Hella Witte, fischverliebt

Mit Fotografien von Dirk und Brigitte Tacke
Callwey Verlag, München, 2023, 208 Seiten, 46.30 Euro
ISBN 978-3-7667-2620-9
Vorgekostet

Heute reisen wir nach MÜNCHEN.

Der Viktualienmarkt ist ein Hotspot für Liebhaber urbayrischer Waren; von der legendären Weißwurst über lokale Kartoffelsorten bis zu den Laugenbrezen, hier finden die Marktbesucher, alles was das Herz begehrt. Auch exotische Früchte und natürlich Fisch. Fisch aus aller Welt. In München ist es Sitte, man kauft den Fisch bei Witte! Ein Slogan, den Hella Witte in den 80er Jahren geprägt hat. Genau genommen 1985, denn da wurde Fisch Witte eröffnet. Und Hella schleudert den Spruch, so stell ich mir vor, in marktschreierischer Manier ihren Kunden entgegen. Und wenn nicht, so steht es zumindest  auf den Fisch-Rezepten, die Hella großzügig weitergibt. Auch auf den Vorsatzseiten von fischverliebt, dem neuen Fisch-Kochbuch aus dem Callwey Verlag. Da sieht man die großen Fischbecken und Hella Witte mit Käscher und gefangener Beute. Bekommt so eine Ahnung, wo Saibling, Forellen, Hechte, Karpfen, Lachs- und Regenbogenforellen im Erdinger Land großgezogen werden. In freier Natur können sie herumtoben bis zum Schluss, um dann als frischeste Ware küchenfertig ausgenommen und filetiert in der Fischtheke am Viktualienmarkt ausgestellt zu werden.

Am Anfang also war der Fisch. Das war bei Hella schon von Kindesbeinen an so. Im Sommer ging es an die Nordsee nach Hamburg und Bremen. Der Vater, ein Hanseate, liebte Meeresfische und das übertrug sich auch aufs Töchterchen. Und in Omas Gasthaus Himmisepp im bayerischen Miesbach gab es auch immer wieder Fisch, heimische Süßwasserarten natürlich. Wundern wir uns, dass Hella fischverliebt ist? Nein, und wohl auch nicht, dass sie ein Fisch-Kochbuch herausbringt. Darin werden 50 Rezepte vorgestellt, die sich auf fünf Kapitel verteilen. Vorher aber erfährt man in einem sehr ausführlichen Einleitungsteil, der sich über 50 Seiten zieht, die Geschichte und Philosophie des Witteschen Fischgeschäftes. Insgesamt hätte dieser Teil etwas kürzer ausfallen können und die für mich interessanten Aspekte zu Fragen der Fangmethoden und Qualitätsvorgaben, über das Aquaponic-Verfahren oder zum Label Respect for Life and Planet pointierter und ausführlicher. Das Thema Fischkunde und Präparation ist trotz der Kürze sehr informativ. Welcher Fisch zu welcher Jahreszeit passt, erschließt die Bandbreite von Fischangebot im Jahresbezug und die Artenvielfalt. Dazu werden noch die wichtigsten Fischgruppen vorgestellt wie auch die wichtigsten Warenmerkmale beim Fischkauf. Am Beispiel einer Lachsforelle werden die wichtigsten Fischbestandteile bildhaft vorgestellt. Dann folgt eine Doppelseite mit dem Handwerkszeug für die Aufbereitung von Fisch und Meerestieren. Die wahre Kunst des Präparierens sind aber viele Handgriffe, was in Bilderfolgen am Beispiel des Loup de Mer, der Auster und einer Dorade dokumentiert ist. Dabei werden alle wichtigen Handgriffe fotografisch vorexerziert, sodass wir in der Umsetzung der Rezepte keine Probleme haben sollten.

Von der Suppe & Tatar geht es zu Gerichte mit Meeresfrüchten, ein Kapitel das sich vor allem den Muscheln und Riesengarnelen widmet. Dann tauchen wir ein in die allseitig beliebte italienische Fischküche mit vielen Spaghettirezepten, einem Zitronenrisotto und einem Fischcurry. Das Hauptkapitel, mit dem größten Umfang, beschäftigt sich dann mit den klassischen Fischgerichten. Den Abschluss bilden Grillgerichte, die vor allem Familie und Freunden in Garten- und Balkonienzeiten zugute kommen. Köstlich gegrillter Fisch und gute Gespräche bleiben lange in Erinnerung. 

Das Lachstatar mit Avocadocreme ist einfach und himmlisch. Immer noch, obwohl ich mir schon Gedanken mache, womit ich die nicht sehr ökofreundliche Lorbeerfrucht ersetzen könnte. Avocados benötigen viel Wasser und haben meist weite Transportwege hinter sich wenn sie bei uns ankommen. Als Ersatz denkbar wäre ein Erbsen- oder Selleriepüree, aber das muss ich erst ausprobieren.

Bei der klaren Fischsuppe mit Rouille wird leider keine Anleitung der einfach herzustellenden Sauce beigestellt, sondern – jetzt sind wir wieder beim marktschreienden Fischweibklischee – Eigenwerbung betrieben für einen Becher W…-Rouille, deren Rezeptur ein gut gehütetes Geheimnis ist. Also erfahren Sie von mir zwei gute Rouilles. Die eine stammt aus Julia Childs Kochbuch-Klassiker Französisch kochen, die andere aus Die Suppen der klassischen französischen Küche von Romeo Brodmann. Beide finden Sie im Rezepteordner von vorgekostet.at.

Ich mag den leichten Nussgeschmack der Jakobsmuscheln und bin daher froh um die Rezepte dazu. Einmal serviert Witte die große dekorative Muschel mit Morchelragout und dann mit Steinpilzen. Beide Rezepte können sowohl mit frischen als auch getrockneten Zutaten gefertigt werden. Hier wäre, wie auch bei einigen anderen Rezepten, ein Kaufhinweis gut gewesen. Zum Beispiel sind Jakobsmuscheln aus dem Mittelmeer oder mit dem Schleppnetz gefangene Tiere nicht zu empfehlen.

Abenteuerlich wird es dann, wenn der längs halbierte Hummer auf das Spaghettihäufchen aufgelegt wird. Hier kommen wahre Tafelfreuden auf mit dem Krebstier von der nordamerikanischen Atlantikküste. Alles Makulatur. Das vorgekochte Hummerfleisch vom Fischhändler bezogen, wird vorsichtig mit Spaghetti und Sauce vermischt und mit der Hummerschale dekorativ serviert. Weniger spektakulär und doch ein Hingucker ist Spaghetti nero mit Tintenfischen. Rabenschwarze Nudeln und schmecken tut das ganze auch noch.

Gelingsicher und das eine oder andere Gericht schon bekannt, geht es weiter in die Abteilung Klassiker. Hier treffen wir auf Butte, Zander wie auch den imposanten Drachenkopf. Rascasse aus dem Backofen mit Kirschtomaten ist ein Feuerwerk von Rottönen. Auch der Knurrhahn aus dem Ofen auf Kohlrabi ist nichts für Zartbesaitete und doch eine Versuchung wert. Wie auch der Loup de Mer in der Salzkruste oder das Skreifilet gebraten, dazu Champagner-Sauerkraut. Lebt Ersterer vorwiegend im Ostatlantik und der Nordsee, so ist der Skrei ein Wanderer zwischen Barentsee und Lofoten. Ein ausgesprochen magerer Fisch, was kein Wunder ist, schwimmt er über 1000 km und sich so buchstäblich das Fett weg.

Im letzten Kapitel ist grillen angesagt und die Zubereitung einfach, denn alles hängt von einer guten Vorarbeit ab. So schart man sich, ein Bier in der Hand und plaudernd über Gott und die Welt, um den Grillmeister, bis die gegrillten Edelfischspieße, die XXL-Garnelen vom Grill oder der gegrillte Pulpo mit Rosmarin-Knoblauch-Kartoffeln fertig sind.

fischverliebt von Hella Witte ist ein grundsolides Fisch-Kochbuch, mit einer ausführlichen Einführung sowohl der Geschichte eines Familienunternehmens als auch Fischkunde. Ersteres hätte kürzer, zweiteres ausführlicher ausfallen können. Auch die Rezepte bergen keine großartigen Neuinterpretationen, sie sind eher dem Mainstream zuzurechnen. Bemerkenswert sind die großformatigen fotografischen Darstellungen der Gerichte wie auch von Alltagsszenen aus dem Fischbetrieb, die uns detailreich Knurrhähne und anderes Meeresgetier unheimlich farbenprächtig präsentieren.

Fischliebhaber, die klassische und unkomplizierte Rezepte suchen, werden hier gut bedient.