Heute reisen wir nach BRANITZ.
Branitz, nie gehört, wo soll das denn sein? Dieser kaum bekannte Ort nahe Cottbus im deutschen Bundesland Brandenburg erwacht zum Leben, wenn er mit einem Mann in Zusammenhang gebracht wird, von dem die meisten ebenfalls nur oberflächliche Informationen besitzen: Pückler. Fürst Hermann von Pückler-Muskau, ist vor allem Garten-, Park- und Eisliebhabern ein Begriff. Ein Fürst mit einem grünen Daumen. Er schuf einen der schönsten englischen Landschaftsparks in Deutschland. Der Fürst Pückler Park Bad Muskau, nur wenige Kilometer südlich von Branitz, erscheint den Besuchern wie eine Ideallandschaft aus Wiesen, Teichen, Wegen, Brücken und Baumgiganten. Ersonnen und umgesetzt von Fürst Pückler, ein Mann, der vieles war: Offizier, Landschaftsarchitekt und vor allem Genießer. In einer seiner Tagebuchaufzeichnungen heißt es: Ein Organ ist der Gourmandise, und befindet sich unmittelbar neben dem ehemaligen Mordsinn, denn es findet, gleich ihm, im Zerstören sein höchstes Vergnügen. Ich besitze es in bedeutendem Maße… Es verleiht dieses Organ nicht bloß die gemeine Lust am Essen und Trinken, sondern befähigt seine Inhaber auch, die wahre Qualität der Weine und ihr Bouquet zu würdigen, so wie jeden Fehler und jede Genialität des Kochs augenblicklich gewahr zu werden. Diese Zeilen von einem Gastrosophen von Weltruf lassen ahnen, welche Ansprüche der reiselustige Fürst vor allem an sein Küchenpersonal stellte. 1855 kehrte er nach langer Abwesenheit wieder ins Schloss seiner Väter in Branitz zurück. Obwohl Fürst Pückler über zwei Jahre abwesend war, funktionierte der Schlosshaushalt unter Leitung der Inspektorin Bertha Stauß bestens. Der Champagner war kalt gestellt und der Bordeaux hatte die rechte Temperatur, als sich der zurückgekehrte Fürst mit seinem »Hofmarschall«, dem kleinwüchsigen Wilhelm Masser, genannt Billy, spätabends an die schön gedeckte Tafel setzte, um ein Sieben-Gänge-Menü zu genießen. Auch während seiner Abwesenheit wurden Gäste empfangen und bewirtet. Und so erwartete den Fürsten an diesem Abend noch eine Überraschung. Ein Tafelbuch, das in seiner Abwesenheit angelegt wurde, in welchem mit Namen und Titel die bewirteten Gäste sowie die servierten Speisen und Getränke aufgezeichnet ward. Fünf Tafelbücher werden es werden bis zum Tod des Fürsten, die von bedeutenden Ereignissen und königlichen Besuchen erzählen, aber auch kleine Geheimnisse aus der Küche verraten sowie vom Leben in Branitz berichten. Über 3.500 Menüs für mittägliche Dejeuners und abendliche Diners hinterlässt Pückler seiner Nachwelt. 65 dieser historischen Rezepte wurden nun von Tim Sillack im Restaurant Cavalierhaus auf Schloss Branitz neu interpretiert und vorgestellt. Zu Gast bei Fürst Pückler ist ein geschichtsträchtiges Kochbuch, das im Prestel Verlag erschienen ist. Es vermittelt schöne Einblicke in die Tafelfreuden eines Adeligen, der vor allem eines zelebrierte: gut zu speisen und zu genießen.
In elf Kapiteln nähern sich die Autoren den kulinarischen Vorlieben des Fürsten. Eine visuelle Reise, in welcher Speisen des 19. Jahrhunderts in Pücklers originalen Speisezimmern und Sälen von Schloss Branitz, in neuem Gewande präsentiert und inszeniert werden. Eine perfekte Symbiose des Adelig-Prunkvollen mit dem Modern-Minimalistischen. Marina Heilmeyer und Stefan Körner erzählen anregend von den Besonderheiten der Pücklerschen Gastgeberkultur, seinen Kreationen – etwa den Kartoffeln à la Semilasso oder Pücklers Tutti Frutti und lassen so ein Stück europäischer Kochgeschichte lebendig werden.
Mondän geben sich manche Gerichte wie etwa die Suppe mit gefülltem Kopfsalat oder Für Königin Augusta! Karpfen à la Chambord. Und dann wieder modern und zeitlos Billys Käse – nach Art des Haushofmeisters. Ein eleganter Abschluss. Billy lässt zwei französische Blauschimmelkäse antreten, die im Zaum gehalten werden von einem lombardischen Stricchino oder doch eher von den im Orangensaft marinierten Fenchelknöllchen.
Das spannende an diesem prachtvollen Bildband sind nicht nur die Gerichte, sondern auch die Geschichten, die sich um sie ranken. Im Vorspann zum Eis à la Prince Pückler ist zu lesen: „Weltberühmt wurde der Fürst durch das Eis, das bis heute seinen Namen trägt. Erstmals tauchte der Begriff 1839 im Kochbuch des Hofkochs Ludwig Ferdinand Jungius auf, der für König Friedrich Wilhelm III. arbeitete. Am 17. Mai 1870 aß der alte »Grüne Fürst« die gefrorene rot-weiß-schwarze Kreation aus Himbeer, Vanille und Schokolade. Die Branitzer Tafelbücher verzeichneten an diesem Tag zum ersten und letzten Male: »Eis à la Prince Pückler«“. Tiefschürfig analysiert Marina Heilmeyer die Geschichte vom Pückler-Eis in ihrem Beitrag. So erfährt man, dass vor mehr als 150 Jahren schon die Eiscreme bei kleinen und großen, jungen und alten Genießern für kulinarische Glücksmomente sorgt. Ein erstes Rezept für den klassischen Dreiklang aus Rot, Weiß und Braun, der heute noch als »Fürst-Pückler-Eis« gehandelt wird, stammt aus dem Jahre 1866 und aus der Feder des Mundkochs von Pücklers altem Bekannten, dem Fürsten Malte von Putbus. Noch werden die drei Farben nicht geschichtet, sondern löffelweise in entsprechende Eisformen gefüllt und durch Schütteln so gemischt, dass sie wie marmoriert wirken. Geschlagene Sahne verbindet sich hier mit Zucker und bitteren Makronen, die in Maraschino oder Kirschwasser getränkt wurden. Anschließend teilt man die Masse in drei Teile, von denen einer weiß bleibt, einer durch geschmolzene Schokolade dunkel wird und der Dritte durch den Zusatz von Kermes- oder Cochenille-Saft rot leuchtet.
Erst um 1900 wurde der rote Teil des Pückler-Eises nicht mehr gefärbt, sondern mit Erdbeer- oder Himbeermus gemischt. Sein Geschmack wird dadurch stärker betont, der Farbton fällt aber um einiges zarter aus. Das Eis à la Prince Pückler angerichtet auf einem Original-Porzellanteller mit Pückler-Muskau–Stempel dient auch als Titelbild. Über das Pückler-Eis wurde schon viel geschrieben und doch gibt es immer wieder Neues zu erfahren, wie obige Ausführungen beweisen.
Zeitgemäß dem Heute angepasst präsentieren sich die Vorspeisen. Kanapees mit Pücklers Sardellencreme hat nichts mit einem beschmierten Sofa zu tun, sondern sind kleine Appetithäppchen, die Miniaturen italienischer Bruscetti ähneln. Die Holsteiner Austern Florentiner Art werden mit einem Tupfen Sauce Hollandaise und Parmesan im Backofen zu einer köstlichen Einheit verschmolzen. Von der Sauce Hollandaise gibt es hier zwar kein frühes Rezept, dafür von der Zitronenhollandaise oder ‚Berliner Sauce‘, und die steht etwas einsam ohne Hinweis, wozu sie gereicht wird. Zu Spargel und Fisch kann nicht falsch sein. Eindeutig dagegen ist der Hinweis, wo die Béchamelsauce für Ludmilla zum Einsatz kommt. Nämlich als Tunke zum Königlichen ‚Kalbsschlegel à la Béchamel‘. Die Sauce zu Ehren Ludmilla Assings, der Pückler Biographin, ist eine klassische Béchamel. Saucen bilden das Fundament der Küche, behauptet Auguste Escoffier. Sie sind es, die das Renommée der französischen Küche begründen. Und es wurden französische Kochbücher im Preußen des 19. Jahrhunderts nicht nur gelesen. So beeinflusste der französische Starkoch Urban Dubois mit seinem Kochbuch Cuisine classiques die deutschen Adelsküchen. Allerdings ließ er sich auch von Pückler-Rezepten überzeugen und veröffentlichte den Geschmorten Schinken à la Pückler-Muskau. Das Rezept wurde hier nicht aufgenommen, dafür viele andere, die das Frankophile hervorheben, wie Sauce Tatare auf französische Art oder Gänsebraten mit Römersalat nach Art der Köchin Karoline oder Gefüllte Gurke für den ‚Grünen Fürsten‘ oder Kartoffeln à la Semilasso, eine interessante Kartoffelzubereitung aus den Pyrenäen. Karpfen à la Chambord wurde 1864 Königin Augusta serviert, von Sillack nachgebaut, lässt sich für mich aus dem Serviervorschlag das preussische Ordnungsprinzip herauslesen. Streng aber schön arrangiert mit blumigen Farbtupfern.
Was auf Schloss Branitz immer serviert wurde, waren Suppen. Wenn hochrangiger Besuch kam, standen gleich zwei zur Auswahl. Egal ob Brandenburgische Kartoffelsuppe mit gepökelter Zunge, Suppe mit gefülltem Kopfsalat oder Paradiesapfelsuppe mit Makkaroni, sie punkten mit ihren erfrischenden Aromen. Der Fürst liebte Suppen, heißt es im Vorspann zur Suppe mit gefülltem Kopfsalat, da sie höchsten Anspruch an Feinheit und delikater Vollkommenheit erforderten und bestimmend für den Gesamteindruck des Menus waren. Bei dieser Suppe liegt die Raffinesse im Zusammenwirken von Geflügelfarce, Geflügelfond und Geflügelconsommé, sie sind ausschlaggebend für Optik und vor allem Geschmack. Verwenden Sie für die Zubereitung der gefüllten Salatköpfe ein Muffinblech. Die Wildsuppe aus dem Orient mit Reisklößchen findet sich 212 Male in den Tafelbüchern, sie spiegelt wohl auch die Sehnsucht des Fürsten nach der Ferne. Er, so scheint es, ließ sich leicht auf neue, fremde Geschmackserlebnisse ein. Und wenn ihm etwas auf seinen Reisen nicht schmeckte, dann hatte er immer noch diese eindringliche englische Würzsoße, Ketchup genannt, dabei.
Was den Österreichern die Palatschinken und den Franzosen die Crepes sind, führen die Sachsen als Hefeplins. Ein etwas erhöhter Eierkuchen mit Triebmittel. Hier werden Lausnitzer Hefeplinsen mit Weinschaumsauce serviert, ein wunderbares Dessert. Archaisch dürfte der Wendische Quarkkuchen sein, der den Wenden, also slawischen Ureinwohnern der Lausnitz, zugeschrieben wird. Ein Rührteigboden, dem eine massige Cremeschicht aufgesetzt wird. Einfach und gut. Fürst Pückler aber schwärmte für die Königin der Früchte, die Ananas. Sie präsentierte er gerne als Tafelschmuck. Zur Branitzer Ananaspraline verarbeitet, setzte sie manchmal den Schlusspunkt des Pücklerschen Gelages.
Zu Gast bei Fürst Pückler nimmt die Branitzer Tafelbücher, die sich im Besitz der gräflichen Familie Pückler befinden, zum Ausgangspunkt einer Reise in ein Kapitel europäischer Geschmacks- und Küchengeschichte, die wenig bekannt ist. Marina Heilmeyer und ihr Kollege Stefan Körner berichten von den kulinarischen Eskapaden des Fürsten, indem sie ausschnittsweise, wie kleine Happen, seine Tafelfreuden in ihrer ganzen Bandbreite vorstellen. Eingebettet darin sind Rezepte, die von einem Könner ins Heute transferiert wurden. Es sind quasi Übersetzungen der von Pückler so geschätzten Leidenschaft für die ‚Gourmandise‘, die Feinschmeckerei. Rezepturen, die lokale mit exotischen Nahrungsmitteln vereinen, auf hohem Niveau. Die Ochsenzunge auf sächsische Art bspw. erhält mit Rosinen eine leichte Süße, die jeden Bissen zum Erlebnis macht. Überhaupt ist Zu Gast bei Fürst Pückler eine gelungene Mischung von Sach- und Kochbuch. Herausragend die graphischen und fotographischen Details, die das 19. Jahrhundert hochleben lassen. Optisch immer wieder erfasst das grüne Zimmer, in welchem der Gourmet bevorzug dinierte mit mehr als drei und weniger als neun Gästen. Mit Rezepten, die Fürst Pücklers Haupteigenschaft sicht- und erfassbar machen: der Geschmack – der in allem das möglichst Vollkommenste zu erreichen sucht, und es zu finden versteht. Wer dazu bereit ist, wird überrascht sein, wie modern Pücklers Gerichte sind.