterniert fest: Es braucht viel Zeit, um Italien kennen zu lernen. Man muss offen sein für Land und Leute, Museen besuchen, Freundschaften schließen und Zeitungen lesen, nach Möglichkeit in einer Bar bei einem Espresso und einem dolci. Dann ist die Welt fast perfekt. Es fehlen noch die Speisen am Familientisch oder im Restaurant, die Märkte und Bäcker und Fischhändler und noch einiges mehr. Und dann noch zum Tagesausklang ein gutes Essen, allein das lässt eine vage Vorstellung vom dolce vita entstehen und uns in Gedanken zu Frederico Fellinis gleichnamigen Film abschweifen. Deshalb wollen wir heute die Mamma hochleben lassen. Sie ist der Kitt an den häuslichen Herd und Förderin des süßen Lebens eines jeden Italieners und all jener, die sich wie solche fühlen. Da ist es naheliegend und längst überfällig, der Mamma einen Tempel zu errichten. Ein paar Franzosen hatten diese verrückte Idee und gründeten in Paris einen „Fresstempel“; Big Mamma war geboren. Das bestechende daran ist, die cucina della mamma anzubieten mit Preisen wie in einer italienischen Dorf-Trattoria. Mittlerweile gibt es fünf Lokale in Paris rund um ein Team von 250 italienischen Köchen und Mitarbeitern. Ihr Anliegen ist, die Küche der italienischen Heimat zu servieren auf Basis von Familien-Rezepten. Heißt das, wir müssen nach Paris, um richtig gut italienisch zu essen? Aber nein, wir holen uns Italien und die Big-Mamma-Küche zu uns nach Hause. Denn die Erfinder dieser italienischen Restaurantkette haben die beliebtesten Rezepte zusammengetragen und als Buch veröffentlicht. Big Mamma, wie sonst soll es heißen, ist nun auf deutsch im Knesebeck Verlag erschienen.

In Gewicht und Größe wie ein Ziegel ist Big Mamma im Kochbuchregal nicht zu übersehen. Der Inhalt wird lustig und temperamentvoll von jungen Köchinnen und Köchen vermittelt, die aus den verschiedensten Regionen Italiens stammen. Man erfährt, wie in Neapel Mozarella hergestellt wird, dass Gorgonzola nicht ein Werk Zolas ist, des Knoblauchs Kern im Grünen liegt, die perfekte Vinaigrette aus einem Teil Säure und drei Teilen Öl besteht mit Spuren von Salz. Dass wegen Balsamico-Essig gemordet wird, dass eine gute Mortadella fest, schön rosa und gleichförmig sein sollte, dass Burrata die genialste Erfindung der Welt ist, das und einiges mehr erfährt man in Form von Short-Stories, die eingestreut sind zwischen den Rezepten. In gebotener Kürze werden da von den Big Mamma-Köchinnen und Köchen italienische Produkte und Kochtechniken vorgestellt. Sachlich und mit einer Portion Schmäh nehmen sie sich des Elementaren an, zeigen in Fotomontagetechnik die Auswirkungen auf die einzelnen Personen, bspw. des zu Tränen gerührten Antonio beim Zwiebelschneiden oder die Ricottagekrönte Ylenia beim Lobpreisen der Frische. Erfrischend und die Lachmuskeln strapazierend sind diese fast satirisch anmutenden Einschübe klar auf ein junges Publikum abgestimmt. Aber Lachen kennt keine Altersgrenzen und es sind die Rezepte, die dann über die Qualität dieses italienischen Kochbuchs entscheiden. Am Anfang heißt es aber: Halten Sie sich nicht allzu sklavisch an die Mengenangaben. Vertrauen Sie auf Ihr Gespür. Und so taucht man ein in Gerichte und Trinkbares, die sich auf 11 Kapitel verteilen. Es sind auch Kapitel dabei, die der Jugend näher liegen, wie Pizza, Leckeres zum Brunch und Salate zum Verlieben. Aber auch hier gilt, die Altersgrenzen sind aufgehoben und jeder darf sich jung fühlen und durch unzählige Pizzavariationen durcharbeiten und -fressen. Die einzigen Regeln, die zu beachten sind, sind in Big Mammas zehn Geboten zusammengefasst. Aber auch die sind nicht immer ernst zu nehmen. Bis auf Gebot 2: ohne Mandoline ist dein Leben verpfuscht, und Gebot 5: Messer müssen immer scharf sein, und Gebot 8: Iss lieber drei Tomaten mit ein paar Tropfen Öl als ein Fertiggericht mit viel Salz, schlechtem Fett und Konservierungsstoffen. Das ist gesünder! und dem ist nicht zu widersprechen. Groß geschrieben sind in diesem Kochbuch die Buchstaben Q und B. Sie stehen für quanto basta und bei einigen Zutaten in den Rezepten, was nicht weniger bedeutet, als dass wir Anwender selbst entscheiden, wie viel wir von der Zutat verwenden. Da werden unsere Sinne geschärft, sammeln wir Erfahrungen in der Verwendung von Gewürzen, aromaintensiven Beifügungen wie Öle, Parmesan und anderes. Ist keine Hexerei, nur angewandte Erfahrung. So wird dieses Kochbuch auch zu einem kleinen Lehrbuch, für Unerfahrene mit der italienischen Küche. Das heißt aber nicht, dass es sich nur an Anfänger richtet. Gerade weil die vorgestellten Gerichte, auch Klassiker, sich nicht unbedingt dem Purismus und der Tradition unterordnen, gibt es auch viel Neues zu entdecken.

Die knusprig frittierten Mozzarellabrote mit Sardellen weckten schöne Erinnerungen an Neapels enge Gassen und die Düfte dieser Stadt. Herrlich, wie der Käse seine Fäden zieht beim Brechen des Mozzarellabrotes. Der Headliner Red ist dead wird dem Bruscetta mit eingelegten Tomaten, Auberginen und Ricotta nicht gerecht. Das samtfarbene Rot der eingelegten Tomaten schimmert sanft durch grüne Basilikumblätter und betört die Augen, die sich beim Hineinbeißen ins belegte Mehrkornbrot schließen. Das nach Pamela Anderson benannte Bruscetta mit Parmaschinken, Melone und Olivenpaste ist in der Abbildung mit Blumen geschmückt. Und eine Anmerkung weist darauf hin, dass es appetitlich geschmückt noch einmal so gut schmeckt. Allein der Hinweis, um welch schmückendes Beiwerk es sich handelt, wurde leider vergessen. Bruscetta zuhauf findet sich im Vorspeisenkapitel. Und die Bruscette sind es alle Wert, ausprobiert zu werden. Sehr bekömmlich war der Salat aus gebratenem Blumenkohl, mit gerösteten Haselnüssen, aromatischen Kräutern und dicken Bohnen. Überhaupt sind Karfiol und Bohnen wieder im Kommen, finde ich. Eines der aufwändigeren Rezepte ist ein Klassiker: Lasagne alla Bolognese. Dabei wird völlig richtig auf ein kleines Geheimnis einer guten Lasagne hingewiesen, nämlich drei Sorten Hackfleisch zu gleichen Teilen zu verarbeiten. Dazu ein Löwenzahnsalat, hmmm, das schmeckt köstlich. Und es finden sich Nudelgerichte, Pizzen, vegetarische und fischige Speisen und natürlich Desserts in diesem Buch. Das Bild von Amarenamisu, das ist ein Tiramisu mit eingelegten Sauerkirschen lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die Torta Ricotta e Pere ist nicht so leicht nachzubacken. Aber wenn man es geschafft hat, dann entschädigt bereits der erste Bissen für alle Mühe. Auch Reis- und Milchreisfans kommen hier auf ihre Kosten. Riso al Latte e Agrumi ist der cremigste Milchreis der Welt, behaupten die Autoren. Das stimmt fast, aber er ist wirklich eine Wucht und Erlebnis für alle Milchreisliebhaber. Mein Sohn Benjamin bekam ihn zum Geburtstag serviert und er war voll des Lobes.

Mir persönlich hat ein sehr unspektakuläres Gericht imponiert. Eigentlich ein Reste-Essen, ist die Frittata di Linguine ein Nudelomelett, das mit Parmesan und Tomatensoße einfach aber sündhaft gut ist.

Big Mamma, die italienische Küche molto con amore, besticht mit einfachen und guten Rezepten. Man hat das Geühl, egal welche Seite man aufschlägt, die vorgestellten Speisen begleitet ein Hauch des Lächelns. Die abgebildeten KöchInnen sind alle gut drauf und lustig. Das ist wohl auch ein Verdienst des Fotografen Renaud Cambuzat, der Menschen und Speisen ins rechte Licht rückt. Verfeinert und garniert mit Illustrationen von Olimpia Zagnoli, in ansprechendem Layout, wird das Blättern in Big Mamma bereits zum Genuss. Und ich bleibe dann an einer Seite hängen, vertiefe mich ins Rezept und prüfe die Zutaten, was habe ich davon im Kühlschrank in der Vorratskammer und nicht selten breche ich auf in die Küche, um mir – wie eben jetzt – Pomodori e Mozzarella zu machen.

Leave A Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert